Urteil gegen Shiny Flakes-Betreiber: 7 Jahre Gefängnis für Maximilian S.
Das Urteil wurde im Leipziger Landgericht gesprochen. Bild: Imago

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Urteil gegen Shiny Flakes-Betreiber: 7 Jahre Gefängnis für Maximilian S.

„Wenn’s nicht illegal gewesen wäre, hätte man eigentlich den Hut vor dem Angeklagten ziehen müssen“, erklärte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer im bisher größten deutschen Darknet-Drogenprozess.

In Leipzig ist am Montag einer der spektakulärsten BTM-Prozesse Deutschlands zu Ende gegangen: Der 20-jährige Maximilian S. wurde für schuldig befunden, 914 kg Drogen über das Darknet und Clearnet verkauft zu haben. Das Urteil: Sieben Jahre Haft. Die Verurteilung erfolgte nach Jugendstrafrecht vor dem Landgericht Leipzig und markiert damit auch das Ende des bisher größten deutschen Prozesses um Darknet-Kriminalität.

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Nach seinem für viele Beobachter überraschenden Geständnis Ende September befand ihn der Vorsitzende Richter Göbel für schuldig, den Online-Drogenshop Shiny Flakes aufgebaut und betrieben zu haben. Von Dezember 2013 bis zu seiner Verhaftung am 26.02.2015 habe er Bitcoins in Höhe von 4,4 Mio. Euro (3,9 Mio. Euro nach Wertverlust) eingenommen.

Richter Göbel äußerte sich in seiner Urteilsbegründung auch zur Digitalisierung des Drogenhandels, die in den vergangenen Jahren dank Darknet-Schwarzmärkten und anonymen Zahlungsmöglichkeiten als Alternative zum traditionellen Straßenverkauf aufgetaucht war: „Der Computerkram mag vieles erleichtern, aber das [Online Verkaufen] ist genauso schlimm wie auf der Straße zu dealen", erklärte Göbel und bewertet damit den Verkauf aus dem Kinderzimmer heraus nicht strafmindernd.

Das Ende von Shiny Flakes: Aufstieg und Fall eines 20-jährigen Online-Dealers

Maximilian S. nahm das Urteil ungerührt auf. Schon während der heutigen Zeugenaussage seiner Mutter, er sei im Umgang mit ihr zunehmend „uneinsichtig, mürrisch, beratungsresistent und faul" gewesen, zeigte er kaum Emotionen. Er möchte im Gefängnis eine Ausbildung anfangen. Pläne habe er zwar noch nicht, jedoch wolle er „auf keinen Fall Künstler oder Pfleger werden", wie er gegenüber der Jugendgerichtshilfe sagte. Jedoch habe die Haft bereits erzieherische Wirkung hin zu mehr Einsicht beim Angeklagten geleistet, so die Sachverständigen.

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„Wenn's nicht illegal gewesen wäre, hätte man eigentlich den Hut vor dem Angeklagten ziehen müssen."

Anders als bisher von Prozessbeobachtern erwartet, entschied das Gericht, Maximilian S. nach Jugendstrafrecht zu verurteilen. Dem Urteil vorausgegangen war ein Gutachten der Jugendgerichtshilfe, das Maximilian S. zwar wirtschaftliche Selbstständigkeit und einen hohen IQ, jedoch eine mangelnde „Lebensplanung" und emotionale Unreife bescheinigte.

Der Angeklagte Maximilian S. nimmt neben seinem Anwalt Platz. Bild: Theresa Locker / MOTHERBOARD.

In solchen Päckchen verschickte Shiny Flakes seine Ware und legte dabei gerne auch ein Gummibärchen zum Ecstasy dazu. Bild: Bak Navi. VICE | MOTHERBOARD

Der forensische Sachverständige Dr. Hyronimus schloss sich weitestgehend dem Gutachten der Jugendgerichtshilfe an, das am Montag ebenfalls verlesen wurde: Maximilian S. sei bereits als Kind auffällig und in der Schule unbeliebt gewesen, auch habe er eine zehnjährige medikamentöse und in Teilen auch psychologische ADHS-Therapie durchlaufen. Dementsprechend habe er „die emotionale Tragweite seiner Tat bis heute „nicht verstanden", ihm fehle „ein emotionaler Kompass" sowie die Fähigkeit zur sozialen Interaktion in Gruppen. Beide Sachverstädnigen attestierten ihm eine „verzögerte Reifeentwicklung".

Überraschende Wende im Shiny Flakes-Prozess: Beschuldigter packt aus

Nach dem Abbruch seiner Ausbildung zum Restaurantfachmann begann der damals 19-jährige sich voll dem Betrieb von Shiny Flakes zu widmen und baute so schließlich einen der umsatzstärksten Online-Drogenshops Deutschlands auf. Abgesehen von der Starthilfe durch seinen inzwischen verhafteten Mentors RedBull und den bereits früh abgetauchten Unterstützers mit dem Usernamen DummesSchwein arbeitete Maximilian S. alle Jobs als Online-Dealer weitgehend allein ab—vom technischen Umgang mit Bitcoin-Wallets und dem Server über die Lieferungsannahme bis hin zum Versand.

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„Da muss ja noch was sein in den ganzen unknackbaren Wallets."

In einem Interview mit Motherboard erläuterte der Shiny-Flakes-Betreiber im August 2014 sein Geschäft und führte seinen Erfolg sowohl auf die „exklusiven Pillenangebote" aber auch die Shop-Optimierung durch statistische Analysen von „Kunden- und Kaufverhalten" zurück. Vor allem jedoch machte es Shiny Flakes auch Kunden ohne Deepweb-Erfahrung äußerst einfach, über das Internet Drogen zu bestellen und gewann so mit seinem bildstark gestalteten Web-Shop zahlreiche Konsumenten. Von MDMA, Ecstasy und Speed über Crystal Meth und LSD bis zu Marihuana, das er zeitweise aufgrund zu hoher Nachfrage nicht mehr verkaufte, hatte Shiny Flakes gegen Bitcoin-Zahlung eigentlich alles im Angebot und versuchte sich stets serviceorientiert zu geben.

Wenige Tage nach der Festnahme präsentiert die Polizei Anfang März 2015 die beschlagnahmten Drogen. Bild: Theresa Locker | MOTHERBOARD

Screenshot von der Website von Shiny Flakes.

„Wenn's nicht illegal gewesen wäre", so der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer, „hätte man eigentlich den Hut vor dem Angeklagten ziehen müssen." Er forderte unter Berücksichtigung des Umfangs des Geschäfts und des Angebots eine Haftstrafe von 8 Jahren und acht Monaten, denn „von einer Schnapsidee zu reden, wäre eine Verharmlosung."

Der Anwalt von Maxmilian S., Stefan Costabel, plädierte dagegen, sein Mandant habe sich „fremdbestimmt, in einem Hamsterrad befunden und im Aufbau von „Shiny Flakes" einen „Kick gesucht", den man durchaus als Jugendverfehlung werten könne—und er sei zudem vollumfänglich geständig gewesen. Er forderte sechs Jahre und sechs Monate. Nach dem Urteil erklärte der Anwalt Costabel allerdings sichtlich erleichtert gegenüber Medienvertretern: „Ich bin heute hochzufrieden. Wir haben heute alle Ziele erreicht."

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Exklusiv: Wie die Ermittler Shiny Flakes wirklich auf die Spur kamen

Es waren zwei kleine Fehler, die Maximilian schließlich zum Verhängnis wurden und die Leipziger Polizei auf seine Spur brachten: Zum einen frankierte er manche seiner Sendungen nicht ausreichend, weshalb es in einem Leipziger Postzentrum zu einer Häufung von Rückläufern mit auffälligem Inhalt kam. Und zum anderen nutzte Maximilian S. zum Versand immer dieselbe Packstation, die sich nur unweit von seinem Haus befand:

Zu der Packstation 145—die videoüberwacht wurde—ließ er sich per Taxi fahren, das er mit einem Handy bestellte, welches er exklusiv für diese Fahrten benutzte. Mehr als ein Dutzend Mobiltelefone und zwei Dutzend SIM-Karten wurden in seinem Zimmer sichergestellt—ein unglaublicher Organisationsaufwand, der mit dem Umfang des Geschäftsvolumens stetig anstieg. Unter welchem Druck der Dealer gestanden haben muss, kann man sich nur schwer vorstellen.

Dieses Bild schalteten die Leipziger Ermittler wenige Tage nach der Festnahme auf der Website von Shiny Flakes. An die Serverzugänge waren sie gekommen, weil nicht alle beschlagnahmten Festplatten verschlüsselt waren.

Den Ermittlern erschloss sich die ganze Dimension des Falls erst, als sie Maximilian S. in seinem Kinderzimmer festnahmen—in den Regalen ringsherum stapelten sich sauber sortiert zahlreiche Drogen. Der Zugriff erfolgte kurz nach einer Lieferungsübergabe mit einem 51-jährigen Kurier, den Maximilian S. auf einem Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung im Leipziger Norden getroffen hatte. (Der Lieferant ist bereits zu 5 Jahren und 10 Monaten Gefängnis verurteilt worden.)

Ob Maximilian nach seiner Entlassung tatsächlich völlig mittellos dasteht, ist trotz der polizeilichen Beschlagnahmungen nicht gesagt: Auf zwei der Bitcoin-Wallets hat die Polizei nach wie vor keinen Zugriff und kann deshalb den Kontostand nicht einsehen; sein Anwalt Stefan Costabel behauptet jedoch, beide Krypto-Wallets seien leer. Richter Göbel allerdings zeigte sich davon nicht restlos überzeugt: „Da muss ja noch was sein in den ganzen unknackbaren Wallets."

Währenddessen versucht die Polizei noch immer, die beschlagnahmte Bitcoin-Summe in einer Notveräußerung loszuwerden.