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Steuerung, ALT, Entfernen

Ein faires Smartphone, für das bald niemand mehr sterben muss

Das erste Exemplar der ersten Edition des ersten fair hergestellten Smartphones der Welt hat nun auch Österreich erreicht. Wir haben den Besitzer gefragt, was das Handy so kann.

Foto: Matthias Steinbrecher

Das erste zumindest ansatzweise „unter fairen Bedingungen" hergestellte Smartphone der Welt, das niederländische Fairphone, hat bisher genau 25.000 Käufer, aber derzeit noch weit weniger Besitzer. Grund dafür ist, dass weltweit nur 1.000 Exemplare noch vor Weihnachten ausgeliefert werden konnten; die restlichen Handys tröpfeln jetzt erst langsam in die Postkästen der nachhaltigkeitsbewussten Early Adopter und neuigkeitsgeilen Medienvertreter. Zum Glück muss man aber nicht auf Futurezone & Co. warten, wenn man einen Facebook-Freundeskreis hat. Als das erste Fairphone-Foto in unserer Timeline auftauchte—nämlich bei Matthias Steinbrecher—, mussten wir deshalb sofort um eine Review betteln. Zum Glück nur kurz.

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Das Fairphone kommt schon mal mit Selbstironie in der Verpackung—je nach Sympathie für die niederländischen Entwickler steht auf der mitgelieferten Kartonkarte entweder „Failphone" (eigentlich hätte das im Voraus bezahlte Telefon schon im Oktober ausgeliefert werden sollen) oder auf der Rückseite eben „Fairphone" (denn auch, wenn man vielleicht ein Eck länger wartet, als auf vorgegossene Niedertrachts-Massenware, müssen wenigstens weniger Menschen in kongolesischen Coltan-Bergwerken dafür sterben).

Falls ihr das Fairphone noch nicht kennt: Dabei geht es um die Idee, nach Jahren der wissentlichen Ignoranz gegenüber dem Leid, das die Herstellung unserer i- und sonstwas-Phones mit sich bringt, endlich ein Smartphone zu erschaffen, das auch Menschen mit mehr sozialem Gewissen die Welt des mobilen Surfens und Swipens und sozialen Netzwerkens zu eröffnen.

Foto: Matthias Steinbrecher

Dass ein solches Produkt von den einen weniger und von den anderen mehr Kritik als herkömmliche Smartphones einstecken muss, liegt da irgendwie auf der Hand. Während die einen besonders streng gegenüber allem sind, was in den Verdacht kommt, in Büros mit Räucherstäbchen und Batiktüchern entwickelt worden zu sein, kann es den Menschen mit Räucherstäbchen und Batiktüchern gar nicht schnell genug gehen, bis ihr Gewissenserleichterungsphone endlich mit der Post kommt.

Und—wie immer, wenn es nicht gerade um Nationalsozialismus oder Crocs geht—haben beide Seiten irgendwie recht. Natürlich wird der Mobiltelefon-Markt auf Dauer umsatteln und irgendwann auf nachhaltige Produktion setzen müssen, weil erstens irgendwann die Alternativen ausgehen und zweitens schamlose Ausbeutung immer schwieriger zu rechtfertigen ist, je schwieriger es wird, sich im sozialen Netz auf Unwissenheit rauszureden.

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Andererseits wird selbst das Fairphone zum Großteil aus demselben Material (wenn auch unter besseren Bedingungen) hergestellt, wie jedes andere Smartphone auch—der Unterschied beschränkt sich derzeit noch auf einige wenige Teile—und verkauft eigentlich mehr sein eigenes Potenzial, in das man investiert, als ein 100 % nachhaltig hergestelltes Smartphone (das selbst nach Auskunft der Hersteller heutzutage noch unmöglich zu produzieren ist).

Foto: Matthias Steinbrecher

Dementsprechend schwierig ist es natürlich, ein solches Produkt auch nur ansatzweise neutral zu bewerten. Einen Versuch ist es aber trotzdem wert. Hier deshalb eine kleine Plus/Minus-Liste.

Das ist gut

  • SMS schreiben und Telefonieren funktioniert fein (man sollte nicht unterschätzen, wie oft man auch heute tatsächlich noch telefoniert)—die Sprachqualität passt jedenfalls, was nicht bei jedem China-Handy selbstverständlich ist.
  • Das Fairphone ist recht schwer (163g) und greift sich gut an. Mit dem schicken zweifarbigen Kunststoffgehäuse samt Alu-Akkudeckel wirkt es hochwertiger als die meisten Android-Telefone.
  • Dual-SIM ist zwar in China nix Neues, hier in Europa aber immer noch selten—und die Verwaltung der beiden Simkarten funktioniert perfekt (abgesehen davon, dass ich noch nicht gecheckt habe, wie ich unterschiedliche Klingeltöne für die private und dienstliche Simkarte einstelle … unverzichtbar für alle, die immer noch versuchen, beruflich seriös rüberzukommen, ohne privat auf sehr lustige Körpergeräusche zu verzichten).
  • Mit der 8-Megapixel-Kamera lassen sich recht ordentliche Fotos machen, besonders im direkten Vergleich mit meinem alten U8860 von der phonetisch in Österreich ziemlich sympathischen Marke Huawei. Die Bilder sind deutlich schärfer und viel weitwinkeliger (gut so!). Außerdem geht die Auslöseverzögerung mit einer gefühlten halben Sekunde gerade noch in Ordnung.
  • Austauschbarer Akku (2000mAh), austauschbares Displayglas (nicht verklebt).
  • Kein Ladegerät dabei (hat eh schon jeder).

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Foto: Matthias Steinbrecher

Das ist schlecht

  • Internet gabs mit meiner bob-Simkarte anfangs keines—allerdings hat die Fairphone-Website tatsächlich die passende Anleitung zum manuellen Einrichten parat. Überraschenderweise hat das sogar auf Anhieb wie beschrieben funktioniert.
  • Nach dem ersten Start fehlt der Play Store und die üblichen Google-Apps (Maps, Gmail)—offenbar haben die Entwickler hier nicht rechtzeitig die nötigen Lizenzen bekommen. Stattdessen liegt direkt auf dem Startbildschirm ein Link zur Play Store-Installation (und funktioniert auch).
  • Kein LTE (wer fair sein will, muss auch Zeit haben)
  • Kein NFC (noch wurscht, bald aber vielleicht doch wichtig)
  • Keine 1080p-Videos (schmeichel-, aber auch schemenhafter)

Foto: Matthias Steinbrecher

Das ist das Fazit

Ein recht gutes Mittelklasse-Handy also mit Android 4.2.2 um 325 Euro—vergleichbare Telefone von den großen Herstellern bekommt man teilweise um 50 Euro billiger, ein iPhone 5 kostet aber das Doppelte. Für den professionellen, trendsensiblen Großstädter im Geiste reicht jedenfalls wahrscheinlich schon die stylische naturbraune Fairphone-Verpackung als Kaufargument.

Der Aufpreis fürs gute Gewissen hält sich in Grenzen, dafür gibt es rundum unbezahlbare Aufmerksamkeit („Du hast wirklich eines gekauft???", „Lass anschauen!!!", „Geielllll") und ein bisschen auch das Gefühl, Teil einer guten Sache zu sein.

Wer dem Fairphone Abzocke mit mittelmäßiger Technik vorwirft, kann freilich immer noch ein Billighandy kaufen. Das dadurch Gesparte könnte man dann theoretisch für einen guten Zweck der eignenen Wahl spenden. Weil wir aber alle wissen, wie das mit Vorsätzen und dem einmal gesparten Geld so ist, stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, die Wohltätigkeit wenigstens mitzukonsumieren, als seine unwesentlich billigeres Handy doch wieder nur beim Verpulvern des Angesparten im achtzehnten Vodka-Soda des Abends zu ertränken.

Falls ihr noch überlegt, euch selbst eins zuzulegen, könnt ihr hier auf der offiziellen Sammelseite Erlebnis-Berichte nachlesen und im Anschluss, wenn ihr euch vom sozialmedialen Charity-Charme überzeugen lassen habt, unter dem Hashtag #WeareFairphone am Gespräch teilnehmen.