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Was Pinguinwellen und Verkehrsstaus gemeinsam haben

Gruppenkuscheln in der Antarktis: Die Kaiserpinguine zeigen uns, dass Verkehrsstaus auch etwas Positives haben.

Kaiserpinguine überdauern die tödliche Eiseskälte des arktischen Winters, indem sie sich zu großen Gruppen zusammenkuscheln. Diese Tatsache ist so bekannt, dass man sogar einige Filme darüber gedreht hat. Und es wird sogar noch cooler: Weil sich die Pinguine so eng aneinander drücken, visuallisieren ihre kollektiven Bewegungen manchmal eine wogende Wellen. Sicherlich ist das eines der seltsamsten Phänomene im Tierreich. Im Ernst, schau dir einfach das Video an.

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Bisher dachte man, dass solche Bewegungen organisiert ablaufen: Sobald sich eine Pinguingruppe formiert, bewegen sich einzelne Vertreter nach außen, während andere in die Mitte der Gruppe gelangen, so dass ein wechselseitiger Kreislauf entsteht, bei dem sich jeder mal in der warmen Mitte und mal am kühleren Rand der Gruppe positioniert. Aber Forschungsergebnisse, die diese Woche im New Journal of Physics veröffentlicht wurden, verwenden ein anderes Vergleichsbeispiel: der Verkehrsstau.

Die Kaiserpinguine sind die einzigen Wirbeltiere, von denen man weiß, dass sie während des arktischen Winters bei Temperaturen von -45 °C brüten können. Daher ist die Fortbewegung in großen enggedrängten Gruppen für die Pinguine und ihren Nachwuchs überlebenswichtig. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Gruppenkuscheln die Umgebungstemperatur um bis zu 37,5 °C erwärmen kann, was der Körpertemperatur von Erwachsenen entspricht.

Seit 2011 wird nun damit begonnen, die mögliche Ursachen für die Pinguinwellen zu untersuchen. Daniel Zitterbart und andere Forscher konnten nun zeigen, dass „alle Pinguine in Intervallen von 30 – 60 Sekunden kleine Schritte machen und damit eine Welle durch die gesamte Gruppe schicken. Im Laufe der Zeit führen diese kleinen Bewegungen dazu, dass sich die ganze Pinguingruppe neu organisiert.“ Mit anderen Worten: Weil die Pinguine so eng aneinander stehen, kann jedes Mitglied der Gruppe durch seine individuelle Bewegung die kollektive Bewegung der gesamten Gruppe auslösen. Bewegt sich ein Pinguin, dann bewegen sich alle Pinguine.

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Dieses Video der Autoren der neusten Studie zeigt, wie die Wellenausbreitung dafür sorgt, dass die Pinguingruppe immer eine interne Ordnung bewahrt.

Wenn du schon einmal in einer großen Menschenmenge gesteckt hat, dann weißt du bestimmt, wie schwierig es ist, sich organisiert fortzubewegen. Warum sollten gerade Pinguine gut darin sein? Eine neue Studie, die im New Journal of Physics veröffentlicht und von Richard Gerum von der Universität Erlangen beaufsichtig wurde, untersuchte die Bewegungen von Pinguingruppen anhand von Flüssigkeitsdynamik.

Überraschenderweise konnte gezeigt werden, dass es eine Tendenz für individuelle Mitglieder von Gruppen gibt, sich zu Haufen zusammenzuschließen. Das wurde für viele verschiedene Systeme gezeigt, nicht nur für Pinguine. Weil Pinguine auf ihre Umgebung reagieren können, wurden sie als „selbstgesteuerte Lebewesen“ beschrieben. Die Autoren der Studie haben zu diesem Punkt bemerkt: Sie können selbstständig die Postionen ihrer Nachbarn wahrnehmen, die Informationen verarbeiten und dann ihr Bewegungssystem in Gang setzen, um in die entsprechende Richtung zu gelangen.“

Mit dieser Beobachtung im Hinterkopf behandelten die Forscher die etwa 1,2 m großen Pinguine als individuelle Akteure, die dazu tendieren sich in Gruppen bestehend aus sich ähnelnden Mustern zusammenzuschließen. Die Überlegung dahinter besagt, dass die Pinguine sich so nah an ihre jeweiligen Nachbarn drängen, um Wärme zu konservieren. Die Forscher fanden heraus, dass das sogar soweit geht, dass jedes Mal wenn sich die Pinguine in einem unregelmäßigen Haufen wiederfinden, sie ganz schnell zur ursprünglichen optimal-verteilten Formation mit der besten Wärmeverteilung zurückkehren konnten. Dabei bewegten sich die Gruppen nie als starrer Bock, sondern immer wellenförmig.

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Dieses Diagramm verdeutlicht einige Ergebnisse der Studie von Gerum und Kollegen. B zeigt unterschiedliche Ausgangspositionen mit verschiedenen Graden der Unordnung. A zeigt wie sich die ungeordneten Haufen im Laufe der Zeit durch die Wellenbewegung zu geordneten Formationen reorganisieren.

Im Grunde genommen behaupten die Forscher, dass die Bewegung von Pinguingruppen in etwa genau so funktioniert wie ein anderes uns sehr vertrautes System der zähflüssigen Bewegung: der Verkehrsstau. Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten hinter Verkehrsstaus wurden sehr intensiv erforscht. Die Autoren der vorliegenden Studie haben sich entschlossen ähnliche Modelle beim Rätsel der seltsamen Wellenbewegungen der Kaiserpinguine anzuwenden.

Während eines Verkehrsstaus kommt man nur stoßweiße voran, weil man darauf warten muss, bis sich der Vordermann in Bewegung setzt, bevor man selbst fahren kann. Dieser Rhythmus wird bis nach hinten weitergegeben, so dass sich die Verzögerungen addieren. Das verstärkt auch die Tendenz, der Autofahrer so nah wie nur möglich an den Vordermann aufzuschließen—was wiederum scharfes Bremsen provoziert—, anstelle genügend Platz zu lassen, damit kein Gedränge aufkommt.

Aufgrund der Tendenz der Pinguine immer an einem spezifischen, engbemessenen Platz zu verbleiben, wird jede Störung dieser Position durch die ganze Gruppe weitergegeben.

Stell dir für einen Moment vor, du wärst ein Kaiserpinguin. Du stehst also da, umzwängt von einer Wand aus Pinguinen. Der Typ hinter dir, der mit dem Ei zwischen seinen Füßen, macht auf einmal einen kleinen Schritt nach rechts. Das öffnet eine kleine Lücke für kalte Luft und deswegen bewegen sich alle anderen auch schnell nach rechts. Wenn die Pinguine, die die kalte Luft abkriegen begriffen haben, was los ist, schließen sie die Lücke, um sich wieder aufzuwärmen und so weiter.

Die Forscher schreiben dazu: „die resultierende Kaskade breitet sich von dem initiierenden Pinguin in Form einer Welle mit gleichbleibender Geschwindigkeit und einer rechteckigen Front aus.“

Jeder Pinguin der Gruppe macht irgendwann einmal einen Schritt. Das zerstört die dreieckige Konfiguration der Gruppe auf lokaler Ebene und fordert jeden der benachbarten Pinguine dazu auf, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Dieser Vorgang erfolgt nach einer kleinen Verzögerung und durch einen kleinen Schritt. Die Verzögerung hängt von der allgemeinen Distanz und der Berührungsdistanz zwischen den Pinguinen, sowie von der Geschwindigkeit der Bewegungen ab.

Auf intuitiver Ebene ergibt das Ganze einen Sinn: Große Gruppen von Objekten wie Autos auf der Autobahn und Pinguine in der Antarktis können sich nicht gleichzeitig als Block bewegen, weil jedes Mitglied ein eigenständiges Individuum ist. Das ist auch der Grund, warum sie nur auf den Stimulus des Nachbarn reagieren können, der dann durch das ganze System weitergegeben wird.

Auf unseren Straßen könnte das die Lösung für Staus bedeuten, wenn man sich dazu entschließt, autonome Fahrzeuge einzusetzten. Denn ein Netzwerk aus computergesteuerten Autos könnte stärker als Einheit agieren, und das viel reibungsloser als menschliche Autofahrer. Automatisierte Pinguine existieren zum Glück nicht und werden ihre natürlichen Gegenstücke hoffentlich auch niemals ersetzen. Das aber bedeutet, dass die Kaiserpinguine weiterhin mit ihren Verkehrsstaus leben müssen. Dank der frostigen Vögel werden Staus in Zukunft vielleicht wirklich nur auf der Antarktis vorkommen.