Neue Studie zeigt, dass Gene bei Psychosen eine Rolle spielen können
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Neue Studie zeigt, dass Gene bei Psychosen eine Rolle spielen können

Ob psychische Erkrankungen nur sozial oder auch genetisch bedingt sind, ist in der Forschung seit Langem eine Streitfrage. Der Fall einer isländischen Familie liefert nun interessante neue Erkenntnisse.

Forscher haben ein neues Gen identifiziert, das mit der Entwicklung von Psychosen in Verbindung stehen könnte. Die Forschungsergebnisse, die am Montag in der Fachpublikation Nature Genetics veröffentlicht wurden, sind vor allem einer Familie in Island zu verdanken: Zehn Mitglieder dieser Familie weisen sowohl Symptome einer Psychose als auch eine bestimmte Mutation im Gen RBM12 auf. Eine weitere Mutation im selben Gen konnte außerdem bei den Mitgliedern einer finnischen Familie festgestellt werden, die verstärkt unter psychotischen Störungen leidet.

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Für die Wissenschaft sind Psychosen kein einfaches Thema: Sie sind besonders schwer zu analysieren, da sie viel mehr ein Symptom als eine selbstständige Krankheit darstellen. Eine Psychose ist ein Daseinszustand, der vorübergehend ist und meist in Schüben auftritt. Nicht zufällig spricht man davon, dass Menschen psychotische Episoden erleben. In dieser Hinsicht ist die Psychose mit einem Fieber oder einem Krampfanfall vergleichbar. Niemand wird die Diagnose stellen, dass jemand an Krampfanfällen erkrankt ist – denn sie sind ein Symptom für eine tieferliegende Krankheit. Das können so unterschiedliche Erkrankungen sein wie Epilepsie oder ein Hirnschaden, aber auch Alkoholentzug oder gar ein zu niedriger Natriumwert im Blut.

Die aktuelle Studie konzentrierte sich auf Familienmitglieder, die unter einer schweren psychischen Störung litten: Schizophrenie, einer schizoaffektiven Störung oder einer psychotischen bipolaren Störung – eine besonders schwere Form der bipolaren Störung. All diese Erkrankungen werden dem Oberbegriff Psychose zugeordnet – eine psychische Störung, die so stark ist, dass die Erkrankten nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Einbildung unterscheiden können.

Um Psychosen ranken sich viele Mythen und Vorurteile

Durch falsche Darstellungen in Literatur und Fernsehen haben sich bei vielen Menschen verzerrte Bilder von psychischen Erkrankungen festgesetzt. Vor allem die Krankheitsbilder Schizophrenie und Psychose sind mit vielen Fehlinformationen und Stigmata behaftet. Psychotisches Verhalten wird meist als gewalttätig und asozial dargestellt. Nicht selten werden auch Psychopathie und Psychose in einen Topf geworfen.

Dabei handelt es sich bei der Psychopathie um eine schwere Form einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Diese zeichnet sich durch fehlende Empathie und andere Charaktereigenschaften aus, die uns ansonsten das harmonische Zusammenleben mit anderen Menschen ermöglichen. Eine Psychose hingegen erleben die Betroffenen oft als ein plötzliches In-sich-Zusammenfallen, das sie von der restlichen Welt abschottet.

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Psychosen können viele Symptome haben

Psychotische Symptome werden in sogenannte Plussymptome und Minussymptome unterteilt. Allerdings werden in der Öffentlichkeit meist nur die Plussymptome porträtiert, also die Wahrnehmungen, die bei einem Erkrankten übernatürlich stark ausgeprägt sind. Im Fall einer Psychose sind das beispielsweise Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Jemand, der unter einer Psychose leidet, sieht oder hört mitunter Dinge, die gar nicht da sind. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Stimmen handeln – eine akustische Halluzination kann auch in Form eines merkwürdigen Hintergrundgeräuschs oder eines seltsamenen Telefonklingelns auftreten, das sonst niemand hört.

Wer hingegen an Wahnvorstellungen leidet, glaubt an etwas, das nicht wahr ist – und hält an dieser subjektiven Gewissheit selbst dann fest, wenn alle Beweise dagegen sprechen. Wahnvorstellungen äußern sich oft in Form von Verfolgungswahn. Die Betroffenen sind dann davon überzeugt, dass jemand hinter ihnen her ist.

Minussymptome bleiben oft unbeachtet – und unbehandelt

Die Minussymptome einer Psychose sind schwerer greifbar und auch weniger leicht behandelbar als die Plussymptome. Dazu zählt beispielsweise die Unfähigkeit, zusammenhängende Gedanken zu fassen. Diese innere Unstrukturiertheit kann sich auch in wirrer, zusammenhangloser Sprache äußern, die auch als "Wortsalat" bezeichnet wird. Andere Minussymptome überschneiden sich mit den Anzeichen einer Depression: sozialer Rückzug, Isolation, Schlafstörungen (die Betroffenen schlafen sehr viel oder gar nicht) und Suizidgedanken.


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Eine besonders extreme Ausprägung von Psychose ist die sogenannte katatonische Schizophrenie, in der sich Betroffene völlig von der Außenwelt abschotten. Betroffene sind oft gar nicht ansprechbar, verfallen entweder in einen völlig lethargischen Zustand oder laufen unentwegt nervös auf und ab.

Warum die Forschungsergebnisse so wichtig sind

Selbst wenn es Wissenschaftlern gelingen sollte, den Zusammenhang zwischen Psychose und einem bestimmten Gen endgültig nachzuweisen, ist das noch lange kein Allheilmittel gegen psychotische Erkrankungen. Denn auch Menschen ohne die RBM12-Genmutation können psychotische Episoden erleben. Das Gen deutet lediglich auf eine Veranlagung für Psychosen hin.

Trotzdem sind die neuen Forschungsergebnisse ein wichtiger Schritt für die Wissenschaft, da sie neue Perspektiven auf die Ursachen von Psychosen einbringen, was hoffentlich hilft, das Verständnis für die Krankheit aufzuklären und mit Missverständnissen aufzuräumen. Genau das ist wiederum notwendig, um bei der Entwicklung neuer Medikamente voranzukommen und dank eines besseren allgemeinen Verständnisses den gesellschaftlichen Umgang mit der Krankheit zu verbessern. Gerade neue Medikamente und Therapien sind dringend nötig, denn bisher gibt es so gut wie keine Behandlungsmöglichkeiten für psychotische Minussymptome, da diese meist unbemerkt ablaufen.