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Der Amoklauf-Simulator Hatred ist nichts weiter als eine dumpfe Provokation

Die polnischen Entwickler von Destructive Creations zeigen in ihrem neuen Trailer ein menschenverachtendes Spiel frei von jeder Reflexion oder Rahmenhandlung. In Zeiten von Gamer-Gate erweisen sie der Videospielcommunity damit einen Bärendienst.

„Es ist der reine Horror, aber diesmal bist DU der Bösewicht. Spaziere durch die Peripherie von New York, und durchstreife sieben Level nach neuen Opfern. Kämpfe gegen die Staatsgewalt und begib dich auf eine Reise in die hasserfüllte Welt des Antagonisten. Bringe Armageddon über das Land, zerstöre alles, was dir bei deiner Jagd in die Quere kommt. […] Mache all das bloß nicht zuhause nach, und nimm es nicht zu ernst. Es ist nur ein Spiel :)"

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So liest sich die einladende Spielebeschreibung für Hatred. Den Smiley haben die  polnischen Entwickler selbst hinzugefügt—er ist nicht geneigt ihren extrem gewalttätigen Amoklauf-Simulator irgendwie besser oder bekömmlicher zu machen. Der Protagonist lädt dich als Gamer mit seinen verfilzten Haaren und dem langen Matrix-Mantel dazu ein, ihm in seine Gedankenwelt eines menschenhassenden Massenmörders zu folgen.

Nein, Videospiele sind auch durch Hatred nicht der Auslöser von Amokläufen oder ein Anstoss für IRL-Brutalität. Aber wenn sie dürftig sind, und ohne jegliche fiktionale Einbettung oder Reflexion über ihre fiktionale Welt daher kommen, dann ist es notwendig über sie zu diskutieren. Und Hatred ist eben leider spielerisch wenig erquickend, und bietet dem Gamer vor allem ein primitives Identifikationsangebot auf dem Niveau Anders Breiviks. Ich gegen den Rest der Welt—keine Legitimation nötig. Kein Story-Element und kein Charakterzug des Protagonisten hebt hervor, wie surreal das Geschehen eigentlich ist. Auch das kontroverse „No Russia" Level in Call of Duty Modern Warfare 2 oder die Folterszene von GTA V spielt sich als Teil einer Rahmenhandlung ab, und bietet dem Ballerspass eine Legitimation, die zeigt, dass man gerade eine eigene nicht-reale Welt genießen darf.

Monothematische Videospiele sind weder etwas Neues, noch besonders Bedrohliches. Das panische Argument, dass Baller-Spiele automatisch zu Amokläufen führen ist schon seit langem widerlegt, und das Games Kunst sein können, ist ebenfalls seit Jahren weitgehend akzeptierter Konsens. Aber Hatred überzeugt nicht nur unangenehm damit, dass es scheinbar zufällig in einer Woche mit  weiteren #Gamer-Gate-Todesdrohungen gegen weibliche Videospielkritikerinnen veröffentlicht wird, sondern auch mit seiner vollkommenen Abwesenheit von Reflexion, sinnvollen Handlungshintergründen oder wenigstens ironischen Momenten. (Mit der Diskussion um Gamer-Gate und dem Frauenhasser-Problem in der Gaming-Community haben wir uns kürzlich bereits ausführlich beschäftigt.)

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Die nackte Gewalt scheint für das bisher unbekannte polnische Entwicklerteam nicht mehr als hasserfüllter Selbstzweck zu sein—eine Ausrede für eine selbst herbei fantasierte Außenseiterrolle. Der kritische Games-Blog FuckNoVideoGames listet außerdem deutliche Hinweise auf eine unangenehme Sympathie der Entwickler zu rechtsradikalen polnischen Gruppen. Der leitende Programmierer Jaroslaw Zielinski hat inzwischen auf diese Anschuldigungen reagiert und sich gegenüber Polygon darauf berufen, gar nicht von den rechten Tendenzen der Polska Liga Obrony gewusst zu haben, und ihre Facebook-Seite als Newsquelle zu nutzen.

Screenshot aus dem Hatred Trailer, der nach seinem YouTube Upload für große Diskussionen gesorgt hat. Alle Bilder Screenshots via YouTube: Destructive Creations.

Wenn der seit Wochen heiß diskutierte Gamer-Gate-Diskurs irgendetwas nachhaltig bewiesen hat, dann dass Videospiele längst von der breiten Gesellschaft als kulturelle Artefakte ernstgenommen und anerkannt werden. Das bedeutet aber auch, dass Gamer grundlegende gesellschaftliche Umgangsformen akzeptieren müssen, heisst aber nicht, dass es keine blutrünstige Fiktion mehr geben darf (die gibt es schließlich in mehr oder weniger wertvoller Form überall in unserer Kultur). Sich jedoch in die Rolle eines Außenseiter-Nerds zu flüchten, und als selbsterklärter Anti-Feminist die Gaming-Kultur für ihren Frauenhass zu verteidigen, ist eine der größten Selbstlügen, denen man sich im Internet dieser Tage hingeben kann. Im wohligen Schwarm zahlloser #Gamer-Gater passiert jedoch genau dies schon seit mehreren Wochen.

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Auch die Entwickler von Destructive Creations richten es sich gemütlich ein in ihrer vermeintlichen Anti-Mainstream-Perspektive. Das polnische Team (hier ein Bild der Gruppe, die leider wenig überraschend nur aus Männern besteht) fühlt sich pudelwohl mit ihrer vorhersehbaren Maximalprovokation Hatred, wie ein Statement auf ihrer Webseite belegt:

„Dieser Tage, in denen viele Gamet versuchen, höflich und politisch korrekt zu sein und irgendeine höhere Kunst präsentieren, statt einfach nur Unterhaltung zu bieten, wollten wir etwas gegen den Trend erschaffen. Etwas, dass dem Gamer reines Spielvergnügen bietet. Unser Game verzichtet auf falsche Entschuldigungen und macht keine Gefangen. Wir sagen ‚ja, in diesem Spiel geht es darum, Menschen zu töten', und der einzige Grund für das kranke Verhalten des Antagonisten ist sein tief sitzender Hass."

Trotz seiner missionarischen Vehemenz ist Hatred bei weitem nicht das erste Spiel seiner Art. Schon die verschiedenen Folgen der Postals-Serie waren ähnlich einfach gestrickt, kamen jedoch ohne den quengelig-selbstgerechten Tonfall aus. Auch das deutlich neuere Hotline Miami ist auf den ersten Blick ähnlich, verfolgt jedoch einen höheren künstlerischen Anspruch und hat auch einige konstruktive Diskussionen angestoßen. Schon diese beiden Beispiele sind ungleich selbstreflektierter.

Die Hatred-Entwickler geben dagegen zu Protokoll, dass ihr gewalttätiges Spiel lediglich dazu diene, um unverfroren brutal zu sein. Wenn man der Inszenierung folgt, dann sind die größten Spielmomente, diejenigen in denen du jemandem dabei zuschaust, wie er an seinem eigenen Blut erstickt. Freundlicherweise basiert das Spiel auf der Unreal Engine 4, so dass die Gewalt immerhin gemäß neuester technischer Standards dargestellt wird. Unreal Engine selbst hat sich bereits von dem Spiel distanziert.

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Es ist immer wieder erstaunlich und dreist, dass eben jene Spiele, die behaupten, frei von künstlerischem Anspruch nur der Unterhaltung zu dienen, schon von vornherein wissen, dass sie mit vehementer Kritik konfrontiert sein werden. Spiele wie Mario Kart berufen sich dagegen fast nie auf so falsche wie vorhersehbaren Argumente nach dem Motto „wir sind nur dem Entertainment verpflichtet." Hatred ist gleichermaßen vorauseilende Verteidigung, wie verkaufsfördernde Provokation.

Immerhin mit einer Realitätseinschätzung liegen die Entwickler von Destructive Creations dennoch richtig: Diese Art von Videospielen ist nicht mehr besonders zeitgemäß. Videospiele mit der Rahmenhandlung eines Kleine-Jungen-Streichs sind in den vergangenen Jahren seltener geworden, während dem Gaming-Publikum sinnlose Schocker zunehmend suspekt werden und kleine Entwickler deutlich intelligentere Games, mit gesellschaftlicher Relevanz und kritischer Aussage entwickeln. Auch große Spiele wie BioShock Infinite verstecken in ihrer gewaltgetränkten Welt Botschaften wie ein Entlarven von wissenschaftlichem Rassismus in den USA. Plattformen wie Steam, PSN, XBLA und App Stores haben gleichzeitig eine immer niedrigere Toleranz für besonders geschmacklose Games.

Bei der Diskussion um Hatred sollte es nicht um Zensur von Videospielen gehen, sondern um die Frage, warum jemand ein solches Spiel überhaupt entwickelt. Ihre eigenen Statements zeigen, dass die Macher von Hatred sich sehr wohl darüber im Klaren sind, dass ihr Spiel kritische Reaktionen hervorrufen wird. Es ist ein Spiel, dass die Provokation sucht. Viel mehr scheint es nicht zu sein.

Es gibt so viel bessere und interessantere Spiele da draussen in denen du wahllos herumballern kannst und in denen du dabei noch nicht mal zwangsläufig einen Slipknot Song ertragen musst.

Gamer Gate hat die öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz von Videospielern um Jahre zurückgeworfen. Eine Veröffentlichung wie Hatred kommt da eher unpassend. Zur allgemeinen Entspannung möchte ich betonen, dass das Game wohl nicht viel mehr als eine kurzfristige Kontroverse bewirken wird. Bis dahin sollten wir die Diskussion dafür nutzen, uns zu fragen, welche Art von Arschlöchern aus welchen Gründen solche Games entwickeln müssen. Und was Menschen dazu bringt Smileys in Werbetexte für stumpfes, virtuelles Massenmorden einzubauen.

Update 21.10.2014: Wir haben noch eine Rechtfertigung zu den Neonazi-Vorwürfen gegen den leitenden Entwickler von Destructive Creations mit aufgenommen.