Wie das iPhone zu dem wurde, was es heute ist
Bild: Chris Kindred

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Wie das iPhone zu dem wurde, was es heute ist

Ein neues Buch erzählt von den stillen Helden des iPhones und enthüllt bisher unbekannte Details der Entstehungsgeschichte des profitabelsten Geräts der Welt.

Kein anderes Gerät hat die mobile Kommunikation so sehr geprägt wie das iPhone. Seit es vor zehn Jahren auf den Markt kam, hat es einen beeindruckenden Siegeszug in der gesamten Welt hingelegt. Für viele ist Apples Smartphone noch heute synonym für technischen Fortschritt, Luxus und Status. Doch das iPhone ist auch eine Quelle des Leids: Beispielsweise für Minenarbeiter, die die Rohstoffe für die Geräte abbauen, oder chinesische Fabrikarbeiter, die die Smartphones im Akkord zusammenbauen. Das iPhone ist sowohl ein Motor der globalen Vernetzung als auch die Schaltzentrale für jene Apps, die zunehmend unser Leben bestimmen.

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Das iPhone vereint die gesamte Ambivalenz unseres technischen Fortschritts. Ich habe die letzten Jahre damit verbracht, die Ursprünge, Hintergrundgeschichte und Folgen von Steve Jobs' einflussreichster Entwicklung zu recherchieren – die Ergebnisse habe ich in meinem gerade auf Englisch erschienenen Buch The One Device zusammengetragen. Meine Recherchen haben mich in die Lithium-Minen von Atacama, auf das größte Hacker-Treffen Nordamerikas und in die riesigen Fabriken im chinesischen Shenzhen geführt.

Lithium-Minen in der Atacama-Wüste in Chile. Bild: Brian Merchant

Der lange Weg bis zum iPhone

Obwohl das iPhone den Technologiemarkt und unser Kommunikationsverhalten auf den Kopf gestellt hat, stecken in den Einzelteilen streng genommen gar keine bahnbrechenden, technischen Fortschritte. Die weit verbreitete These, dass das iPhone ein isolierter Geniestreich war oder auf einen einzelnen Erfinder, Steve Jobs, zurückgeht, ist absurd. Vielmehr verbindet Apple mit seinem Smartphone zahlreiche aktuelle technologische Entwicklungen auf einzigartige Weise: In jedem Einzelteil des iPhones stecken zahllose ältere Entwicklungen, Konzepte, Innovationen und Arbeitsstunden. Viele kluge Köpfe arbeiteten über mehrere Jahrzehnte hart daran, um den technologischen Fortschritt, der dann im iPhone die Massen erreichte, möglich zu machen.

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Das iPhone war nicht das erste Smartphone, das auf den Markt kam – aber es war das erste, das zu einem globalen Erfolg werden sollte. Bereits 1993 entwickelte Frank Canova Jr ein Smartphone namens Simon, das Apples im Jahr 2007 erstmals verkauften iPhone in vielen Funktionen ähnelte. Das Simon war ein großes schwarzes Rechteck mit Touchscreen und verschiedenen Apps – doch es scheiterte kläglich. Die Technologie war einfach noch nicht so weit, erklärt Canova heute lachend, wenn man ihn nach seiner Entwicklung fragt – es kommt eben auf das richtige Timing an.

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Bild: Brian Merchant

Das iPhone war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und es erfüllte einen jahrhundertealten Traum der Menschheit: Ein tragbares audiovisuelles Kommunikationsgerät, das uns mit unseren Freunden und Familie auf der ganzen Welt verbindet – uns gleichermaßen zu Empfängern wie zu Sendern macht.

Angesichts der mächtigen Funktionen des iPhones ist es nur allzu verwunderlich, dass viele von uns diesen Apparat gar nicht mehr aus der Hand legen wollen. Diese Nutzungsgewohnheit, die vielen nach zehn Jahren iPhone selbstverständlich erscheint, ist tatsächlich, bemerkenswert. "Es ist extrem selten, dass wir ein neues Gerät erfinden, das wir fortan immer bei uns tragen", erklärt Jon Agar, der als Historiker zur Entwicklung mobiler Technologie forscht. "Um auf diese Liste zu kommen, muss ein Gerät fast universell begehrenswert sein." Diesen Status hat das Smartphone, allen vorweg das iPhone, definitiv erreicht: Neben Jacke, Geldbeutel und Schlüssel greift weltweit ein großer Teil der Menschheit vor dem Verlassen des Hauses auch zum Mobiltelefon.

Ein Ausschnitt von Brian Merchants Buch 'The One Device' wurde von The Verge veröffentlicht:

Apples wichtigstes Produkt

Apple ist gegenwärtig das wertvollste Unternehmen der Welt. Zwei Drittel seiner Einnahmen verdankt es dem iPhone, von dem seit dem Jahr 2007 über eine Milliarde Geräte verkauft wurden. Eine Untersuchung der Finanzdaten der S&P 500 Unternehmen kommt sogar zu dem Schluss, dass das iPhone mehr Profit als Zigaretten abwirft.

Steve Jobs selbst erahnte diesen Triumphzug offenbar schon früh. Während der hektischen Entwicklungsphase sagte er seinem Team: "Leute, ihr wisst es wahrscheinlich nicht, aber was ihr hier macht, ist wichtiger als der erste Mac."

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Das iPhone 7 bei seinem offiziellen Launch 2016. Bild: Author

Die Touch-Technologie erobert die Welt

Durch das iPhone kamen die meisten Verbraucher zum ersten Mal mit der Multitouch-Technologie in Berührung. Die Entwicklung dieser Technik haben wir eigentlich einem gewissen Wayne Westerman zu verdanken. Der heute weithin unbekannte Doktorand entwickelte vor der Markteinführung des iPhones einen berührungsempfindlichen Bildschirm als Ersatz für die traditionelle Tastatur. Apple kaufte sein Unternehmen Fingerworks 2005 auf und integrierte die Multitouch-Technologie – von der Jobs behauptete, Apple habe sie erfunden – in das iPhone.

Die beliebteste Benutzeroberfläche der Welt

Weitere stille Helden, die dem iPhone zu seinem unvergleichlichen Siegeszug verhalfen, sind die Entwickler der Benutzeroberfläche des hauseigenen mobilen Apple-Betriebssystems iOS: Bas Ording, Imran Chaudhri, Greg Christie, Freddy Anzures und einige weitere Entwickler erschufen das Design jener Software, die bis heute so viele Nutzer wegen ihrer Einfachheit und intuitiven Bedienung ins Schwärmen bringt. Dann wären da noch Informatiker und Programmierer wie Richard Williamson, Henri Lamiraux, Nitin Ganatra und Andy Grignon, die unter der Leitung von Scott Forstall die Ideen des Betriebssystem zum Leben erweckten. Und schließlich waren es das Produktdesign-Team des inzwischen einigermaßen berühmten Designers Jony Ives und die Hardware-Ingenieure unter Tony Fadells und David Tupmans, die all die entwickelten Funktionen in eine elegante Hülle packten.

Jony Ives erste Skizzen des iPhones.

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Das iPhone ist das elektronische Kunstwerk all dieser beteiligten Entwickler, die längst nicht all mit Namen bekannt geworden sind – und von denen einige zum ersten Mal im Zuge meiner Recherchen ihre Version der Entwicklungsgeschichte preisgaben. Das iPhone ist eine kollektive Anstrengung von engagierten, ambitionierten, übermüdeten und genialen Apple-Mitarbeitern, die Steve Jobs jenes Prunkstück gaben, das wohl immer sein zentrales Vermächtnis sein wird.

Rohstoffe aus allen Teilen der Welt

Das iPhone wäre aber auch nicht möglich ohne seine wahrhaft globalisierte Lieferkette: Apple kauft günstige Metalle aus allen Ecken der Welt auf, baut die Geräte in China zusammen und verschickt sie dann rund um den Globus. Das iPhone ist das Endprodukt einer komplizierten Produktionskette, die an Orten wie den Zinn-Bergwerken in Bolivien beginnt. Hier brechen Minenarbeiter Zinn aus den zunehmend einsturzgefährdeten Wänden des Cerro Rico, der schon in der Spanischen Kolonialzeit als Silbermine genutzt wurde und noch heute Profit für die Minenbetreiber und Schwerstarbeit für die Kumpel unter Tage bedeutet.


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Ähnliche Minen findet man auch auf anderen Kontinenten: Kobalt wird im Kongo abgebaut, seltene Erden in der Inneren Mongolei, Aluminium in Australien. Im Bergbau herrschen auch heute noch brutale Arbeitsbedingungen. In der Mine, die ich in Bolivien besuchte und von der Apple-Zulieferer Teile des Zinns beziehen, sterben beispielsweise jedes Jahr Dutzende Arbeiter durch Tunneleinstürze.

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Zusammengebaut werden die iPhones dann In China; in Fabriken, die so groß wie Städte sind. Das Leben der Arbeiter dort ist immer noch von Überarbeitung, Ausbeutung und auch Suiziden bestimmt, auch nachdem die Selbstmord-Serie beim Apple-Partner Foxconn 2010 weltweit Schlagzeilen machte. Ich habe diese Orte mit eigenen Augen gesehen: Sie sind düster und seelenlos – und sie machen unsere globale Kommunikation überhaupt erst möglich.

Motherboard-Editor Jason Koebler in Cerro Rico. Bild: Brian Merchant

Welche Rolle das iPhone spielt

Egal, wohin ich während meiner Recherchen kam, das iPhone ist so universell einsetzbar und vielfältig, dass es Menschen auf der ganzen Welt in seinen Bann zieht. Junge Kunststudenten in Paris, Wasserpfeife rauchende Geschäftsmänner in Abu Dhabi oder chinesische Fabrikarbeiter in der Mittagspause: Sie alle kleben mit ihren Augen an ihren Smartphones.

Ich nehme mich da selbst nicht aus: Ich kann mich an ganze Städte nicht mehr erinnern, weil ich auf der Durchreise lieber auf meine Social Media Feeds starrte, statt mir die Umgebung anzuschauen. Wo immer auf der Welt ich mich auch aufhalte – nach dem Besuch eines iPhone-Schwarzmarkt im chinesischen Shenzhen oder eines Lithium-Bergwerk in Chile – nach der Arbeit rufe ich abends als erstes meine Familie über FaceTime an.

Foxconns Longhua Fabrik. Bild: Brian Merchant

Die Erfolgsgeschichte des iPhones ist ein Paradebeispiel für cleveres Marketing, aufsehenerregende Produktpräsentationen und für die rigorose Wahrung von Betriebsgeheimnissen. Apples Smartphone ist auch die Geschichte der stetigen Erneuerung und der Verbreitung von immer neuen Zukunftstechnologien auf einem globalen Level: Das iPhone schenkte der Welt mit Siri die erste wahrhaft massenhaft eingesetzte Künstliche Intelligenz. Es ist eines der sichersten mobilen Computersysteme auf dem Markt – und es ist doch auch erklärtes Ziel von Hackern und Tüftlern – die Geschichte des iPhones wäre nicht denkbar ohne die Geschichte der Jailbreak-Hacker. Momentan ist der Großteil der iPhones dazu verdammt, als Elektronikschrott zu enden. Durch einen möglichen Strategiewechsel von Apple könnte sich dieser Wegwerf-Trend jedoch schon bald wieder umkehren.

Das iPhone war zur richtigen Zeit am richtigen Ort

"Das richtige Timing und Glück spielen eine große Rolle", erklärt mir der ehemalige iPhone-Entwickler Evan Doll. Beispielsweise waren die für die Leistungsfähigkeit so wichtigen ARM-Prozessoren genau zum richtigen Zeitpunkt weit genug entwickelt, um das iPhone so schnell zu machen, dass alle Apps entsprechend funktionierten. "Alles kam perfekt zusammen."

Nicht nur bei den Prozessoren stimmte das Timing, auch bei den Lithium-Ionen-Akkus und den Kompaktkameras, sowie der zunehmenden Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften in den chinesischen Fabriken und dem Angebot an billigen Metallen auf der ganzen Welt. Alle diese Entwicklungen haben das iPhone zu dem gemacht, was es heute ist: zu einem der profitabelsten, meist kopierten und heiß begehrtesten Geräte unserer Zeit.