Immer richtig, nicht immer ganz fair: Die Posting-Taktik von 'Spiegel Online'
Bild: imago / Rüdiger Wölk 

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Immer richtig, nicht immer ganz fair: Die Posting-Taktik von 'Spiegel Online'

'Spon' schafft es auch ohne Unsinn, Millionen Klicks auf Facebook zu generieren. Trotzdem räumt ihr Social Media-Chef im Gespräch mit uns Fehler ein.

Wie viel Halbwahrheit und Falsches kursiert auf Facebook? Und welche Rolle spielen große Nachrichtenmedien in Sachen Desinformation? Wir haben in einer Woche rund 2.000 Facebook-Posts von acht deutschsprachigen Medien in einer umfassenden Datenrecherche nachrecherchiert und auf ihre Faktentreue hin überprüft.

Hier schlüsseln wir alle Ergebnisse auf. Ein FAQ zu unserem Untersuchungs-Setup findet ihr hier.

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Bei der Analyse fiel uns nicht nur auf, dass der verbreitete Anteil an wahren, halbwahren und falschen Posts je nach Medium sehr unterschiedlich ausfiel, sondern auch, mit welchen verschiedenen Taktiken und Strategien die Medien Falsches auf Facebook verbreiten. Einen Überblick über die Posting-Strategien aller Medien findet ihr hier.

Korrekt, aber missverständlich: Eine Meldung über eine Mutter, deren Kind an Masern gestorben ist. Bild: Screenshot Facebook / Spiegel Online

In den sechs Tagen unserer Untersuchung ist das Nachrichtenmedium der Streber mit 100 Prozent Posts in der Kategorie A für korrekt berichtete Nachrichten. "Wir freuen uns über das Ergebnis", sagt der Spiegel Online-Head of Social Media Torsten Beeck am Telefon.

Auch wenn Spiegel Online in unserer Untersuchung vorbildlicherweise keine Falschmeldungen produziert hat, ist es doch interessant zu sehen, mit welchen Strategien das Medienhaus ihre Nutzer zum Lesen bringen will. Der Aufbau einer inhaltlichen Fallhöhe ist hier in den meisten Fällen das Mittel der Wahl. Ein Beispiel: Man pickt sich einen Aspekt aus der Berichterstattung heraus und deutet ihn so an, dass Neugier erzeugt werden soll. "Bill de Blasio, Bürgermeister von New York, hat seinen Bürgern ein wichtiges Versprechen gegeben", wäre ein Beispiel.

Dagegen ist nichts zu sagen. Überzieht man diese Strategie allerdings so, dass der Anreißer irreführend ist oder inhaltlich nicht eingelöst wird, was er ankündigt, spricht man von Clickbait. Auch diese Taktik benutzt Spiegel Online im Rahmen seiner Social Media-Strategie schon mal – und das nicht nur bei harmlosen, unpolitischen Fällen. Auf Platz 5 der meistgeteilten Spon-Posts in der Testwoche ist die Geschichte eines Mädchens, das an Masern-Spätfolgen gestorben ist. "Ihre Mutter hat eine klare Meinung zum Thema Impfen", lautet die Copy. Entsprechend wütend sind die Reaktionen der Nutzer, die in ihr eine Impfgegnerin vermuten, die nun ihr Kind auf dem Gewissen hat. Nur wenige Menschen scheinen also den Artikel dahinter zu lesen, in dem sich überraschenderweise das Gegenteil herausstellt: Die Mutter fiel als Kind durchs Impfraster und fordert nun Eltern auf, Ihre Kinder unbedingt gewissenhaft impfen zu lassen. Ganz fair gegenüber der trauernden Mutter, die sich darüber hinaus noch selbst mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gewandt hat, ist so eine zweideutige Social Media-Behandlung mittels Clickbait nicht.

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"Das ist, glaube ich, nicht bewusst missverständlich geteasert, aber ja, es bedient den falschen Reflex, müsste man an der Stelle sagen", meint Torsten Beeck, der Head of Social Media beim Spiegel, gegenüber Motherboard, als wir ihn auf den Post ansprechen. "Ich würde im Nachhinein sagen, das ist nicht so gut, gerade in dieser Konstellation einer Person, die nicht normalerweise in der Öffentlichkeit steht." Mit Politikern könne man "durchaus anders umgehen".

In manchen Fällen arbeitet Spiegel Online auf Facebook mit leichten Übertreibungen oder Mutmaßungen in der Copy, die über die nüchterne Faktenberichterstattung hinausgehen und ins Kommentieren abgleiten. Über die Meldung eines Treffens von US-Präsident Trump mit der New York Times hieß es zum Beispiel: "Trump hat sich mit dem Feind getroffen". Das mag offensichtlich sein, ist aber letztlich eine subjektive Zuschreibung, die von Trump zumindest an dem Tag selbst nicht geäußert wurde.

Ein anderer Artikel zweier Rom-Korrespondenten analysiert sehr ausführlich und sachlich den Zusammenhang zwischen den sinkenden Flüchtlingszahlen im November und der erneuten Kandidatur Angela Merkels. In der Facebook-Copy jedoch ist der Anreißer des Artikels so zusammengefasst: "Im Moment hilft es Angela Merkel, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Doch in Italien spitzt sich die Lage weiter zu." Nimmt man es genau, ist das eine etwas fragwürdige, weil ungekennzeichnete, Vermischung zwischen Berichterstattung und Interpretation. Man kann aber – auch durch die vielen Belege aus anderen Quellen im Text – durchaus sagen, dass sie noch zulässig ist. Sauberer wäre jedoch gewesen, der Copy ein "… analysieren unsere Experten" hinzuzufügen. Klar, meint Beeck: "Wir machen auch Fehler und man muss auch sagen, dass hier manchmal Leute ganz alleine sitzen."

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Alles in allem lässt sich aber anhand unserer Daten sagen: Spiegel Online macht das schon sehr gut auf Facebook.

Laut Beeck liegt das vor allen Dingen an der engen Verzahnung zwischen Newsdesk und Social-Media-Redaktion, und dass es keine Community-Manager, sondern Journalisten sind, die den Facebook-Tease übernehmen. Allerdings räumt er auch ein, dass Spiegel Online ein so großes Publikum hat, dass Social Media-Posts fast von alleine gut laufen und deshalb gar keine reißerische Aufmachung benötigen – eigentlich.

Doch unsere Auswertung zeigt, dass Facebook-Überspitzungen trotzdem immer wieder passieren – zum Beispiel in einem fragwürdigen Spiegel Online-Post nur einen Tag nach unserem Untersuchungszeitraum. Ganz kann sich also niemand den Mechanismen der Social Media Umgebeung entziehen, meint Torsten Beeck: "Das ist sehr verführerisch. Also: Je emotionaler, je spitzer, je mehr auf die 12, desto besser funktionieren diese Inhalte im Sinne von Interaktion.", sagt er, meint aber auch: "Ich glaube, man kann damit seine Marke unfassbar zerstören – wenn einem seine Marke was wert ist, sollte man das nicht tun."

"Es ist manchmal blöd, dass auch Dinge, die an der Grenze sind, gut funktionieren", so Beeck, "aber es ist uns trotzdem sehr wichtig, im Grunde genommen an jeder Stelle sagen zu könnten: Das würden wir inhaltlich auch so auf Spiegel Online schreiben. Das ist schließlich unser Markenkern, dass wir korrekt arbeiten."

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Zahlen und Fakten zu 'SPIEGEL Online'

Motto: "SPIEGEL ONLINE ist die führende Nachrichtenseite im deutschsprachigen Internet: schnell, aktuell, präzise und unterhaltsam."

Facebook-Fans: 1.451.119
Reichweite der Website laut Similiarweb: 126,63 Mio. Visits
Anzahl der untersuchten Posts: 234

Die fünf meist geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
Krieg in Syrien: Aleppo wird ausgelöscht – und die Welt schaut zu
(969 Shares, Kategorie A)

Platz 2:
Jeder vierte Europäer hält Vergewaltigungen unter Umständen für gerechtfertigt
(725 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Kubas Revolutionsführer: Fidel Castro ist tot
(629 Shares, Kategorie A)

Platz 4:
Hamburger Polizei sucht vermisste Kollegin
(592, Kategorie A)

Platz 5:
Hessen: Mädchen stirbt an Masern-Spätfolgen
(529, Kategorie A)