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Die Yes Men geben dir eine Anleitung zur Revolution!

Die Yes Men sind als dreiste anarchistische Aktivisten bekannt. Jetzt kümmern sie sich um den Nachwuchs: „Jeder kann ein Yes Man sein.“

Revolutionen wollen gelernt sein und die Yes Men sind die Professoren—ihre Aktionen stellen die freundliche Avantgarde des anarchischen Aktivismus dar. Als wir also hörten, dass sie als „Großmeister der Unberechenbarkeit und kalkulierten Grenzüberschreitung" zur Eröffnungsrede bei der diesjährigen re:publica in Berlin sein würden, waren wir gleich ganz Ohr.

Wir haben uns die Chance nicht entgehen lassen und uns von der wohl effektivsten Spaßguerilla der Welt auf der Web-Konferenz über ein paar Kernkompetenzen des kreativen Protests aufklären lassen—als Vorgeschmack auf ihr Anfang Juni erscheinendes Buch Beautiful Trouble-Handbuch für eine unwiderstehliche Revolution, in dem sie dann zusammen mit anderen Protestprofis über das theoretische Fundament ihrer Aktionen informieren werden.

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Die olympischen Schwimmwettkämpfe finden in einer Art Abwasserpool statt, fast alles Olivenöl ist gepanscht, die freie Meinungsäußerung kann von Regierungschefs einfach mal abgeschaltet werden und, wer Adblocker benutzt, gehört zur geächteten gesellschaftlichen Schicht. Diskussionswürdige Themen gibt es mehr als genug und die Yes Men betonten beim Interview auf der re:publica noch einmal: „Irgendetwas muss jeder tun." Denn:

Wir alle können Yes Men sein.

Vom Ernst der Welt durften wir uns ansonsten auf der re:publica schon in ausreichendem Maß durch die Worte Sascha Lobos überzeugen. Leider kann ich Vorträgen, die mit einer Selbstbeschimpung des eigenen Titels beginnen, nicht lange zuhören. Selbst wenn der ultimativ-widerständige Haarschnitt in seiner „Rede zur Lage der Nation" in angenehmer Deutlichkeit die deutschen Politiker als Mittäter in der NSA-Affäre anklagte.

Über Merkel als verbrecherische Freiheitsgegnerin aufzuklären hilft aber leider auch nicht viel, wenn sich manch deutscher Blogger von Lobos Rede ansonsten genauso aktiviert fühlt wie von „Social-Media-kritischen" Look-Up-Botschaften—und so versuchen die Yes Men den Frustrierten und Empörten mit ihrem Action Switch Board eine Basis für effektive, kollektive und direkte Aktionen zu bieten:

„Wir bekommen massenhaft E-Mails von Leuten, die entweder auch etwas machen wollen oder uns fragen, warum wir uns nicht für die Sache X oder Y einsetzen. Deswegen haben wir jetzt unsere Online-Plattform gegründet, wo Leute Mitstreiter für ihre Ideen finden und ihre Projekte zusammen weiterentwickeln können."

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Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist, darum muss es nicht gleich ein Projekt wie die Fälschung der WTO-Webseite sein, mit dem die Yes Men 1999 ihre ersten öffentlichen Auftritte aquirierten und einige Berühmtheit erlangten. Das schöne Leben ihres anderen Projekts der „Survival Balls" scheint aber auch mir auf den ersten Blick attraktiv—schließlich verspricht es in angenehmer Überzeichnung das Überleben auf der Erde in naher Zukunft weiterhin zu garantieren.

Der Survival Ball—eine sinnvolle Lösung in Zeiten des Klimawandels: ein selbstheizendes, selbstkühlendes, selbstversorgendes, recyclebares Ökosystem als überstreifbares Kugelzelt. Dürreperioden, Eiszeiten, Überschwemmungen und schwere Stürme werden so erlebbar und überlebbar gemacht.

Wichtig für die Vorbildung im Revolutionsgeschäft ist das Wissen um die Abgebrühtheit und Skrupellosigkeit von Großkapitalisten und Konzernen. Als aufrüttelndes Studienobjekt für Einsteiger empfehle ich den Yes Men-Auftritt als Repräsentanten der Firma Dow Chemical—dem Unternehmen, welches 2004 die Katastrophe von Bhopal zu verantworten hatte, an deren Folgen tausende Menschen starben.

Die Yes Men stellten dort ein goldenes Skelett als Symbol für einen Acceptable Risk Calculator vor—ein Computerprogramm, das Standorte auswählt an denen die Menschen bereit sind, ein hohes Unfallrisiko einzugehen. Die 70 anwesenden Banker applaudierten nach der Präsentation und posierten mit Gilda, The Golden Skeleton.

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Ein anderer Protest, der das Aktivistenduo zu Helden von Globalisierungskritikern wie Naomi Klein machte, war ihre Rolle als Exxon-Vertreter auf einer Konferenz der Ölindustrie. Dort präsentierten sie das Verfahren „Vivoleum", bei dem aus den Leichen von Klimatoten ein neues Ölprodukt gewonnen wird.

Die Anwesenden auf der Konferenz waren nach dem Einspielfilm über Reggie nur allzu gerne vollkommen überzeugt: ein Arbeiter, der sich nichts Schöneres vorstellen konnte, als nach seinem Tod mittels Vivoleum zu einer Kerze zu werden.

„Tribute to Reggie"

Das sind nur einige der Beispiele für die bemerkenswerten Ideen und Aktionen der Yes Men. Dreistigkeit, Witz und Organisation sind nach Yes Men-Attidüde die Basis, um Öffentlichkeit zu erregen und sich selbst und andere mit der schockierenden Wirklichkeit zu konfrontieren.

Doch was ist die Essenz hinter den Ideen? Was sind die ersten Schritte hinter einer neuen Aktion?  „Vieles begegnet uns einfach in unserem Alltag. Manche Dinge sind so unerhört und beunruhigend, dass wir etwas dazu machen müssen.", erklärte uns Mike Bonnano.

„Jeder kann etwas tun, jeder kann sich für etwas einsetzen. Man braucht nicht viel dafür, außer einer Perücke, einer Menge Telefoniererei und anderem Organisationskram. Aber es ist nicht schwierig oder kompliziert. Wir können den Leuten auch helfen, aber irgendetwas musst du machen. Und es macht sogar Spaß!"

Noch mehr Tipps, Tricks und Weisheiten bietet die Eröffnungs-Keynote der Yes Men vom Dienstag dieser Woche auf der re:publica:

Du darfst dich halt nicht einschüchtern lassen. Weder von uneinsichtigen Lokalpolitikern, noch von Umweltsündern oder globalen Katastrophen. Denn wie schon Laotse sagte: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.

Übersetzt bei den Yes Men heißt das: „Viele lesen ja gerne Thriller vonTom Clancy, also warum sollen wir uns nicht selbst solche Sachen ausdenken—und schon bist du mittendrin in einer Welt von Verschwörungen und Intrigen."

Unter freundlicher Mitarbeit von Michael Bartle. Besonderer Dank an den Zündfunk.