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3.600 Reviews, 40.000 Fotos: Dieser Mann ist der wohl aktivste Yelp-Nutzer Deutschlands

Michael Z. bewertet alles: Restaurants, Bäckereiketten, U-Bahnhöfe, Wurstbuden. "Ich schreibe auch mal zehn Beiträge am Tag", sagt er. Fühlt er sich mächtig?
Yelp-Nutzer Michael Z. links im Bild.
Michael Z., kurz bevor er die Rummelsburger Bucht in Berlin bewertet | Foto: Michael Z.

Er bewertet Deutschland: Wurstbuden, Museen, hippe Szenerestaurants, Einkaufsmeilen, selbst U-Bahn-Stationen, von denen man nicht mal wusste, dass es sie gibt. Über 3.600 Beiträge, 40.000 Fotos, jeden Tag eine Kritik. Michael Z. ist einer der größten Kritiker Deutschlands. Kaum jemand kennt seinen Namen, doch fast jeder der mal Yelp benutzt hat, um herauszufinden, ob sich ein Laden in der Nähe lohnt, hat vermutlich seine Beiträge gesehen.

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Das Netz steckt voller Bewertungsportale. Wohl keines davon hat die Welt so sehr verändert wie Yelp. Seitdem das US-Netzwerk 2004 an den Start ging, landeten 171 Millionen Reviews von Restaurants, Geschäften, Clubs und Hotels auf der Seite. Das deutsche Konkurrenz-Portal Qype schluckte Yelp für 50 Millionen Dollar und verleibte es sich ein. "Ich wünschte, Yelp würde nicht existieren", fluchten schon viele Restaurantbesitzer. Sie zittern vor den Millionen Nutzern wie Michael Z., die aus einem ganz gewöhnlichen Laden plötzlich das schlechteste Restaurant der Stadt machen.

Yelp selbst, schreibt uns eine US-Sprecherin des Netzwerks per E-Mail, sei "nicht in der Lage" zu sagen, wer ihre aktivsten Nutzer sind. Eine öffentlich einsehbare Highscore-Liste gibt es auch nicht. Doch als wir auf Michael stoßen, ist uns schnell klar, dass es kaum jemanden geben wird, der ihm den Rang als wichtigster Bewerter Deutschlands ablaufen könnte. Sein Name taucht überall auf. Er bewertet alles.

Diese Arbeit macht der 44-jährige Augsburger in seiner Freizeit. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, denn Michael arbeitet als Rechtsanwalt und möchte für seinen juristischen Sachverstand im Netz bekannt sein, nicht für seine Meinungen zu Restaurants. Wir haben den wohl aktivsten deutschen Yelp-Kritiker gefragt, was ihn antreibt, ein ganzes Land zu bewerten.

Motherboard: Wenn du Restaurants betrittst, bekommst du dann das große Steak und einen unauffälligen Briefumschlag vom Chefkoch, damit die Bewertung milde ausfällt?
Michael: Nein! So ist das nicht. Das wäre doch durchschaubar. Ich bin ja auch niemand, der groß raushängen lässt, dass er Beiträge schreibt. Und ich möchte auch keine VIP-Behandlung. Ich möchte einfach ganz normal erleben, wie ein Laden ist.

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Gibt es dir ein Gefühl von Macht, andere zu bewerten?
Definitiv nicht. Mir liegt es auch fern, bewusst schlecht- oder abzuwerten.

Du bewertest ja wirklich alles: Bahnhöfe, Sushi-Läden, Straßen. Gibt es irgendwas, das du nicht bewerten würdest?
Es gibt nichts, wo ich sagen würde: Da schreibe ich definitiv nie was dazu. Ich bin in der Regel mit der Bahn unterwegs. Da kommt man automatisch an Bahnhöfe. Wenn ich in Berlin bin, fahre ich U- und S-Bahn. Da komme ich auch immer wieder zu Stationen, wo ich noch nicht war, und schreibe natürlich auch was dazu. Früher hatte ich ein Faible für Bahnhofsbuchhandlungen. Ansonsten schreibe ich natürlich über Hotels. Da kommt immer was zusammen, wenn ich unterwegs bin.

"Wer mich kennt, der kennt meine Marotten"

Jeden Tag ein Beitrag. Wie viel Zeit kostet dich das?
Wahrscheinlich würde ich erschrecken, wenn ich wüsste, wie viel Zeit ich für Beiträge auf Yelp aufwende. Ich kann es aber gar nicht genau sagen. Manche Beiträge gehen in zehn Minuten schnell von der Hand. Bei anderen sitze ich eine Dreiviertelstunde dran. Manchmal habe ich auch einfach Schreibrappel und tippe zehn Beiträge runter. Letztes Wochenende habe ich drei, vier Beiträge geschrieben in der DB-Lounge, als ich auf meinen Zug gewartet habe.

Bist du süchtig nach Yelp?
Nein, Sucht ist das nicht. Vielleicht ein Hobby. Oder Ausgleich. Ich bin einfach ein alter Verfechter des Grundsatzes "do ut des" (lateinisch: Ich gebe, damit du gibst, Anm. d. Red.): Ich möchte nicht nur von den Erfahrungen und Erlebnissen anderer profitieren, sondern auch meine Erfahrungen schildern.

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Nervt das nicht die Leute in deinem Umfeld?
Ich war vor ein paar Jahren mit meiner Mutter in Mainz zum Essen. Und sie so: "Fotografierst du gerade das Essen!?", da hatte ich das Bild aber schon längst auf Yelp hochgeladen. Aber wer mich kennt, der kennt meine Marotten.

Bewertest du privat eigentlich auch alles?
Gute Frage. Ich glaube, ich bekomme das aber schon gut hin, dass ich klar trenne. Es gibt ein Leben "außerhalb von Yelp" und da muss ich keine Sterne vergeben. Und privat bin ich sicherlich niemand, der dafür bekannt ist, alles ständig zu kritisieren.

"Was wir da erlebt haben…wir schütteln heute noch den Kopf"

Dein schlimmster Restaurantbesuch?
Letztes Jahr in Kreuzberg im La Raclette, dem Restaurant von Radio-Moderator und "Dschungelkönig" Peer Kusmagk. Was wir da erlebt haben … wir schütteln heute noch den Kopf. Wir wollten Kaffee, aber die Maschine war wohl kaputt. Da lief dann ein Kellner zum nächsten Späti, um Kaffee zu holen. Hat uns 2,50 Euro dafür berechnet. Der Wein war total warm, die Rechnung hat der Kellner mit dem Taschenrechner auf dem Handy zusammengerechnet. Um Himmels willen. Da gab's genug Anzeichen, den Laden wird es nicht mehr lange geben. Wenige Monate später ging durch die Presse: Das La Raclette macht zu.

Hast du mit deinen Beiträgen mal einen Laden in den Bankrott getrieben?
Nein, aber für mich gab es Folgen. Ich habe einen Beitrag über eine Gaststätte geschrieben. Die hatte was, was man – zumindest bei uns im Süden – kaum noch hat: ein klassisches Nebenzimmer. Ganz praktisch, wenn man mal Stammtisch machen will. Der neue Wirt hatte aber eine extrem muffige Art und die Bedienung war sowas von megaverpeilt. Diese beiden Punkte habe ich angemerkt. Das war aber kein Verriss. Plötzlich kamen ganz viele Beiträge von Nutzern mit neuen Accounts, die den Wirt und den Service lobten. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt … tja, und meine Gruppe und ich, wir haben das Nebenzimmer nie wieder bekommen für unseren Stammtisch.

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Findest du es leichter, online deine Meinung zu sagen als jemandem direkt ins Gesicht?
Ich bin niemand, der sich wie hinter einer Maske in der Anonymität des Internets versteckt. Ich stehe zu meinen ehrlichen Beiträgen. Genauso wie ich auch im realen Leben der Lage bin, klare Kritik zu äußern. Beruflich bin ich es ja ohnehin gewohnt, Dinge zu bewerten, einzuschätzen, ehrlich zu beurteilen und oft genug auch schlechte Nachrichten zu überbringen. Der größte Unterschied zwischen einer Online-Bewertung und einer realen Äußerung Face-to-Face ist sicherlich, dass ich mir für eine Online-Bewertung Dinge besser und gründlicher durch den Kopf gehen lassen kann als situativ.

"Ich bin kein Feinschmecker"

Viele Beiträge auf Yelp sind totale Kampfbewertungen. "Kellnerin hat genuschelt. 1 Stern" – schreibst du auch mal sowas?
Das sind Hassbewertungen. Sie kommen von Leuten mit kaum Beiträgen. Frisch angemeldet. Manchmal kommen die von der Konkurrenz, das ist offensichtlich. Wenn ich mir Beiträge anschaue, dann achte ich nicht nur darauf, wie die Beiträge insgesamt sind, sondern, was da für Infos drin sind. Das Perfekte hat man eh selten.

Sagst du das auch direkt im Restaurant oder wartest du bis zur Bewertung?
Wenn mir was nicht schmeckt, dann sage ich das auch offen. Das letzte Mal war im Mai 2018 in Hamburg. Der Pannfisch hat einfach verdammt salzig geschmeckt. Der Umgang des Service mit der Kritik war aber perfekt. Es gab keine Diskussionen, der Service fragte bei einem Vorgesetzten nach und am Ende ging ein Getränk aufs Haus. Erlebt habe ich aber auch schon, dass der Service meine Kritik, dass ein Schweinebraten nicht geschmeckt hat, nicht akzeptiert und mit mir diskutiert. Peinlich. Das geht natürlich gar nicht.

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Du schreibst seit über neun Jahren Bewertungen, hast bei Qype damit angefangen und dann bei Yelp damit weitergemacht. Welchen deiner Beiträge findest du am gelungensten?
Im Oktober 2016 war ich in Berlin auf der Venus. Den Beitrag zu schreiben, hat richtig Spaß gemacht. Da waren einfach genug Wortspiele dabei und das hat viele Leute zum Lachen gebracht. Genug Silikon für Jahre habe ich auch gesehen.

"Zu den bekannten Läden findet eh jeder"

Verlässt du dich eigentlich auch selbst auf Nutzerbewertungen?
Ich schaue auch, klar. Für mich ist ein wichtiges Kriterium: Leute, die ich persönlich oder aus dem Netz kenne, schreiben darüber. Auf deren Urteil verlasse ich mich. Neulich war ich in Berlin unterwegs, Touri-Ecke, gucke auf Yelp. Da hat eine Bekannte einen Laden bewertet. Da bin ich dann auch reingegangen und konnte genau unterstreichen, was sie erlebt hat.

Was nervt dich an Yelp ?
Es gab in Deutschland mal Community-Events von Yelp. Da habe ich viele Leute getroffen, mit denen ich bis heute sehr gut befreundet bin. Aber seit zwei Jahren ist das Geschichte.

Dein Geheimtipp? Wohin sollte man unbedingt gehen?
Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Fantastisch. Ich bin jemand, der schnell durch Museen geht. Aber da war ich drei Stunden drin.

Hast du auch einen Tipp, wo man essen sollte?
Ach, ich bin kein Feinschmecker. In Berlin gehört eine Currywurst einfach dazu. Und da teste ich dann auch mal eine neue Bude, weil zu den bekannten Läden findet eh jeder. Der Reiz ist für mich ja gerade da, wo nicht jeder Touri-Mainstream hingeht. Da bin ich vielleicht nicht der typische Städtereisende. Aber ich habe ja nichts davon, da hinzugehen, wo jeder hingeht.

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