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Zeitreisen in der vierten Dimension

Forscher haben Testpersonen in einem Experiment mit ihrer Virtual-Reality-Anwendung in die Vergangenheit reisen lassen. Die Probanden glaubten sogar, das Geschehene manipulieren zu können.
Bild: Screenshot /  Mel Slater, YouTube

Dass die virtuelle Realität dich in andere Welten schicken kann, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Doch Virtual-Reality-Brillen haben nun auch die vierte Dimension erreicht: die Zeit.

In einer aktuellen Studie erklären Wissenschaftler der Universität Barcelona und des Interdisciplinary Center Herzliya in Israel, wie sie Probanden auf einen Ausflug in die Vergangenheit geschickt haben. Ihre Testpersonen waren anschließend davon überzeugt, in der Zeit gereist zu sein und: Sie glaubten, dass sie die Vergangenheit verändern konnten.

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Laut ihrer Studie in der Fachzeitschrift Frontiers in Psychology erlebten die Testperson „die Illusion einer Präsenz in der virtuellen Umgebung und glaubten von einem handlungsfähigen virtuellen Körper ersetzt worden zu sein".

Es fühlt sich behaglich an, die Vergangenheit ersetzen zu können.

Dank Virtual-Reality-Anwendungen kannst du bereits  wie ein Vogel fliegen oder dein Geschlecht wechseln. Die virtuelle Realität ist längst so immersiv geworden, dass sie auch dem Menschen die Illusion von Wirklichkeit überzeugend vermitteln kann. Sie ist momentan unsere beste Methode zur Simulation von Zeitreisen.

„Du kannst diese Erfahrung nicht mit der eines herkömmlichen Videospiels vergleichen", erzählte mir Rodrigo Pizarro, einer der Autoren der Studie. „Es gibt einen grundlegenden Unterschied: In der virtuellen Realität vergisst du plötzlich, dass du eigentlich in einem Raum sitzt. Die hast sehr schnell den Eindruck, dich tatsächlich in der virtuellen Umwelt zu befinden."

Den Wissenschaftlern ging es darum, herauszufinden, welchen Effekt Zeitreisen auf die Menschen haben, „unabhängig davon, ob Reisen in die Vergangenheit tatsächlich irgendwie möglich sind", wie die Forscher in der Studie erklären. Obwohl die Parallelen zur realen Welt ziemlich weit hergeholt scheinen, hat das Projekt der virtuellen Zeitreise verschiedene interessante psychologische und physiologische Implikationen.

Der eigentliche Test basiert auf dem berühmten „Trolley-Problem", einem hypothetischen moralischen Dilemma, mit dem auch schon früher  in der virtuellen Realität experimentiert wurde: Dabei befinden sich die Testpersonen in einer virtuellen zweistöckigen Galerie. Fünf Personen befinden sich im ersten Stock, eine Person im Erdgeschoss. Um einen Avatar in den oberen Stock zu befördern, können die Teilnehmer einen Fahrstuhl bedienen. Wenn dieser aber oben ankommt, zieht er plötzlich eine Waffe aus der Tasche und schießt. Den Probanden eröffnet sich eine klassische ethische Zwickmühle: Schickst du den Lift nach unten und opferst eine Person, um die verbleibenden fünf im oberen Stock zu retten?

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Es geht nicht darum, ob Zeitreisen tatsächlich funktionieren.

Die 32 Teilnehmer des aktuellen Experiments durchlebten nun eines von zwei Szenarien in ihrer virtuellen Realität. Diejenigen im „Repetitionsmodell" wiederholten die exakt gleiche Szene zweimal—als würdest du im Videospiel ein Leben verlieren und erneut starten. Die Teilnehmer in der „Zeitreise-Gruppe" fingen ebenfalls von vorne an, allerdings konnten sie zusätzlich eine „Inkarnation" ihres früheren Selbst sehen und so die Vergangenheit manipulieren. Schließlich wiederholten beide Testgruppen den Experimentablauf noch ein drittes Mal.

Die wichtigste Erkenntnis des Experiments war dabei laut Pizarro, dass die Zeitreisenden sich hinterher weniger schuldig fühlten. Das entspricht „der Idee, dass ein Ersetzen der Vergangenheit sich behaglicher anfühlt".

Netterweise haben die Forscher sich auch um mögliche Anwendungsgebiete der Virtual-Reality-Zeitreisen in der echten Welt Gedanken gemacht: Das Konzept könnte in der Psychotherapie genutzt werden, um posttraumatische Belastungsstörungen zu behandeln. „Würden Menschen beispielsweise ein traumatisches Erlebnis nachspielen, könnte das eine mögliche Therapie sein", so Pizarro.

Dafür ist es allerdings noch ein wenig zu früh. Die Studie fand zunächst einmal in einem kleinen und relativ experimentellen Rahmen statt. Die Forscher betonen auch, dass in die Entwicklung psychotherapeutischer Anwendungen natürlich auch entsprechende Experten mit einbezogen werden müssen.

Doron Friedman hingegen, einer der hauptverantwortlichen Wissenschaftler des Experiments, hält die virtuelle Realität generell für ein nützliches therapeutisches Werkzeug, um uns „in eine leicht unangenehme Situation zu befördern, ohne dass wir das tatsächliche Risiko erleben."

Laut Friedman könnten die Ergebnisse auch Zeitreisen in Computerspielen realistischer machen—ganz besonders in immersiven digitalen Umgebungen wie Second Life. "Wir kratzen hier nur an der Oberfläche der Möglichkeiten," sagte er mir. "Die Technologie ist sehr kompliziert und wirft eine Menge Fragen, auch philosophischer Natur, auf."

Tatsächlich liegen einige der spannendsten Aspekte der aktuellen Studie in der Lösung einiger klassischer philosophischer Zeitreise-Probleme. Wie geht in der virtuellen Realität beispielsweise das Großvater-Paradoxon aus? Bedeutet: wenn du in die Vergangenheit reist und deinen Großvater umbringst, wirst du ja nie geboren; wie könntest du dann überhaupt in die Vergangenheit reisen und deinen Opa töten?

VR-Software löst zwar kaum ein solches Paradoxon. Dennoch könnte die Entwicklung neuer, praktischer Lösungen dabei helfen, die theoretischen Grenzen der Zeitreise zu erkunden. Oder wenigstens dabei helfen, den Plot von Looper zu verstehen.