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Gaming-Bürgermeister baut (beinahe) perfekte Post-Wachstums-Metropole

„Ich hab' versucht, die Regeln des Spiels zu brechen und hatte am Ende eine kaputte Stadt.“
Bild: Screenshot Finn Williams

Bild: Screenshot Finn Williams

Das Spiel Cities: Skyline treibt früheren SimCity-Enthusiasten Freudentränen in die Augen—realistischer, schöner, schneller, differenzierter und mit selbstprogrammierbaren Zusätzen lässt das finnische Spiel gigantische Städte und beschauliche Kommunen wachsen. Aber kann das Spiel auch als ein gutes Praxislabor für die Simulation der Metropolen der Zukunft dienen?

Das fragte sich der britische Stadtplaner Finn Williams. Er hat sich an eine antikapitalistische Version der Zukunftsstadt gemacht und sich eine urbane Utopie gebaut, die sich dem grenzenlosen Wachstum verweigert—und er ist dabei kläglich gescheitert.

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Diese Simulation ist auch nicht gerade ein Traum: SimCity-Planer verwaltet den Moloch von morgen mit 107 Millionen Einwohnern

„Ich hab versucht, die Regeln des Spiels zu brechen und hatte am Ende eine kaputte Stadt", schreibt er in einem Gastbeitrag für den britischen Guardian.

Diese Stadt in Cities: Skylines folgt brav kapitalistischer Logik: Viel produzieren, viel arbeiten, viele Steuern zahlen und dann alles von vorn. Bild: Motherboard

Das hier ist das ressourcenschonende Post-Wachstumsexperiment von Finn Williams mit Fokus auf gemeinnützigen Dienstleistungen und öffentlichen Gütern. Bild: Screenshot Finn Williams

Dabei sieht doch alles so paradiesisch aus: In seiner kreisförmig angelegten Postwachstums-Stadt gibt es keine Büros und keine Läden. Statt Industrieflächen ist der Stadtrand von Wäldern und Naturschutzgebieten eingerahmt. Die Luft ist sauber und die Energiewende bereits umgesetzt: Alle Energien sind erneuerbar und nachhaltig produziert.

Diese Visionen entwickeln Sozialforscher für eine Postwachstumsgesellschaft

Ein solcher Ort zum Leben entspricht zum Beispiel der Vision einer nachhaltigen Stadt des Hamburger ThinkTanks Nexthamburg: Die entworfene Postwachstums-Stadt erwirtschaftet ihre Ressourcen autark, koppelt sich dabei aber von den globalen Warenströmen ab. Es entsteht eine Insel, mit allen Vor- und Nachteilen der Abschottung.

Seitdem der Club of Rome 1972 seine „Grenzen des Wachstums" veröffentlichte, wird die Frage gewälzt, was nach der Maxime „Mehr ist Mehr" auf uns zukommt und wie wir damit umgehen, dass unsere Ressourcen endlich sind. Spätestens, seitdem nur noch unverbesserliche Ignoranten den Klimawandel abstreiten und wir wissen, dass wir alle unseren Lebensstil mehr oder weniger radikal umbauen müssen, damit unser Planet nicht sehr bald vor die Hunde geht, erfahren diese Themen eine Renaissance. Die bislang ungekannte Brisanz der Lage förderte eine Verlagerung dieser Diskussionen von Unihörsälen in die Mitte der Gesellschaft.

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„Ich hab versucht, die Regeln des Spiels zu brechen und hatte am Ende eine kaputte Stadt"

Was brauchen wir wirklich zum Leben? Diese eigentlich simple Frage ist nicht leicht zu beantworten; insbesondere, weil die Experimente mit anderen Modellen außer dem Wachstum sich bisher immer nur in sehr beschränkten Mikro-Setups abspielten. Doch wohin das Wachstum führen soll, wenn unsere Ressourcen endlich sind und wir zwar mehr besitzen, aber trotzdem nicht alle wohlhabend sind, darauf hat unser momentanes System keine Antwort.

Ähnlich sieht das auch der bekannte Wachstumskritiker Niko Paech, der mit dem Niedergang von Industriezweigen, die von fossilen Energien anhängig sind, einen enormen Strukturwandel voraussagt und Radikales fordert: die „Ausgestaltung des Kollaps" und die Umstellung des Lebenswandels auf enorme Reduktion. „Sehe ich aus wie ein Hippie?", fragte er den Redakteur des Tagesspiegels in einem Interview 2012 (nein, sieht er nicht). „Ich treffe wissenschaftliche Wenn-Dann-Aussagen. Wenn jeder mehr als seine 2,7 Tonnen CO2 verursacht, werden katastrophale Dürren und Überschwemmungen eintreten. Wenn Ressourcen knapp werden, muss die Wirtschaft schrumpfen".

In einem gewöhnlichen Stadtentwurf ist das Herz der Stadt ein kommerzielles Zentrum. Bild: Motherboard

Die Bürger in Williams' Stadt muss das nicht kümmern: Sie arbeiten ausschließlich in Berufen, die dem Wohle der Gesellschaft dienen, also als Lehrer in Schulen, als Krankenpfleger, Journalisten und öffentliche Dienstleister. Das bedeutet: Sie sind gesund, gebildet, haben eine hohe Lebensqualität und hauen sich nicht gegenseitig die Köpfe ein.

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Was auf den ersten Blick großartig utopistisch klingt, entpuppt sich auf einen zweiten Blick (zumindest im Rahmen des Spiels) als Albtraum für die Bürger.

„Meine Bürger sind unersättliche Konsumenten, wütend über die Langeweile einer guten Lebensqualität."

Schon nach kurzer Zeit beschweren sich die Einwohner über die gähnende Leere, die der Mangel an Einkaufsmöglichkeiten, Produkte und einer kapitalistischen Logik mit sich bringt. „Nichts los am Wochenende", sagen sie und streifen durch die schönen, aber öden Parks und Wälder.

„Lass deine Stadt wachsen!", befiehlt das Spiel. Die Leute wollen keine langen Spaziergänge, sie wollen Shopping, Kinos, Restaurants. „Meine Bürger sind unersättliche Konsumenten, wütend über ihre Langeweile einer guten Lebensqualität", schreibt Williams. „Ich überlege, ihnen eine Einkaufs-Statue zu bauen und sie damit zu beruhigen."

Mit viel Kritikerlob befeuert ist Cities: Skylines derweil ein riesiger kommerzieller Erfolg für den finnischen Entwickler Colossal Order und verkaufte bereits in seiner ersten Woche über 500.000 Exemplare. Ironischerweise ging gerade mal ein paar Tage vor dem Release das Imperium Maxis (der Entwickler der Mutter aller Simulationsspiele, SimCity) pleite.

Der Nachfolger hat laut erfahrenen Simulations-Fans nun all das, was die Fans der Stadtmanagement-Spiele an SimCity vermissten: Größere Städte, fließende Simulationen des öffentlichen Nahverkehrs, realistische Wasserdynamiken und vor allem die Möglichkeit, sich eigene Zusätze und Mods zum Spiel dazuzubasteln.

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Unser momentan realistischstes Beispiel für eine Postwachstumsökonomie ist Griechenland.

Bei aller Flexibilität und Ausgestaltung findet die futuristische aller Spielsimulationen ihre Grenzen allerdings in der Entwicklung eines alternativen Wirtschaftsmodells. „Wenn du wirklich Geld machen willst, musst du alles in der Stadt produzieren, natürlich alle arbeiten lassen, damit sie viele Steuern zahlen und viel einkaufen", sagt selbst die Spieleentwicklerin Karoliina Korppoo in einem Video, in dem sie das Spiel Cities: Skyline vorstellt.

Bis zu einem Computerspiel, in dem wir utopisch-alternative Gesellschaftsmodelle realistisch simulieren können, ist es also noch ein weiter Weg.

„Where is everybody? #ghosttown"

Um seine Kosten für die Infrastruktur zu decken, blieb Williams nichts anderes übrig, als einen Stapel Knebel-Kredite zu miesen Konditionen aufzunehmen, die das Schicksal der Stadt endgültig besiegeln sollten. Denn wie sollte er das je ohne eine Überfluss produzierende Wirtschaft zurückzahlen? Williams erhöhte die Steuern auf 14%, was den Bürgern noch weniger gefiel. In Scharen verließen sie die Stadt und überließen die Gebäude in bevorzugter Lage dem Verfall. Die postkapitalistische Stadt wurde zur Geisterstadt— „Where is everybody? #ghosttown" schrieben seine imaginären Digitalbürger ins imaginäre Digitaltwitter.

Sollten euch diese Szenarien rein zufällig an eine ähnliche Situation eines Mittelmeerlandes erinnern, ist das kein Zufall, denn wir haben auch im echten Leben schon Bekanntschaft mit Wirtschaft ohne Wachstum gemacht.

Unser momentan realistischstes Beispiel für eine ungewollte Postwachstumsökonomie ist leider Griechenland—wo die Menschen sich nicht mehr langweilen, sondern gegen das Spardiktat auf die Straße gehen. Damit wir auf die Zukunft vorbereitet sind und uns anpassen können, braucht es eben noch ein paar bessere Simulationsspiele (,in denen der soziale Austausch nicht als Bug einprogrammiert ist) sowie größer angelegte, durchdachte Experimente im richtigen Leben.