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Islam

Ungarisches Staatsfernsehen berichtet: Stadt Essen wird wegen Ramadan in "Fasten" umbenannt

Vor lauter Wut haben sie vergessen, gründlich zu recherchieren.

Man muss keine literarische Tiefenanalyse durchführen, um zu erkennen, dass das Portal Noktara es mit Beiträgen über die Umbenennung von Wikipedia in "Wallahpedia" oder Baby-IS-Terroristen, die mit der Enthauptung von Kuscheltieren drohen, nicht wirklich ernst meinen kann. Die Journalisten und Journalistinnen der ungarischen Nachrichtensendung "Híradó" scheinen die Anmerkung "Satire" bei ihrer Recherche allerdings übersehen zu haben. Vielleicht waren sie aber auch einfach blind vor Empörung: In einer Sendung vom 20. Mai griffen sie eine Spaßmeldung von Noktara als echte Nachricht und eindeutiges Anzeichen der Islamisierung Deutschlands auf.

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Die AfD hätte sich das Märchen um die Stadt Essen kaum schöner ausdenken können: Aus Solidarität mit Muslimen und Musliminnen, die vergangenen Mittwoch den Fastenmonat Ramadan begonnen haben, werde die Stadt Essen in "Fasten" umbenannt, berichtete die Satireseite daraufhin. Weiterhin hieß es dort, dass noch vor den Pfingstfeiertagen neue Ortsschilder aufgestellt würden, um sich mit den fastenden Gemeindemitgliedern solidarisch zu zeigen. So habe der Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU, Verteidiger des Aufnahmestopps für Ausländer der Essener Tafel) gesagt: "Als Oberbürgermeister ist es meine Aufgabe, Begegnungen zu fördern. Die Geschichte unserer Stadt zeigt: Ein gutes Miteinander ist möglich. Und ein gutes Miteinander ist wichtig."

Bearbeitete Bilder des Ortsschildes sollen die "Islamisierung" beweisen

In seiner Nachrichtensendung vom Pfingstsonntag berichtete der staatlich finanzierte Kanal "M1" über das vor der Islamisierung stehende Deutschland. Aufhänger waren mehrere Auseinandersetzungen in Dresdner Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete. Auslöser für einen dieser Streits soll eines eingeblendeten Online-Artikels zufolge die nächtliche Essensvergabe während des Ramadan gewesen sein. Außerdem berichtet der Nachrichtensprecher, in Deutschland habe man wohl eine andere Sicht auf die islamischen Traditionen. Sein "Beweis" dafür: Während des Fastenmonats gebe es in der Dresdner Unterkunft nachts zwei Mal Essen für die geflüchteten Muslime.


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Doch der Fernsehjournalist setzt noch einen drauf und lässt die bearbeiteten "Fasten"-Ortsschilder von Noktara durchs Bild flimmern – und berichtet von der Umbenennung der Stadt Essen, als gäbe es statt Bockwurst künftig nur noch Sucuk. Dass es sich dabei um einen Satirebeitrag handelt? Geschenkt. In der rechtsnationalen Regierung Ungarns unter dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán sind Beiträge gegen Geflüchtete vielerorts ohnehin an der Tagesordnung. Erst der regierungskritische Blog "444" enttarnte die Meldung als "Fake News".

Ob "Híradó" die Falschmeldung bewusst verbreitet hat oder einfach halbherzig recherchiert hat, bleibt offen. Die Nachrichtensendung vom Sonntag ist nach wie vor in einer Online-Mediathek abrufbar, die mehrere ungarische Sender abdeckt. Dort gibt es auch "Unser Bildschirm", das deutschsprachige Programm des Senders. Es gibt in der Redaktion also zumindest jemanden, der sich Noktara hätte genauer anschauen können.

Schließlich kann niemand dem Satireportal vorwerfen, Menschen mit vermeintlich saudi-arabischem WM-Bier und Halal-Bifis "aus Türkenfleisch" bewusst in die Irre führen zu wollen. Ein Klick auf die "FAQs" der Noktara-Website reicht, um zu erkennen, dass es sich dabei um muslimische Satire handelt: "Im Gegensatz zur restlichen Lügenpresse, geben wir wenigstens zu, dass unsere Meldungen frei erfunden sind und aus Tausendundeiner Nacht stammen", schreiben die Betreiber dort. Mit ihrer "Ethno-Satire" wollen sie "orientalische Würze" in die Deutsche Satirelandschaft bringen, heißt es weiterhin. Für die ungarischen Journalisten war diese offenbar noch zu scharf.

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