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Sichert ein Rundum-Sorglos-Paket aus NRW den Online-Auftritt deutscher Neonazis?

Verschlüsselte E-Mail-Dienste, Krypto-Chats und Blog-Anbieter mit altnordischer Runen-Referenz: Ein Blick in das Internetimperium der rechten Szene.
Hier lassen Dortmunder Neonazis ihren Hass offline bei einer Demo gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften raus. Alle Bilder (wenn nicht anders angegeben): Felix Huesmann

​Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass ausgerechnet die Propagandaabteilung des „Islamischen Staates" zur Rekrutierung ihrer Kämpfer die E-Mailadresse des deutschen Nazi-Mailproviders „0x300" benutzte. Was wie eine verirrte Randnotiz aus den ideologischen Abgründen des 21. Jahrhunderts klingt, zeigt gleichzeitig, wie gut organisiert die Angebote rechter Netzwerktechniker inzwischen sind. Dabei ist der Mail-Server „0x300" nur ein Teil einer vielseitigen Infrastruktur, die sich im Netz speziell an Nazis richtet—die Dienste reichen von Fotohostern und Cloudspeichern bis zu Krypto-Chatdiensten.

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Auch der Blog-Anbieter „logr" gehört zu diesem „Rundum-Sorglos-Paket" der Neonazis. Auf den ersten Blick sieht die Seite aus, wie ein ganz gewöhnlicher Anbieter kostenloser Wordpress-Blogs. „Meinungsfreiheit ist Menschenrecht" prangt groß auf der Startseite. Man wolle die Nutzer nicht zensieren, heißt es.

Ein Blick auf die dort betriebenen Blogs zeigt jedoch schnell, welche Art der Meinungsfreiheit hier gemeint ist: Gruppen, die sich „Nationaler Widerstand" oder „Autonome Nationalisten" nennen, verbreiten hier ihre Propaganda, auch die Neonazi-Kleinpartei „Die Rechte" nutzt das Angebot.

​Wer ist „Die Rechte", und warum ist sie so aggressiv?

Schon im Namen des Anbieters selbst steckt ein Hinweis: „Lǫgr" ist eine Rune aus dem altnordischen Runenalphabet—Bezüge auf nordische und germanische Geschichte und Mythologie sind in der rechten Szene auch im Internetzeitalter beliebt.

Screenshot von „logr"

„logr" war eines der ersten Nazi-orientierten Web-Angebote und ging schon 2007 online. Zwei Jahre später hat der ​führende Kopf der rechten Szene NRWs, Dennis Giemsch, dann ​mit Hilfe von Fördermitteln der Arbeitsagentur den rechten Internetshop „Resistore" aufgebaut.

Wer als Betreiber hinter den Seiten steckt, ist schwer eindeutig zu klären, da die Administratoren scheinbar bewusst versuchen, anonym zu bleiben. Zumindest laut eines Berichts des ARD-Magazins „Panorama" gilt Dennis Giemsch als Betreiber von „0x300". Im Kameradenkreis habe er sich offen dazu bekannt, heißt es ​dort unter Bezug auf Aussagen von Szene-Aussteigern.

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Auch in der rechten Szene ist Facebook immer noch die Nummer 1
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Auf den selben Servern wie „0x300" wird mit „First Amendment Hosting" zusätzlich ein professionellerer Webhosting-Dienst betrieben. Auch auf diesen Angeboten wird der Schutz vor Zensur durch die deutschen und europäischen Behörden betont—perfiderweise mit Bezug auf den ersten Verfassungszusatz der amerikanischen Verfassung, die die Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit sichert. Für 60 Euro im Jahr kann man sich hier „unzensierten" Webspace inklusive einer eigenen Domain mieten—anonym bezahlbar mit Paysafecard.

Wer ist die „National Sozialistische Hacker Crew?"

Die Liste an weiteren Diensten ist lang: Ein Hosting-Angebot für Fotos, eines für größere Dateien, ein Server für ​Jabber-Nachrichten und kommerzielle Werbeangebote auf den gehosteten Websites. Laut ​eines Artikels der antifaschistischen Zeitschrift Lotta gibt es Hinweise, dass die Fäden all dieser Dienste in der Szenehochburg Dortmund zusammenlaufen.

Dort sind die Neonazis schon seit Jahren vergleichsweise „modern" in ihrem Auftreten und in der Wahl ihrer technischen Mittel. Fest steht, dass es eigentlich keine Website aus dem Umfeld der Dortmunder Neonazis gibt, die nicht bei Dreamhost gemeldet ist, jenem US-Hoster über den alle Dienste dieses Rundum-Sorglos-Pakets laufen.

Werbeseite von "Die Rechte Hamm" für eine Demo im Oktober 2014, gehostet bei logr.

2012 versuchten die Neonazis mit dem „Netzwerk Rechts" sogar ein eigenes Soziales Netzwerk zu etablieren. Der Versuch ist aber schon kurze Zeit später grandios gescheitert. Auch in der rechten Szene gilt: Facebook ist die Nummer eins. Hierüber funktioniert vor allem die Nachwuchsgewinnung und die Kommunikation nach außen.

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Da Facebook aber immer wieder Gruppen und Personen löscht, die mit hasserfüllten Posts gegen die Richtlinien verstoßen, weicht ein Teil der Szene mittlerweile auf das russische Netzwerk „VKontakte" aus. „Das ist vor allem der harte Teil der Szene", sagt Johannes Baldauf vom Projekt „no-nazi.net" der Amadeu Antonio Stiftung. „Da findet man dann auch deutlich expliziteres Material wie Hakenkreuze und verbotene Lieder. Das liegt auch daran, dass das nicht so im Fokus der deutschen Öffentlichkeit ist."

Steckbriefe und Brandanschläge

Zwar wird auf Websites wie „First Amendment Hosting" und „Logr" gerne betont, dass sich das Angebot an Seitenbetreiber richte, „deren Seiten auch in der BRD völlig legal sind", immer wieder finden sich dort allerdings auch strafbare Inhalte. 2012 wurde zum Beispiel die Website des „Nationalen Widerstand Berlin" abgeschaltet, nachdem sie vorher bereits von den deutschen Behörden indiziert wurde. Dort wurden mehrfach Steckbriefe von Nazi-Gegnern veröffentlicht, teilweise mit Privatadressen und Fotos manchmal inklusive direkter Gewaltaufrufe. Mehrere dort angeprangerte Personen wurden ​daraufhin von Neonazis bedroht, es gab sogar Brandanschläge.

In dem folgenden Gerichtsprozess war auch Giemsch als Hoster der Website angeklagt. Die Klage wurde zwar abgewiesen, weil er als Diensteanbieter nicht für die Inhalte der von ihm gehosteten Seite verantwortlich sei. Dass er der Betreiber des Hostinganbieters ist, bestritt Giemsch aber auch in einer Erklärung nicht, die er in seinem privaten Blog (natürlich bei „logr gehostet…) veröffentlichte.

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Unterdessen empfielt Giemsch in seinem privaten logr gerne auch die neue „Widerstand-App" für Android, die „Nachrichten von 50 nationalen Internetseiten sammelt und sie übersichtlich darstellt"—besonders einzigartig in Zeiten von schnöden Browsern oder gar Feed-Readern zum Abruf von Web-Nachrichten.

Auf unsere Anfrage, ob er tatsächlich der Betreiber dieser Dienste sei, antwortete Giemsch bislang genau so wenig wie auch auf die Anfragen der Panorama-Redaktion zu ihrer Berichterstattung vom vergangenen November. Sollten wir eine Rückmeldung erhalten, werden wir diese hier gegebenenfalls einfügen.

Die Dortmunder Informatiker sind in einem Neubau am Rande des Campus untergebracht. Hier studiert auch Dennis Giemsch.

Dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz sind die verschiedenen Hosting-Angebote bekannt, wie ein Sprecher gegenüber Motherboard erklärte. Vor allem der Mailprovider „0x300" würde von Neonazis zur sicheren verschlüsselten Kommunikation benutzt, heißt es. Direkte Hinweise auf Straftaten, die darüber geplant werden, habe man nicht. Ein Sprecher des zuständigen Innenministeriums erklärte aber dennoch: „Die werden ihre Gründe dafür haben."

Die Strafverfolgung gestaltet sich für die deutschen Behörden allerings nicht einfach: Die Angebote liegen alle auf Servern des amerikanischen Anbieters „Dreamhost". Die Domains sind dort anonym registriert. Vieles was nach deutschem Recht strafbar ist fällt in den USA unter Meinungsfreiheit. Ein Rechtshilfeersuchen wegen Holocaustleugnung dürfte so zum Beispiel aussichtslos sein.

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Ein Dortmunder Informatikstudent

Giemsch soll sich ein Großteil seines technischen Wissens wohl selbst angeeignet haben. Mittlerweile studiert er jedoch seit mehreren Semestern Informatik an der Technischen Universität Dortmund.

Zuletzt haben ihn Kommilitonen, die lieber anonym bleiben wollen, im vergangenen Semester in mehreren Vorlesungen gesehen. Die Informatiker sind in Dortmund in einem schicken Neubau am Rande des Campus untergebracht. An den langen Fluren arbeiten die meisten hinter offenen Bürotüren, es gibt Kaffeeküchen in denen man Tischfußball spielen kann. Ob die Leute wohl wissen, wer hier mit ihnen zusammen studiert?

Aus der Pressestelle der Uni heißt es lediglich, man könne sich aus Datenschutzgründen nicht dazu äußern, wer dort eingeschrieben sei. Rechtsextreme Vorfälle habe es aber bislang nicht gegeben.

Dass Neonazis studieren, um ihr Wissen dann in die rechte Szene zu investieren, ist nichts neues. Vor allem Jura ist unter den „Kameraden" ​sehr beliebt—ein Blick in die Vorstrafenregister der Szene ​erklärt warum.