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Wie Scientology versucht Wikipedia zu unterwandern

Wir haben uns mit dem Ex-Scientologen Wilfried Handl über die Edit-Wars unterhalten, mit denen die Glaubensgemeinschaft gezielt versucht sich der Web-Öffentlichkeit als Religion zu verkaufen.
Bild (Ausschnitt): Pictorial Evidenz / Wikipedia; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Ein altes chinesisches Sprichwort lautet: „Ein Fluss ist an der Quelle am reinsten." Fernöstliche Phrasen kommen zwar wohlklingend daher, doch allzu oft ist ihr Informationsgehalt so relevant, wie der Sack Reis gleicher Herkunft. Scientology sieht das offenbar anders. Die als Religion auftretende Organisation macht sich das Sprichwort zu eigen und scheint mit einer solchen Strategie auf eine kritiklosere öffentliche Darstellung zu hoffen.

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Der selbstverständlich vor Objektivität strotzende Blog „Scientology-Fakten" weist den Weg: Jeder, der etwas über Scientology wissen wolle, solle sich nur bei Scientology selbst informieren, heißt es dort. Laut einer Sprecherin von Scientology Berlin sei dies effektiver, als ständig gegen Falschmeldungen anzugehen. Gegen diesen göttlichen PR-Traum steht zumindest theoretisch die Realität crowdgesourcter Schwarmintelligenz im Web 2.0.

Wikipedia ist nicht nur der Begleiter deiner überhasteten Web-Recherchen, sondern auch der Kampfplatz für die Informationskriege der Gegenwart. Erst vor wenigen Tagen wurde das MH17-Unglück in der Ukraine zum Auslöser eines solchen kurzzeitigen Edit-Wars. Von einer zum russischen Staatsfernsehen gehörenden IP-Adresse wurde der erst wenige Stunden alte Wikipedia-Beitrag so verändert, dass plötzlich die ukrainischen Armee Schuld am Flugzeugabschuss war. Und was pro-russische Propaganda kann, das kann Scientology doch schon lange.

„Von der Sekte zur Religion" — Dank Web 2.0

Allein die deutsche Wiki Seite zu Scientology wird pro Tag im Durchschnitt rund 1.000 mal aufgerufen. Und während Strategien, wie das von der OSA (Office for Special Affairs; der Rechts- und Nachrichtendienstsektion von Scientology) in Auftrag gegebenen Grieboski-Programm auf prominente Politiker zielen, wird von anderer Seite mithilfe bestimmter Religionswissenschaftler als Türöffner munter am Wiki-Text geschraubt.

Der erklärte Scientology-Gegner Wilfried Handl hat in einer Serie auf seinem Blog solche Verbindung ausführlich untersucht und erklärt, wie das abläuft: Es geht nicht um Zensur oder Übernahme der Wikipedia, sondern darum die Diskussion so zu lenken, dass über Scientology als Religion und nicht als Sekte diskutiert wird.

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Das sei eine Selbstverständlichkeit, heißt es in einer Stellungnahme von Scientology Berlin. Der Begriff 'Sekte' beschreibt zwar durchaus eine religöse Bewegung (da diese aus einer Religion hervorgeht), sei aber heutzutage lediglich ein sinnentleertes Schimpfwort und daher gar kein nicht neutraler Begriff, erklärte eine Sprecherin.

Ein Vergleich der Wikipedia Artikel von 2003 und 2013 verdeutlicht, wie sich der terminologische Wandel von der Sekte zu einer Religionsgemeinschaft vollzogen hat. (Ein Blick auf die alten Einträge bei Archive.org liefert genauere Angaben zu den Details der Formulierungen). Ein Edit-War, mit dem Scientology Berlin behauptet, nichts zu tun zu haben – sogar selbst darunter zu leiden. Auch die Sprecherin der Berliner Dependance beklagt fehlende Neutralität im Beitrag, jedoch in entgegengesetzte Richtung. Freundlicherweise wurden in unserem E-Mail Verkehr, der sich an die Veröffentlichung dieses Artikels anschloss, direkt einige Informationsbroschüren anghängt.

Handl wiederum hat sich einige auffällig aufopferungsvoller Wiki-Editors angeschaut—die sich auch in anderen Web-Foren auf Linie mit der offiziellen Scientology-Meinung zeigen. Der Blogger selbst ist ehemaliges Mitglied und längst bekennender und aktiver Scientology-Gegner. Bei den ersten Anonymous Demonstrationen in Wien war er dabei und im Jahr 2012 trat er als einer der Organisatoren auf. Noch heute unterstützt er das Projekt Chanology, indem es um gezielte Aufklärung gegen Scientology geht.

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Manchmal dauerte es nur Minuten, bis meine Korrekturen wieder gelöscht wurden.

Seine Kritik an Scientology ist begründet, sagt Handl. Er wisse, wovon er spreche: 28 Jahre war er Mitglied, zeitweise sogar in einer Führungsposition. Den Ausstieg beschreibt er als beschwerlich und mit vielen Rückfällen. Eine Krebserkrankung brachte endgültige Zweifel an der vermeintlichen Unversehrtheit, die doch angeblich hochrangigen Scientologen winke.

Handl schaffte den Absprung; allerdings nicht ohne Verluste. Seine Ex-Frau ist auch heute noch bei Scientology, und hat den Kontakt abgebrochen. Der Humor ist ihm geblieben. In meinen Gespräch mit ihm wurde auch schnell eine gesunde Dosis Zynismus erkennbar, mit der er seit 2011 einen ausdauernden Blog gegen Scientology betreibt.

Handl auf einer Anti-Scientology-Demonstration. Alle folgenden Bilder mit freundlicher Genehmigung von Wilfried Handl.

Und offenbar ist er der Institution ein Dorn im Auge. Ohne Anforderungen unsererseits wurde uns von Scientology eine Zusammenfassung zur Person Handl geschickt, mit dem Ziel, ihn als Quelle zu diskreditieren. Datiert ist das Dokument auf das Jahr 2007. Ob diese Behauptungen der Wahrheit entsprechen wurde nicht geprüft, soll hier auch nicht Gegenstand sein.

Ich habe mich stattdessen mit Wilfried Handl über seine Sicht auf die gegenwärtige Web-Informationspolitik von Scientology unterhalten. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie sich Scientology in die Edit-Wars auf Wikipedia offensiv und verdeckt einschaltet, aber auch, wie man der Organisation ihren Versuch als Religion zu gelten, madig machen kann.

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Wie bist du auf das Thema der Wikipedia Einträge von Scientology gestoßen?

Mich hatte ein Leser [meines Blogs] auf die Wikipedia Seite von Scientology aufmerksam gemacht. Daraufhin habe ich sie mir mal angeschaut—und bin fast vom Hocker gefallen.

Was hat dich besonders überrascht?

Der Artikel selbst ist nicht neutral geschrieben, strotzt vor inhaltlichen Fehlern und basiert vorrangig auf einer Person, Dr. Gerald Willms, diplomierter Sozialwirt, dessen Dissertation [sic!] für den Artikel ganze 28 mal bei den Einzelnachweisen herhalten muss. Bei den insgesamt 180 „Nachweisen" im Wikipedia-Artikel griff man dann so ziemlich auf jeden Scientology-„Versteher" (Cult Apoligist) zurück, dem man habhaft werden konnte und bemühte sogar Scientology-Kritiker, indem man Sätze von ihnen zitierte, die ihrer Geschichtsklitterung dienlich waren.

Du hast versucht einzuschreiten. Wie waren deine Erfahrungen? 

Eine kurze Recherche brachte zutage, dass der Artikel fest in der Hand einer speziellen „Fünften Kolonne" war, die ein geschöntes Bild von Scientology verbreitet. Kritisches wurde über die Jahre „entsorgt" und wie ich selbst erleben musste, ist es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, bei der Scientology-Wikipedia-„Community" soweit durchzudringen, dass gewisse Dinge richtig gestellt werden. Im Ergebnis resultiert das dann darin, dass User dann vermittelt bekommen, dass es sich bei Scientology um eine „Neue Religiöse Bewegung" handelt.

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Ich habe versucht, den Artikel zu ändern und diese Fakten richtig zu stellen. Innerhalb kürzester Zeit—manchmal waren es nur Minuten—wurden meine Änderungen angefochten oder gelöscht.

Es gab 2009 schon einmal den Versuch ideologisch gefärbte Artikel auf Wikipedia einzudämmen, indem beispielsweise IP-Adressen von Scientology gesperrt wurden. Dennoch ist der Artikel zugunsten der Institution gewachsen.

Soweit ich weiß, betraf das nur den englischsprachigen Artikel. Der ist mittlerweile ok, da kann man nicht so viel zu sagen. Bei Scientology ist es so, dass sie über die Manpower verfügen, aggressiv zu agieren, um einen Eintrag in ihrem Sinne zu „korrigieren". Und das machen sie auch. Die Anonymität der Autoren bei Wikipedia ist dabei ein echtes Problem. Manche Autoren sind als Scientologen erkennbar, andere nicht und wiederum andere Stimmen werden von Scientology erfolgreich manipuliert, um in ihrem Sinne zu agieren und zu wirken.

Wenn man sich die verschiedenen Versionen des Scientology-Artikels in den letzten Jahren ansieht, lässt sich wunderschön nachvollziehen, wie aus einem kritischen Artikel ein Text wurde, der Scientology sehr freundlich gegenüber steht. Anders ausgedrückt: Aus der Psychosekte wurde eine Neue Religiöse Bewegung gemacht.

Wo liegen für Scientology die Vorteile einer Darstellung als „Neue Religiöse Bewegung"?

Neben steuerlichen Aspekten geht es dabei vor allem darum, dass an einer staatlich anerkannten Religion kaum Kritik geübt wird. Du kannst das an den Zeugen Jehovas in Österreich sehr gut nachvollziehen. Sie wurden vor einigen Jahren als Religion staatlich anerkannt. Zuvor noch gefährliche Sekte, berichtete nun sogar das Fernsehen im freundlichen Ton über deren Massentaufen inklusive Untertauchen im Swimmingpool. Kein Wort mehr von den Kritikpunkten.

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Glaubt du noch daran, dass es möglich ist einen neutralen Wikipedia-Artikel zu schreiben?

Im Prinzip ja. Aber wenn es nicht um Feldmarkierungen aus dem 12. Jahrhundert geht, dann stößt das Wikipedia-Konzept an seine Grenzen. Wenn die Interessen einer einzelner Gruppierungen betroffen sind, die gerne anders gesehen werden möchte, dann funktioniert es nicht mehr blauäugig festzugelegen, dass jeder mitschreiben darf, der den Drang danach verspürt.

Wie geht es jetzt weiter?

Aufgrund von diesem Edit-War wurde ich irgendwann schließlich selbst auf Wikipedia gesperrt. Zwar habe ich noch einen weiteren Nutzernamen, den ich vor einiger Zeit schon angelegt hatte, aber es hat wohl wenig Sinn mit dem aktiv zu werden. Alles, was Scientology nicht gerne hört, wurde unter den Tisch gekehrt. Bestimmte Autoren werden gezielt instrumentalisiert und eingebaut, sofern sie nicht selbst Scientologen sind.

Es gibt da noch eine andere Strategie, die auch zielführend sein kann, die ich verfolgen werde. Dazu sag ich aber noch nichts. Ihr werdet dann demnächst sehen können, ob es klappt.

Update: Inzwischen haben wir auch Kontakt mit der Berliner Niederlassung von Scientology und haben den Artikel mit einigen Anmerkungen zu ihrer Version zu Handls Vorwürfen entsprechend aktualisiert.