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Nationalsozialismus

USA wollen den letzten dort lebenden NS-Funktionär nach Deutschland abschieben

Doch Deutschland weigert sich seit Jahren, den KZ-Aufseher Jakiv Palij aufzunehmen.
Screenshot: Deutsche Welle

Vor ein paar Wochen im April: Vor einem beschaulichen Reihenhaus aus rotem Backstein im New Yorker Stadtteil Queens protestieren einige Dutzend Menschen. Zu dem Protest sind Schüler und Studenten gekommen; auf Plakaten fordern sie, dass die USA den Bewohner des Hauses abschieben sollen. Dieser heißt Jakiv Palij, ist 94 Jahre alt, ehemaliger KZ-Aufseher – und der wohl letzte lebende Nazi-Funktionär auf US-Gebiet. Wirklich notwendig wäre der Protest allerdings nicht: Denn die USA wollen ihn seit Jahren loswerden.

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Palij soll während des NS-Regimes bei der SS gedient, den Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 mit niedergeschlagen und als Aufseher in Trawniki im Südosten Polens Zwangsarbeiter überwacht haben. In dem Zwangsarbeitslager, das dem KZ Majdanek unterstellt war, erschossen Nazis 1943 bis zu 10.000 Juden vor ausgehobenen Gruben. Palij selbst sagte 2003, damals nicht dabei gewesen zu sein.

Bereits vergangenen Juni unterzeichneten 83 Mitglieder des New Yorker Unterhauses einen Brief an Generalstaatsanwalt Jeff Sessions, in dem sie den Wunsch äußerten, Palij abzuschieben. Zwei Monate später bekräftigen 29 Kongressmitglieder die Forderung in einem Schreiben an den damaligen Außenminister Rex Tillerson. Die Regierung des US-Präsidenten Donald Trump selbst hatte versprochen, alles zu tun, um die Abschiebung durchzusetzen.


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Palij wurde wohl 1923 in Polen, auf dem Gebiet der heutigen Ukraine, geboren. Vier Jahre nach Kriegsende wanderte er in die USA aus, 1957 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. 2003, fast 50 Jahre später, entzogen ihm die US-Behörden diese jedoch wieder, weil Palij seine SS-Mitgliedschaft bei der Einreise verschwiegen hatte. Weil US-amerikanische Gerichte den 94-Jährigen nicht wegen Verbrechen im NS-Regime verurteilen können, versuchte das US-Justizministerium, ihn abzuschieben.

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Die USA haben seit 2005 elf Abschiebungen von Nazi-Funktionären angeordnet – und konnten nur eine umsetzen

Sowohl die Ukraine als auch Polen weigern sich aber, ihn aufzunehmen. Auch Deutschland stellt sich quer. Der Bundesregierung zufolge war Palij nie deutscher Staatsbürger. Zudem sei es fraglich, ob ein Gericht ihm Straftaten nachweisen könne. "Was wir heute in Deutschland noch ahnden können, sind Mord und Beihilfe zum Mord", erklärte Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, gegenüber der Deutschen Welle. "Nach unserer Einschätzung lassen sich die Taten mit vorhandenen Beweismitteln nicht nachweisen." Die Staatsanwaltschaft Würzburg hatte bereits 2015 gegen Palij ermittelt, das Verfahren aber eingestellt.

Laut Bild-Zeitung belastet der Fall Palij nun das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland und sorgt für "Streit". Die USA wollen den ehemaligen SS-Aufseher abschieben und fordern, ihn in Deutschland aufzunehmen und anzuklagen. Mitarbeiter der US-Botschaft haben das Thema wohl mehrfach im Auswärtigen Amt angesprochen.

Das amerikanische Justizministerium hat der New York Times zufolge seit 2005 elf Abschiebungen gegen ehemalige Nazi-Funktionäre angeordnet, nur einer konnte aber tatsächlich ausgewiesen werden. 2009 lieferten die USA John Demjanjuk, den "Buchhalter von Auschwitz", nach Deutschland aus. Das Landgericht München verurteilte ihn 2011 zu fünf Jahren Gefängnis. 2012 verstarb Demjanjuk im Alter von 92 Jahren in einem Altersheim in Bayern. Neun Nazi-Funktionäre starben aber in den USA, weil sich kein Land fand, das sie aufnehmen wollte. Und der letzte verbliebene lebt eben noch heute in Queens.

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