Das Lied des Jimmy McGuinness—Die Iren und Gaelic Football
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Das Lied des Jimmy McGuinness—Die Iren und Gaelic Football

Gaelic Football ist eine Mischung aus Fußball, Basketball und einer Kneipenschlägerei. Du hast noch nie davon gehört? Vielleicht, weil Gaelic Football der Nationalsport der Iren ist und sie verdammt stolz drauf sind, dass es so bleibt.

Jim McGuinness ist Sportpsychologe bei Celtic Glasgow. Seit 2012 arbeitet er mit dem legendären schottischen Team zusammen, obwohl er eigentlich keinerlei Verbindung zu Fußball hat. Das Spiel, das Jim McGuinness zur Legende machte, heißt Gaelic Football. Es ist der Volkssport der Iren. Und die Geschichte des Jim McGuinness wahrscheinlich eine der schönsten der irischen Sporthistorie…

Es ist der Moment, von dem jeder Ire als Kind das erste Mal und von da an sein Leben lang träumt. Am Nachmittag des 23. September 2012 steht Jim McGuinness Arm in Arm mit seinen Co-Trainern auf einem Spielfeld in Dublin und lauscht der Rede seines Kapitäns Michael Murphy. Es ist nur wenige Minuten her, dass der Schiedsrichter das 125. All-Ireland-Football-Final abgepfiffen hat, ein Spiel, von dem die irische Fußball-Legende Roy Keane behauptet, dass es größer als das WM-Finale sei und das einmal im Jahr das gesamte Land vereinnahmt.

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Mehr als 80.000 Iren sind im Croke Park Zeuge dieses Moments, der Rest der Insel hat sich in den Pubs vereint und starrt gebannt auf die Bildschirme, als sich die Augen von Jim McGuinness verengen. An die zwanzig Jahre hat er auf diesen Tag hingearbeitet, vor einigen Augenblicken sprang er noch vor den Tribünen auf und ab, schloss seine Spieler und seine Familie in die Arme, aber in diesem Augenblick ist er hochkonzentriert.

Murphy erzählt dem Land von einem Trainer, der sein Leben verändert hätte, er sagt, dass es keine Worte gäbe für das, was dieser Mann für die Jungs und seine Anhänger getan habe. „Seine Liebe zu seiner Heimat ist unbeschreiblich", sagt er, dann dankt er den Menschen aus Donegal, die das Team so wahnsinnig unterstützt hätten. Und dann zögert er einen Moment. „Eine Sache noch", sagt er lächelnd und stimmt zum Abschluss seiner Rede jenes Lied an, das sie seit Wochen schon singen, bevor er den Sam-Maguire-Cup mit einer Hand in den Himmel stemmt und die Pubs in der Grafschaft Donegal explodieren.

Der Croke Park singt für Jimmy McGuinness

Als kurz darauf der Song „Jimmy's Winning Matches" aus den Lautsprechern dröhnt, die Menschen auf den Tribünen tanzen und singen, als sich Jim McGuinness Gesichtszüge wieder in Freude auflösen und ganz Irland sich geschlossen vor ihm und seiner Mannschaft verneigt, geht eine Reise zu Ende, die vor mehr als zwanzig Jahren in einem kleinen Kaff im Nordwesten Irlands begann. Und wie jede gute Story geht es auch hier um ein paar wilde Jungs, einen Traum und einen verdammt guten Song.

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Am Ende ist es eine der verrücktesten Geschichten der irischen Sporthistorie und handelt von einem Jungen namens Jimmy, der in die Welt zog, um das Spiel zu gewinnen.

Das Spiel seines Herzens

„Football ist mein Leben", sagt Jim McGuinness und er sagt es so, wie es nur ein Liebender tun kann. „Ich kann nicht erzählen, dass es mein Job ist, denn es hatte nie was mit Arbeit zu tun. Es ist eine Leidenschaft. Die größte, die ich habe."

Es gibt dieses berühmte Zitat der Liverpooler Trainerlegende Bill Shankly, wo es heißt, dass Fußball mehr sei als ein Spiel auf Leben und Tod. Wer es noch intensiver haben will, der muss in die Seele jenes Spiel eintauchen, das Jim McGuinness Zeit seines Lebens gespielt hat. Gaelic Football ist der am weitesten verbreitete Sport auf der Insel, seinen Ursprung hat er im Cross-Country-Caid, dem Kampf zwischen zwei Dörfern, die mit allen Mitteln versuchen, einen Ball durch das gegnerische Stadttor zu hämmern, und sei es mit roher Gewalt.

Gaelic Football mag für Fußballer recht sonderbar wirken.

Wer das erste Mal die reglementierte Variante dieses Spiels sieht, erkennt erst nach und nach, dass sich dort Regeln des Fußballs mit denen des Rugbys, des Basketballs und des Handballs vereinen, aber was einem sofort ins Auge fällt, sind die Schnelligkeit, die Wucht und die Härte, mit der Gaelic Football gespielt wird. In seinen schönsten Momenten ist das Spiel ein irrer, körperbetonter Rausch aus Tempo-Dribblings, Tacklings und Kombinationen, aber wenn es ins Stocken gerät, die Teams um jeden Zentimeter kämpfen und beißen, dann kann Gaelic Football schnell wie das sportliche Pendant zu einer Kneipenschlägerei wirken.

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Die Regeln des Gaelic-Football

In Irland ist es der Volkssport schlechthin. An die 2.800 Vereine gibt es, über 180.000 Spieler betreiben das Spiel aktiv, alle vereint sie ein Ziel: Das All-Ireland-Finale im Croke Park. Wer dort das Spielfeld als Sieger verlässt, der hat als Sportler in Irland alles erreicht.

Eine Kathedrale in Dublin

„Gaelic Football wird ausschließlich von Amateuren gespielt. Die Spieler kehren nach dem Finale in ihre normalen Berufe zurück, es sind Bankangestellte, Studenten und Lehrer. Sie sind Teil der Gemeinschaft", erzählt Stephen Lambe, Tour-Guide im Croke Park. Lambe ist noch keine 30, hat rote Haare, und noch irischer als er selbst ist nur die Geschichte des Ortes, durch den er führt.

Stephen Lambe ist—wie fast jeder Ire—Mitglied in der G.A.A., der Gaelic Athletic Association, die sich um die Pflege der irischen Traditionen und Organisation dieser uririschen Sportart bemüht. Die G.A.A. hat Croke Park erbaut und sie ist weitaus mehr als nur ein Sportverband. Seit ihrer Gründung im Jahr 1884 kämpft sie um die irische Unabhängigkeit, auf ihren Spielfeldern verbot sie jahrzehntelang britische Sportarten wie Fußball und Rugby, und ihre Ablehnung ging so weit, dass sie jeden aus ihrem Kreis verbannte, der bei solchen Sportarten auch nur als Besucher auftauchte. Croke Park ist ein heiliges Stadion, das nur in Ausnahmefällen für andere Sportarten genutzt werden darf. Das fünftgrößte Stadion Europas mit einem Fassungsvermögen von knapp 80.000 Zuschauern ist ausschließlich den Amateursportarten der Iren vorbehalten. Es ist ihr Stadion.

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Stephen Lambe steht in einer der beiden Umkleidekabinen, aus Gründen der Fairness sind sie symmetrisch gebaut. Vor ihm sitzt eine internationale Reisegruppe, hinter ihm hängen die Jerseys aller irischen Grafschaften akkurat von den Bügeln herab. „Es geht bei unserer Sportart ausschließlich um den Stolz, das Jersey deiner Heimat tragen zu dürfen. Es geht darum, deine Leute auf dem Spielfeld zu vertreten und zu repräsentieren." Es wird merklich ruhiger, als Lambe von diesem Ethos berichtet, vollkommen still wird es, als er noch ein Stück weitergeht. „Gewinnst du in diesem Jersey das All-Ireland, dann bist du für die Menschen ein Held. Sie werden es dir niemals wieder vergessen."

Croke Park mitten in Dublin

Der junge Rotschopf leitet die Gruppe durch die Katakomben, an dem Platz vorbei, wo die Teambusse halten, durch die Spielerkabinen bis hin zum Bankettsaal. Croke Parks Geheimnis enthüllt er, wenn er die Gruppe durch den Tunnel langsam in das Stadion und von dort aus an den Spielfeldrand führt, wo sich die Tribünen erst in ihrer vollen Größe entfalten und die Stille sich wuchtig über das Feld und die Sitzreihen legt.

Croke Park ist Teil unserer Geschichte", erzählt er und zeigt auf den einzigen Stehplatzrang des Stadions. Die Tribüne ist ein wenig tiefer gebaut als die anderen und hinter ihr zeigt sich Dublin in seiner ganzen rauen Schönheit, wenn die Züge auf graubraunen Gleisen über ihr langsam ins Zentrum der Stadt oder aus ihr herausfahren.

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„Diese Tribüne heißt Hill 16", erzählt Lambe. „Die Iren besetzten 1916 öffentliche Gebäude in dieser Stadt und kämpften gegen die britischen Besatzer. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, aber er ist der Beginn des Kampfes um unsere Unabhängigkeit. Hill 16 wurde aus den Trümmern des Osteraufstandes erbaut", sagt er, dann deutet er auf die monströse Tribüne im Rücken der Gruppe. Es ist jener Ort, an dem am Tag des All-Ireland der irische Präsident seinen Platz einnimmt, um dem Spiel und den Spielern seinen Respekt zu zollen. „Die Geschichte des Hogan Stand ist noch trauriger. In der Nacht zum 21. November 1920 wurden in Irland mehrere britische Agenten von einer Vorläufer-Gruppierung der IRA ermordet. Am Tag darauf stürmten britische Kräfte das Stadion und schossen wahllos in die Menge. Neben dreizehn weiteren Menschen kam dabei der Spieler Michael Hogan ums Leben. Nach ihm wurde die Tribüne benannt, vor der Sie stehen."

Die Geschichte des Croke Park

Stephen Lambe hat diese Tour wohl bereits einige hundert Mal gemacht, aber seine Augen glänzen noch immer, wenn er von Croke Park berichtet. „Wir werden oft gefragt, ob es bei einem derart wichtigen Spiel wie dem All-Ireland keine Spannungen unter den Zuschauern gäbe", erzählt er. „Es geht aber beim All-Ireland nicht nur um die sportliche Rivalität. Es ist für uns Iren einer der wichtigsten Tage des Jahres, an diesem Tag sind wir alle Brüder. Und deswegen lautet die Antwort: Nein, es gibt keine Spannungen. Nach dem Spiel sitzen wir in den Pubs und trinken gemeinsam. Croke Park ist unsere spirituelle Heimat, verstehen Sie?"

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Croke Park, Sitz der irischen Seele

Gaelic-Football-Spieler werden auf der Insel wie Helden verehrt, das All-Ireland-Finale ist die Krönung und das Ende dieses Weges, Croke Park die Kathedrale, in der aus einem Amateursportler ein irischer Held wird.

Jim McGuinness sollte 1992 als Teenager zum ersten Mal an einem dieser Endspiele teilnehmen—und war noch ein kleiner Junge, als sie ihm viel zu früh zum ersten Mal die Krone aufsetzten.

Was euch im 2. Teil erwartet:

Aus dem Alaska Irlands auf die große Bühne und zurück: Der Spieler Jim McGuiness

Angespornt durch einen Schicksalsschlag wird Jim McGuinness zu einem bekannten Gaelic-Football-Spieler. Es ist die Geschichte eines Mannes, der mit Mitte 20 seinen Schulabschluss nachholt, Fitnesstrainer und Sportpsychologe wird und so den Weg zum Legendenstatus in seiner Sportart ebnet.