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Motherboard

Die Proteste zu Artikel 13 haben ihr eigenes Meme – von einem CDU-Politiker

Europapolitiker bezeichnen die Kritiker der Urheberrechtsreform als "Bots" und "Mob". Die reagieren auf die denkbar beste Weise: mit einer total analogen Demo.
Artikel-13-Demo in Köln
Demonstrierende in Köln | Foto: Screenshot YouTube | PietSmiet

Ganz schön lebensecht diese Bots, die sich am Samstag in Köln trafen. Mehr als 1.000 von ihnen versammelten sich in der Innenstadt, eine bunte Mischung aus Frauen und Männern, Jungen und Älteren. Sie lachten und schwangen Schilder, sie skandierten "Wir sind die Roboter" und protestierten gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform. Bei ihrem Anblick musste sich vielleicht auch der CDU-Europaabgeordnete Sven Schulze eingestehen: Krass, vielleicht sind das doch keine Bots. Sondern echte Menschen mit echten Anliegen, die besorgt um das Internet in Europa sind.

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Natürlich sind sie das – Schulze hatte ihnen bloß unfreiwillig einen Running Gag geliefert. Der 39-jährige Politiker twitterte am Freitag: "Jetzt kommen wieder sekündlich Mails zum Thema Uploadfilter und Artikel13 rein. Mal ganz davon abgesehen, dass diese inhaltlich nicht richtig sind, stammen ALLE von Gmail Konten. Mensch Google, ich weiß doch dass ihr sauer seid, aber habt ihr diese fake Aktion wirklich nötig?"

Tatsächlich bekam Schulze offenbar viele wütende E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern bezüglich der Urheberrechtsreform. Schließlich hatten er und seine Partei für den Vorschlag gestimmt. Doch anstatt sie ernst zu nehmen, wie es ein gewählter Vertreter des Volks tun sollte, stempelte er sie als eine von Google ausgeheckte Aktion ab. Weil die meisten Beschwerden von Gmail-Adresse kamen, witterte Schulze dahinter Spam von automatisierten Accounts, also Bots.

Nun wissen wir nicht, ob Gegner der Urheberrechtsreform nicht tatsächlich eine Beschwerde-Aktion mithilfe von Bots gestartet haben, um damit Europapolitiker zu beeinflussen oder zumindest maximal zu nerven. Aktionsportale wie saveyourinternet.eu empfehlen, Schreiben an die Abgeordneten stets zu personalisieren, um den Vorwurf von automatisierten Nachrichten zu entkräften. Was wir wissen: Weit mehr als eine Milliarde Menschen weltweit nutzen eine Gmail-Adresse. Jeder, der ein Android-Smartphone oder einen YouTube-Account hat, ist automatisch bei Gmail. Und gerade in der deutschen YouTube-Szene formte sich in den vergangenen Monaten ein heftiger, wenn auch bisweilen hysterischer, Widerstand gegen die Reform. Dass die Kritiker also vor allem Gmail-Adressen verwenden, ist deshalb nicht unwahrscheinlich.

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Der Protest gegen die Uploadfilter formt sich vor allem auf YouTube

Die Proteste richten sich vor allem gegen den sogenannten Artikel 13 der Reform. Er sagt, dass Onlineplattformen nach dem Inkrafttreten der Reform unmittelbar für die Urheberrechtsverletzungen durch ihre Nutzerschaft verantwortlich gemacht werden. Das heißt: Betreiber von Internetplattformen müssen jedes von Nutzern hochgeladene Bild und jedes Video vor der Veröffentlichung prüfen. Hat die Plattform keine Lizenz mit den Urhebern abgeschlossen, darf es nicht veröffentlicht werden, sonst drohen Strafen.

Deshalb müssten die Plattformen die Inhalte schon beim Hochladen auf Rechteverletzungen checken. Wie das funktioniert und implementiert wird, ist noch nicht klar und auch nicht im Gesetz festgelegt. Doch wenn man kein Personal einstellt, das jedes Bild händisch prüft, liegt eine technische Lösung nahe, etwa durch Uploadfilter. Kritiker wie die Piraten-Politikerin Julia Reda warnen vor Zensur und Problemen für neue Onlinedienste. Und auch wenn die genaue Umsetzung noch nicht gesetzt ist, fürchten YouTuber, dass durch die neuen Gesetze Kanäle und Videos, zum Beispiel von Remixen oder Parodien, fälschlicherweise gelöscht werden könnten.


Auf Motherboard: Dieser Mann hütet eines der wichtigsten Kabel des Internets


Deshalb mobilisieren derzeit gerade in Deutschland viele YouTuber und Streamer ihre Fans, auch außerhalb des Internets ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Mit Erfolg, wie sich am Wochenende in Köln zeigte: Der Streamer Sebastian Worms hatte erst am Donnerstag zu einer Demo am Samstag aufgerufen und schnell verbreiteten sowohl bekannte YouTuber wie Unge, HerrNewstime und PietSmiet den Termin. Zwei Tage später kamen trotz der kurzen Vorbereitung zwischen 1.000 und 1.500 Menschen auf die Domplatte, die teilweise wieder direkt vor Ort für mehrere Tausend Zuschauer und Zuschauerinnen streamten. Und auch im Netz reißt der Protest nicht ab: Eine Onlinepetition gegen die Reform hat bereits 4,7 Millionen Unterzeichner und Unterzeichnerinnen.

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"Wir sind keine Bots" - so reagieren die Kritiker der Urheberrechtsreform

Angesichts dieser Gegenbewegung wirkt die Aussage des Europapolitikers Sven Schulze umso kurioser. Sie reiht sich ein in eine ganze Serie unglücklicher Behauptungen der vergangenen Woche: Seine CDU-Kollegin Monika Hohlmeier schrieb am Donnerstag auf Twitter von einer "Fake-Kampagne der IT-Giganten", die Kinder und Jugendliche instrumentalisiere. Am gleichen Tag erschien ein mittlerweile wieder zurückgezogener Blogbeitrag der EU-Kommission, in dem die Gegner der Reform als "Mob" bezeichnet wurden.

Viele der Protestierenden in Köln griffen am Wochenende die Rhetorik der Politiker auf: "Ich bin ein Bot", stand auf manchen Schildern, auf anderen Schildern war genau das Gegenteil zu lesen: "Ich bin kein Bot, nehmt mich ernst" und "Wir sind kein Mob". Sowohl auf der Straße als auch in den sozialen Netzwerken reagierten Nutzer mit Memes auf Schulzes Aussagen – denn Memes, die sich häufig urheberrechtlich geschützten Materials bedienen, könnten von Artikel 13 ebenfalls betroffen sein.

In jedem Fall wollten die Demonstrierenden zeigen, dass hinter ihrer Wut und Sorge keine anonymen Internetkonten stecken, sondern mündige und in der Regel technisch versierte Menschen, die auch nicht von Konzernen oder einzelnen Plattformen gesteuert werden. Am kommenden Samstag, den 23. Februar, sollen weitere Protestaktionen folgen, auch in anderen Ländern. Vielleicht erkennen Abgeordnete wie Sven Schulz und Monika Hohlmeier ja dann: Es gibt wirklich Menschen, die sich um die Zukunft des Internets sorgen.

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