„Hass", „Neo Ger", „Amoklauf": Der Amokläufer von München soll auf Counter-Strike mit vielen verschiedenen Namen unterwegs gewesen sein, wie Spiegel TV am Sonntagabend berichtete. In einem längeren Beitrag unternahm das Magazin den Versuch, sich dem Charakter von David S. zu nähern und lenkte dabei den Blick für mehrere Sendeminuten auch auf die Counter-Strike-Laufbahn des Täters, anhand derer die Autoren seine zunehmende Verrohung nachzeichnen wollten. Im Zuge ihrer Recherchen fanden sie dabei etwa Kommentare, in denen der 18-Jährige dem Amokläufer von Winnenden, Tim K., huldigte. Ein 16-jähriger Bekannter von David S., mit dem dieser regelmäßig gezockt haben soll, zeichnet im Interview das Bild eines zunehmend aggressiven, sozial isolierten Jugendlichen, der sich im Spiel ausländerfeindlich geäußert und antisoziales Verhalten an den Tag gelegt habe, selbst den eigenen Teamkollegen gegenüber.
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An dem Beitrag von Spiegel TV lässt sich einiges kritisieren: Etwa die teils unglückliche Terminologie, die aus David S. einen Counter-Strike-„Virtuosen" macht. Oder die fast fahrlässig schlampige Erläuterung, was das Ziel von Counter-Strike sei: „Je mehr Personen der Spieler ausschaltet, umso höher das Level", heißt es da lapidar. Aber letztlich sind das eher ärgerliche Randnotizen. Viel interessanter ist eine andere Frage, die sich beim Anschauen aufdrängt: Wie sinnvoll ist die Auseinandersetzung mit der Gaming-Identität des Täters als Computerspieler überhaupt? Nützt sie nicht denen, die Computerspielen die Schuld an Gewalttaten geben wollen und verstellt damit den Blick auf die tatsächlichen Ursachen?Klar ist: Eine undifferenzierte Schuldzuweisung ist dem Beitrag nicht vorzuwerfen. Die Zurückhaltung der Autoren geht so weit, dass der betreffende Teil des Beitrags sogar mit dem Hinweis eingeleitet wird, das Counter-Strike-Spielen sei keine Erklärung für die Tat. Es scheint, als hätten zumindest die Medien in dieser Diskussion über die Jahre tatsächlich dazugelernt.Dabei schien am Samstag die altbekannte Hysterie in die Killerspiel-Debatte zurückzukehren: Als bekannt wurde, dass David S. Counter-Strike-Spieler war, hörte man insbesondere auf Twitter sogleich einen lauten Aufschrei . Viele fürchteten, dass nun der alte, eingespielte Konflikt um „Killerspiele" aufgewärmt würde, der seine Anfänge in den Neunzigern und seinen bisherigen Höhepunkt in den Jahren nach der Jahrtausendwende hatte—als die Forderung nach einem Verbot besonders gewalttätiger Spiele sogar Einzug in den Koalitionsvertrag fand. Entsprechend nachvollziehbar ist die hohe Sensibilität der Community, doch die unmittelbaren Reflexe von Twitterern — obwohl noch von keiner Seite konkrete Verbotsforderung geäußert wurden — zeigen auch, wie schnell sich die Debatte von beiden Seiten entzündet.Tatsächlich ließ Bundesinnenminister Thomas de Maizière es sich nicht nehmen, noch am gleichen Tag den befürchteten Aufreger zu liefern. Auf einer Pressekonferenz erklärte er, „kein vernünftiger Mensch" könne den negativen Einfluss gewaltverherrlichender Spiele auf Jugendliche bestreiten. Alle Fortschritte, die über die Jahre in dieser Debatte erzielt worden waren, schienen plötzlich wie weggefegt.
Die „vernünftigen Menschen" von Thomas de Maizière
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Einfache Antworten gibt es nicht
Widersprüchliche Ergebnisse sagen nichts über die Qualität der Forschung aus, sondern eher über die speziellen Herausforderungen des Themas. Das fängt bei der Frage an, wie Gewalt in Spielen definiert wird: Sind damit nur First-Person-Shooter wie Counter-Strike gemeint, wird das für viele Langzeitstudien bereits zum Problem, weil das Genre recht jung ist und „Computerspielgewalt" in den Neunzigern ganz anders aussah als heute. Allgemeine Aussagen über Spiele sind damit so gut wie ausgeschlossen. Es gibt in dieser Frage eben keine einfachen Antworten—und schon gar keine unbestreitbaren Wahrheiten.
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