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Alice Weidel macht jetzt wohl in Bitcoin und sorgt für Ärger in der Krypto-Community

Alice Weidel will ein Bitcoin-Startup gründen. Das geht zumindest aus einer Konferenz-Ankündigung hervor, bei der die AfD-Politikerin zum Thema Geldsystem sprechen darf – eine kontroverse Entscheidung, die viele Krypto-Interessierte missbilligen.
Bild: imago

Der Montagmorgen dürfte für Bitcoin-Interessenten in Deutschland eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen sein. Einerseits sitzt jetzt offenbar eine selbsternannte Krypto-Expertin im Bundestag. Andererseits ist diese Expertin Mitglied im Bundesvorstand der AfD und heißt Alice Weidel.

Das wurde heute klar bei der Ankündigung eines Bitcoin-Events in Hamburg Ende Mai diese Jahres. Unchain heißt die Konferenz, auf der Alice Weidel als "Bitcoin-Unternehmerin" sprechen darf.

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Unter einem Blog-Bericht über die Personalie auf der Konferenz und auf Twitter hagelt es Kritik am Veranstalter; andere Krypto-Interessierte verweisen auf Presseberichte über Weidel und zweifeln ihre Kompetenz auf dem Gebiet an. Co-Organisator Aaron Koenig verteidigt sich und schreibt, er kenne Alice Weidel persönlich und sowieso: Er "brauche keine schlecht recherchierten Artikel der deutschen Massenmedien".

Alice Weidel in der Speaker-Liste | Bild: Screenshot Unchain

In der Ankündigung der Konferenz heißt es, Weidel werde über die Mängel des Geldsystems und private Digital-Währungen als Lösung sprechen. Außerdem soll sie auf einem Panel zur Situation der Kryptoindustrie in Deutschland sitzen.

Der vermeintliche Untergang des Finanzsystems ist eins der Lieblingsthemen von Ökonomin Weidel. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Chemnitz 2016 – und nicht nur da – behauptete sie fälschlicherweise, es gebe einen Plan, Bargeldzahlungen über 1000 Euro abzuschaffen. Sie nennt das, allerdings ohne konkrete Belege zu nennen, "Enteignung".

Der Veranstalter der Bitcoin-Konferenz verteidigt die AfD

Veranstalter Aaron König steht der AfD nahe – auch, weil er im Januar 2017 selbst schon seine Standpunkte zum Thema "Geld ohne Staat" (der Titel seines ersten von zwei Bitcoin-Büchern) zusammen mit Alice Weidel darlegen durfte. Eingeladen zu dieser Diskussionsrunde "über das Geldsystem, den Euro, Golddeckung, Bitcoin und vieles mehr" hatte Beatrix von Storch, und Koenig bedankte sich nicht nur unter ihrem Facebook-Post für die "prima" Veranstaltung, sondern verteidigte die beiden Krypto-Experten der AfD auch in einem längeren Artikel auf der Blogplattform steemit.

Bild: Screenshot Facebook / Beatrix von Storch

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Koenig findet dort warme Worte für die rechte Partei: "Führungsmitglieder wie Beatrix von Storch und unsere andere Speakerin Alice Weidel haben ein gutes wirtschaftliches Verständnis, was bei deutschen Politikern selten vorkommt", lobt Koenig und erklärt weiter: "Fast 300 Menschen erschienen zu der Veranstaltung, die unter Polizeischutz stattfand, denn die AfD wird regelmäßig von faschistischen Gruppen angegriffen (die sich 'Anti-Faschisten' nennen, aber dieselben Methoden nutzen wie Hitlers SA)".

Laut Koenig habe Weidel auf der Veranstaltung im Januar eine "gute Einführung in die Mängel des aktuellen Geldsystems" gegeben, die den "perfekten Auftakt" für seinen Vortrag zum Thema Bitcoin geboten habe. Koenig geht es aber nicht nur um die Erschließung eines neues Publikums in Sachen Kryptowährung: Als in den Kommentaren zu seinem Steemit-Artikel Kritik an der AfD laut wird, verteidigt er auch anderweitig den politischen Kurs der Partei. "Ihre Positionen zum Thema Einwanderung und Islam sind ziemlich vernünftig", findet er.

Veranstalter Aaron König verteidigt die Einwanderungs-Standpunkte der AfD | Bild: Screenshot Bitcoinblog

Um die Startups, die Beraterin Weidel in der Vergangenheit gegründet haben soll, ranken sich hauptsächlich Legenden. Der Startup-Blog Gründerszene hat mehrfach versucht, Auskunft zu den bisherigen Stationen Weidels in Erfahrung zu bringen, doch einzig ein mehrmonatiger Zwischenstopp bei Rocket Internet ist bestätigt. Welche Startups Weidel betreut oder selbst aufgezogen hat, ist nicht in Erfahrung zu bringen, denn Weidel selbst will sich zu Details ihrer Gründer-Vergangenheit nicht äußern. Auf Anfrage von Motherboard zur Bitcoin-Expertise Weidels hat die Pressestelle der AfD bislang nicht reagiert. Wir werden den Artikel entsprechend ergänzen, sobald wir eine Antwort erhalten haben.

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Weidels Liebe zur Kryptowährung hat vor allem mit ihrer Euro-Abneigung zu tun

Bislang hatte sich Weidel in der Öffentlichkeit noch nicht als dezidierte Bitcoin-Expertin hervorgetan – eine ihrer einzigen festgehaltenen Äußerungen zu diesem Thema findet sich auf einer Wahlkampfveranstaltung in Leipzig. Dort fragt ein Zuschauer, wie die AfD zu Kryptowährungen und Bitcoin-Automaten steht. "Natürlich finden wir das gut", so Weidel. "Bitcoin als digitale Währung trägt den Anteil dazu bei, dass wir konkurrierende Währungen haben." Statt allerdings auf die Technologie weiter einzugehen, nimmt Weidel Blockchain und Bitcoin als Aufhänger, um die AfD-Position zum Thema Euro ("Schrottgeld") länger zu bekräftigen.

Die rechte Liebe zu Bitcoin hat auch pragmatische Gründe

Auch in den USA werden Kryptowährungen bei der neuen Rechten regelrecht gehypt: Im März 2017 erklärte der Neonazi Richard Spencer Bitcoin zur Währung der Alt-Right-Bewegung. Auch in Deutschland forderten die Identitären zur Spendensammlung in Bitcoin auf – was auch in gewisser Weise funktionierte: Die letztlich gescheiterte Aktion der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) gegen die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer wurde mit Bitcoin-Spenden unterstützt.

Besonders attraktiv an Kryptogeld ist für die Szene, dass der Staat keinen Zugriff und nur wenig Möglichkeiten der Regulation hat. In der Wirtschaftstheorie gilt die Wiener Schule um den Ökonom von Hayek als Vordenker der Idee von Alternativwährungen, aber die rechte Liebe zu Bitcoin hat auch pragmatische Gründe: Nach den Ausschreitungen von Charlottesville sperrten Godaddy und Google zentrale Web-Domains wie die des Neonazi-Magazins Daily Stormer. Crowdfunding-Plattformen und Bezahldienste wie Apple Pay und Kickstarter drehten der Alt-Right ebenfalls mit dem Verweis auf Hassrede den Geldhahn ab.

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Einen Vorteil hat die Zuwendung der rechten Szene zur Kryptowährung aber auch für die Öffentlichkeit: Unter dem Twitter-Handle @neonaziwallets kann jeder Interessierte verfolgen, welche Geldströme bekannter Neonazis an welche Adressen fließen.

Was Alice Weidel der Bitcoin-Diskussion in Deutschland tatsächlich hinzufügen kann, wird sich Ende Mai zeigen – ebenso, wie sich ihre Einladung auf die Teilnahme anderer Speaker und Gäste auswirkt.

Update, 20.02.2018, 11 Uhr: Das Speakerprofil von Alice Weidel wurde von der Unchain-Website ohne Angabe von Gründen entfernt. Wir haben den Veranstalter angefragt und werden den Artikel bei einer Rückmeldung ergänzen.

Update, 20.02.2018, 12 Uhr: Unchain-Mitorganisator Oskar Giese teilte Motherboard telefonisch mit, dass Alice Weidel heute "aufgrund einer Terminkollision" ihre Teilnahme absagen musste. Weidel sei als informierte Ökonomin eingeladen worden, die sich gut mit der Entstaatlichung von Geld auskenne. "Um Wahlkampf ging es uns nicht", so Giese, schließlich befänden sich auf der Konferenz "lauter glühende Kryptoanarchisten". Auch Gregor Gysi und Sarah Wagenknecht hätte man zuvor angefragt, beide hätten aber keine Zeit gehabt. "Die deutsche Politik scheint nicht gewillt zu sein, zum Thema Blockchain zu diskutieren", meint Giese.

Von anderen Gästen habe er keine negative Reaktion auf die Einladung Weidels erhalten. Man wolle nun auf die Einladung von Politikern verzichten und dazu bald ein Statement auf der Unchain-Website veröffentlichen. Zu Weidels angeblichem Bitcoin-Startup wollte Giese keine Angaben machen.