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Daten essen

Wir haben mit den Machern des Hamburger Datenmarkts zu ihrem Projekt, Nahrungsmittel gegen persönliche Informationen zu verkaufen, Bilanz gezogen.
Bild mit freundlicher Genehmigung von Datenmarkt

Eine Packung Toast kostet 8 Likes. Für die meisten Facebook-Nutzer ein ziemlich guter Deal. Also, 8 mal für irgendetwas in deinem sozialen Netzwerk Daumen hoch drücken, und schon kannst du deine Nahrungsbestände wieder auffüllen. Produkte bezahlen mit persönlichen Informationen, dass ist das Prinzip des Datensupermarktes, der eine Woche lang in Hamburg den Laden eines Eppendorfer Modegeschäftes bezog.

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Ganz weiß und zweckmäßig, fast klinisch eingerichtet, gab es dort vier Produkte zu kaufen. Bezahlen konnte man ausschließlich mit unterschiedlich sensiblen Facebook-Daten: Toastbrote mit Likes, für eine Dose Fruchtcocktail mit Fotos, H-Milch mit Posts und Knödel kosten persönliche Nachrichten. Bei den Knödeln waren die Leute am zurückhaltendsten, denn der „Betrag" steht am Ende wortwörtlich bzw. bildlich auf dem Kassenbon. Bedeutet: bezahlst du mit 3 persönlichen Nachrichten, sagt der Bon „Hallo Schatz, soll ich noch Brot mitbringen?", „Alter, das letzte Bier war schlecht" und „Wo waaarst duuuuuuu????"

Der Datenmarkt kommt als ziemlich praktikables Kunstexperiment daher und ist organisiert von Manuel Urbanke, Maximilian Hoch und Florian Dohmann, zwei Werbern und einem IT-Spezialisten, die schon öfter mal mit kleineren Projekten aus ihrem professionellen Alltag ausgebrochen sind. Nach dem sie den Laden eine Woche lang erfolgreich betrieben haben, wollte ich von ihnen erfahren, wie die Bilanz aussieht. Ihr Fazit und ihr geschätzter Umsatz fallen gar nicht mal so schlecht aus, trotz der eher übersichtlichen Produktpalette. Verkauft wurden:

  • 80 Liter MIlch für 700 Posts
  • 70 Dosen Früchte für 240 Fotos
  • 50 Packungen Knödel für 220 private Nachrichten
  • 75 Toastbrote für 540 Likes.

Da das Thema Daten als täglich Brot auf der Agenda ihrer Branche steht, lag die Nähe zum Subjekt auf der Hand. So präsent die Auswirkungen Datensicherheit, -Verfügbarkeit und -Transparenz [in unserem Alltag eigentlich auch sein mögen](http://Quittung mitnehmen auch hier wohl eine eher unbeliebte Option.), so sehr sind sie spätestens mit den Snowden Enthüllungen für die meisten Menschen doch auch ein alter Hut. Darum wollten die drei die virtuelle Welt der Daten greifbarer und anfassbarer machen und neuatig darstellen, um einfach mal eins zu eins zeigen, wie und mit welchen persönlichen Informationen wir ständig so um uns schmeißen—und was ein paar Klicks so Wert sein können

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Die Entscheidung für den Datengeber fiel auf Facebook. Da fast jeder einen solchen Account hat, kann auch fast jeder mit seinen Bildern, Likes und Posts einkaufen. Genauso hätte man sich jedoch für Twitter, Amazon oder die noch attraktivere Karstadt-Karte entscheiden können.

Hauptsache, dein Account bietet unterschiedliche Informationen aus der eigenen Vergangenheit, die als harte Währung dienen können. Hat man alle Waren im Körbchen, loggt man sich zum Bezahlen an der Kasse auf dem Laden-Tablet ein. Bei zu wenig Likes oder Posts gibt's auch keinen Toast. Und dann musst du erstmal wieder im Netzwerk aktiv werden, um an was zu Essen zu kommen. Einmal „abgebuchte" und im Kassensystem erfasste Daten, sind für weitere Einkäufe wertlos. Macht Sinn nach der Logik der Datenökonomie, denn deine Daten sind ja dann beim Archivar und Datenhändler—und können jetzt von diesem erfolgreich weiter verwertet werden.

Datenmarkt (starting Feb. 17th @ Anita Hass Hamburg) from Manuel Urbanke on Vimeo.

Da die PopUp-Einzelhändler natürlich vor allem zur Diskussion des Themas anregen wollten, boten sie eine intensive Kundenbetreuung und nahmen sich viel pädagogische Servicezeit. Sie erklärten die Idee, die Datenschutzregeln, und dass die Infos sofort wieder gelöscht werden. Erstaunt waren sie, dass das viele gar nicht interessierte. Vor allem beim Bezahlvorgang klickten fast alle Kunden automatisch weiter ohne zu lesen, was eigentlich genau abgefragt wurde. „Besonders nachdem wir den Leuten erklärt hatten, dass sie woanders ja auch ihre PIN angeben und eigentlich nicht wirklich wissen können, was bei der Datenverarbeitung passiert, waren sie sehr schnell überzeugt.", erzählt Manuel Urbanke.

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Der nächste Datenmarkt findet wahrscheinlich Anfang Mai in Berlin statt. Es heißt, mit Hilfe der jetztigen Erfahrung soll die Aktion noch pointierter und effektiver sein. Im Sommer planen die drei auch einen Schwarzmarkt, der sich am Kunstmarkt orientieren will. Ein möglichst relevanter Ort wird noch gesucht.

Ich habe mich mit Manuel Urbanke unterhalten, um mit ihm Bilanz zu ziehen über Gratisprodukte, peinliche Kassenzettel und Mode im Premiumsegment.

Motherboard: Was ist euer Fazit zum Datensupermarkt?

Manuel Urbanke: Was uns überrascht hat ist, dass manche Leute einfach reingekommen sind und eingekauft haben. Korb nehmen, jedes Produkt einmal, bezahlen, Danke, Wiedersehen. Diese Kurzsichtigkeit, von wegen, die schenken mir Produkte! Dieses Gefühl, dass man mit Daten bezahlt, und dass die was wert sind, das ist manchmal einfach nicht da. Auch, dass manche Informationen vielleicht peinlich sein könnten, wenn die öffentlich auf dem Kassenzettel stehen.

Wir haben zwar immer gesagt, wir löschen die Daten gleich, aber manchen war das einfach egal. Vor allem jüngere Leute sind daran gewöhnt, im Alltag ständig persönliche Informationen herzugeben. Da ist auch dann der Filter größer, dass man ein Idealbild von sich hochlädt, nur die Sachen, die die Leute sehen sollen. Da ist dann auch nichts peinlich.

Aber das war sicher nicht bei allen so?

Nein, auf gar keinen Fall! Was wir ja vor allem auslösen wollten ist, dieser Aha-Effekt im Kopf mit dem Kassenzettel. Man denkt beim Auswählen der Produkte vielleicht, dann steht da am Schluss: 5 Nachrichten, 3 Fotos, 10 Likes. Aber so war das nicht. Auf dem Kassenbon stehen die Nachrichten, wie sie verfasst worden sind und die Fotos sind auch abgedruckt. Manche haben den Zettel, dann schnell in der Tasche verschwinden lassen. Da haben die Leute dann erst wirklich gecheckt, was wir von ihnen haben, das war der wichtige Augenblick.

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Warum habt ihr den Datenmarkt gerade in einem Modegeschäft aufgemacht?

Mehr Premium geht nicht. Die Leute, die normalerweise in so einen Laden reingehen, wollen Designerware kaufen, richtig teure Sachen. Diese Leute wollen wir auch kriegen. Wenn da jetzt eine Woche lang keine Louis Vuitton-Tasche im Schaufenster steht, sondern eine Packung H-Milch, das erregst schon Aufmerksamkeit. Das gibt Kopfschütteln. Einer meinte zum Beispiel: „Da drüben kann ich mir alles kaufen, aber hier nichts, weil ich keinen Facebook-Account habe". Diesen Kontrast wollten wir zeigen. Einerseits Luxusartikel und andererseits persönliche Daten. Was ist der Preis?

Inwiefern war das Projekt ein Erfolg?

Als Business-Modell könnte man damit richtig Geld machen. Im Schnitt haben circa 150 Leute tatsächlich bei uns eingekauft. Aber uns geht es je darum, ein Bewusstsein zu schaffen. Das Sammeln von Daten greifbar zu machen, zu zeigen, was das bedeutet. Die Präsentation als Kunstprojekt hilft, zu verstehen, dass es hierbei nicht um Geld geht. Wenn es heißt „Kunst" sind die Leute eher bereit, sich darauf einzulassen und können sich gar nicht vorstellen, dass da ein wirtschaftlichen Interesse dahinter steht.