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Der Tod von Isabelle Dinoire zeigt, wie schwer ein Leben als Medizinpionier ist

Die weltweit erste Empfängerin einer Gesichtstransplantation ist zehn Jahre nach dem Eingriff verstorben.
Isabelle Dinoire, die erste Person mit einer Gesichtstransplantation

Wie das Krankenhaus im französischen Amiens gestern Abend mitteilte, ist die weltweit erste Empfängerin einer Gesichtstransplantation zehn Jahre nach dem Eingriff verstorben.

Aus Respekt gegenüber ihrer Familie hielt das Krankenhaus die Nachricht von ihrem Tod, der sich bereits am 22. April ereignete, eine Weile unter Verschluss.

Es war eine Verkettung von tragischen Ereignissen, die zu dem revolutionären und extrem komplexen Eingriff geführt hatte und Isabelle Dinoir Medizingeschichte schreiben ließ.

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Die Französin, eine damals 38-jährige Schneiderin, hatte im Mai 2005 Schlaftabletten geschluckt. Sie erwachte in einer Blutlache—ihr Labrador Tania hatte sie bewusstlos vorgefunden und, wie Dinoir selbst zu Protokoll gab, wohl begonnen, an ihrem Gesicht zu nagen, um sie zu wecken. Dabei hatte der zuvor friedliche Hund ihre Nase, das Kinn und den Mund schwer verletzt und zum Teil verzehrt. Ärzte des operierenden Krankenhauses dementierten diese Version allerdings und berichteten, ihr Hund müsse sie spontan angegriffen haben.

Dinoir war derart entstellt, dass die Chirurgen eine übliche Gesichtsrekonstruktion durch Eigenhaut-Transplantation ausschlossen. Stattdessen wagten sie—rund fünf Monate später— das Ungewisse: Sie schlugen eine teilweise Gesichtstransplantation vor, eine völlig neuartige und damals aufgrund der möglichen Komplikationen umstrittenen und enorm komplizierten Prozedur, die 15 Stunden in Anspruch nahm. Für die Transplantation werden Knochen, Haut, Muskeln, Arterien und Blutgefäße eines Organspenders unter Narkose auf den Empfänger verpflanzt und vernäht.

Die Operation war eine Weltpremiere—und nicht zuletzt ethisch umstritten, weil sich niemand über die Langzeiteffekte auf das Leben mit gespendetem Gewebe im Klaren sein konnte.

Rund ein Jahr nach der ersten Operation konnte Dinoire ihr Gesicht soweit kontrollieren, dass ein Lächeln möglich wurde. Später machte sie Fortschritte, die als medizinische Sensation galten und konnte wieder trinken, essen und sprechen.

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Dem Transplantationseingriff folgte neben Sprachtherapien eine Knochenmarktransplantation, um das Gewebe besser von Körper der Empfängerin annehmen zu lassen. Doch die großen Mengen an Immunsuppressiva, die Transplantationsempfänger lebenslang gegen die Abstoßung des Gewebes schlucken müssen, führen zu einem erhöhten Krebsrisiko. Diese Medikamente zähmen das eigene Immunsystem des Empfängers, dessen Antikörper sonst versuchen würden, das fremde Gewebe—und die vom Körper als nicht identisch erkannten Antigene auf der Zelloberfläche—zu attackieren.

Die Gesichtstransplantations-Pionierin Isabelle Dinoire erlag im Mai, zehn Jahre nach ihrer Transplantation, zwei Krebserkrankungen; möglicherweise durch eine Schwächung ihres Immunsystems durch die Medikation ausgelöst—eine tragische Komplikation, die auch herztransplantierte Patienten kennen. Bereits im Winter, berichtet die französische Zeitung Le Figaro, hatte sie einen Teil ihrer Lippenfunktion eingebüßt, weil ihr Körper neu transplantiertes Gewebe abgestoßen hatte.

Nach ihrer Operation sah sich Dinoire jedoch nicht nur großen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, sondern kämpfte zudem auch mit ihrer Identitätsfindung.

In den vergangenen Jahren hat die Gesichtstranplantationsmedizin seitdem enorme Fortschritte gemacht. Trotzdem sind Abstoßungsreaktionen keine Seltenheit. Weltweit wurden seit dem Eingriff 2005 rund 30 Transplantationen durchgeführt. Als die wohl aufwändigste Operation auf diesem Gebiet wurde im vergangen Jahr das Gesicht eines bei einem Rettungsversuch entstellten Feuerwehrmanns aus Mississippi transplantiert. Er ist der erste Empfänger einer vollständigen Gesichtstransplantation.

Nach ihrer Operation sah sich Dinoire jedoch nicht nur großen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, sondern kämpfte zudem auch mit ihrer Identitätsfindung. Dinoire sagte von sich, wann immer sie in den Spiegel schaue, sehe sie „eine Mischung aus mir und der Spenderin. Sie ist immer bei mir". Über die verstorbene Frau; eine Lehrerin, die ihr die untere Hälfte ihres Gesichts gespendet hatte, denke sie noch oft nach, sagte sie der BBC in einem Interview 2012.

Die extreme Aufmerksamkeit, die ihr als Pionierin durch die Medien zuteil wurde, hatte Dinoire stets abgelehnt. In ihrer kleinen Heimatstadt fühle sie sich wie ein Tier im Zirkus, sagte sie der BBC in einem Interview 2012. Britischen Boulevardblättern, die Dinoir und ihre Familie bereits im Krankenhaus um Interviews bedrängt hatten, gelang es sogar, ein Foto der verstorbenen Spenderin aufzutreiben, das die Empfängerin eigentlich nie hatte sehen wollte—es aber später im Internet entdeckte.