Warum Spotify seinen Songs still und leise die Lautheit abgedreht hat
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Warum Spotify seinen Songs still und leise die Lautheit abgedreht hat

Du hast es vielleicht gar nicht bemerkt, aber Spotify ist leiser geworden. Das sind großartige Neuigkeiten für Audiophile und deinen Steigbügelmuskel.

Bereits Ende Mai hat Spotify eine signifikante Änderungen auf seiner Plattform vorgenommen. Was kaum ein normaler Nutzer bemerkte, ließ Toningenieure und Audiophile die Ohren spitzen: Bei allen Spotify-Tracks war plötzlich die sogenannte Lautheit reduziert worden.

Um ihren Verdacht zu bestätigen, maßen die Ton-Fans mit der Software Dynameter nach: Ihre Analyse von bekannten Spotify-Playlisten wie den Global Top 50 oder beliebten Alben aus Genres von Soul bis Metal kam zu dem Ergebnis, dass Spotifys Angebot tatsächlich leiser geworden war. Genau genommen hat Spotify alle Angebote von -11 LUFS auf -14 LUFS reduziert. Doch was bedeutet das überhaupt?

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Streaming-Plattformen stimmen leisere Töne an

Die Lautstärke von Schallwellen kann auf verschiedene Weise gemessen werden. Im Endeffekt ist Lautstärke aber eine sehr individuelle Empfindung und gibt an, wie laut ein Hörereignis von Menschen wahrgenommen wird. Die Europäische Rundfunkunion führte deshalb 2011 einen neuen Messwert für Lautstärkepegel ein, der sich daran orientiert, wie das menschliche Ohr Lautstärke wahrnimmt. Mit der EBU-Empfehlung R128 wurden die sogenannten LUFS eingeführt ("Loudness Units relative to Full Scale", also "Lautheitseinheiten relativ zu digitalem Vollpegel").

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Eigentlich zielte die Einführung der EBU-Empfehlung R128 gar nicht auf Streaming-Plattformen oder die Musikindustrie ab, sondern sollte die Lautstärke von Fernsehprogrammen regulieren. So sollen beispielsweise Werbespots alle in derselben Lautstärke ausgestrahlt und nicht mehr lauter als das eigentliche Fernsehprogramm sein. Von öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern in Deutschland wird die Empfehlung seit dem 31. August 2012 teilweise umgesetzt, verpflichtend ist sie hierzulande jedoch nicht.

Durch die Reduzierung zieht Spotify nun mit anderen Musik-Plattformen wie YouTube (-13 LUFS), Tidal (-14 LUFS) und Apple Music (-16 LUFS) gleich. Die meisten Nutzer werden diese Veränderung gar nicht bemerken – und trotzdem ist sie gerade für die Konsumenten wichtig.

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Für einen besseren Sound ist weniger mehr

Eine der am häufigsten verwendeten Methoden, um die empfundene Lautstärke eines Songs zu erhöhen, ist die sogenannte Kompression. Dazu werden spezielle Hardware oder Programme während des Mastering-Prozesses verwendet, um die Schallwellen zusammenzudrücken. Durch die Kompression werden die höchsten Sound-Spitzen gekappt und dafür die ruhigeren Passagen in einem Lied mehr hervorgehoben. Das Gesamtprodukt wirkt dadurch am Ende lauter, obwohl sich die tatsächliche Lautstärke nicht erhöht hat. Dieser empfundene Lautheitsgewinn geschieht jedoch auf Kosten der Dynamik, und am Ende entsteht ein Klangbrei ohne spürbare Höhen und Tiefen.

Trotz dieses Qualitätsverlustes setzen Produzenten, Künstler und Label auf Lautstärke. Die Idee dahinter: Die lautesten Songs setzen sich am besten von der Konkurrenz ab. Denn tatsächlich wird Lautstärke von vielen Zuhörern mit Qualität verwechselt. Dieses Wettrennen um die lautesten Beiträge in der Musik- und Werbebranche wird auch als "Loudness war" bezeichnet.

Dieser Lautstärke-Krieg begann mit dem Aufkommen von CDs und digitaler Musik. Als Songs noch auf Schallplatten gepresst wurden, war die Lautstärke eines Lieds von vornherein technisch begrenzt – wenn die Töne auf einer Schallplatte zu laut waren, konnte das die Nadel zum Springen bringen und das gesamte Hörerlebnis zerstören. Diese Begrenzung gab es bei der CD nicht mehr, und somit wurde die Kompression immer beliebter. Auf einer Grafik von der Musikseite Sample Magic kann man gut nachvollziehen, wie die Lautheit über die Jahre immer weiter zugenommen hat.

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Doch ein Verlust der Dynamik ist nicht die einzige Nebenwirkung von exzessiver Audiodatenkompression. Wenn man Schallwellen begrenzt, kommt es zu Verzerrungen, die sich auf das ganze Musikstück auswirken können.

Metallica macht's vor

Ein Paradebeispiel dafür, wie sich übertriebene Kompression auf die Musikqualität auswirkt, ist das Album Death Magnetic von Metallica. Als die CD 2008 erschien, beschwerten sich viele Fans über den schlechten Sound: Sie vermissten akustische Dynamik und viele Stellen wirkten total verzerrt. Einige Monate später brachte die Band das Videospiel Guitar Hero: Metallica heraus, auf denen auch Songs von Death Magnetic vertreten sind. Da die neuen Stücke im Spiel jedoch im direkten Vergleich zu Metallicas alten Songs standen, waren die Death Magnetic-Songs deutlich überarbeitet worden und nun um einiges leiser als auf dem Studio-Album.

Die Unterschiede der beiden Metallica-Versionen waren so signifikant, dass dänische Forscher eine Studie darüber veröffentlichten. Im folgenden Video kann man anhand einer 30-sekündigen Liedsequenz von "My Apocalypse" die Unterschiede der Sound-Vielfalt sehr deutlich sehen und hören.

Spotify zwingt die Musikindustrie zum Umdenken

Indem Spotify nun also den LUFS-Index reduziert hat, signalisiert die Plattform der Musikindustrie, dass es gar keinen Sinn hat, lauter als alle anderen zu klingen. Selbst wenn ein Song durch Bearbeitung sehr laut gemacht wurde, wird seine Lautstärke auf der Plattform automatisch reduziert werden. Natürlich soll durch diese Maßnahme vor allem das Nutzererlebnis verbessert werden – so wie es auch bei den TV-Sendern und ihren Werbeclips zuvor der Fall war. Doch durch die Umstellung zwingt Spotify die Musikindustrie gleichzeitig auch zu einem Umdenken. Denn fortan können die Songs nicht mehr durch bloße Lautstärke punkten, sondern müssen durch andere Aspekte überzeugen.

Der Musikproduzent Nando Costa erklärte gegenüber Motherboard außerdem, dass Musikstücke, die zuvor stark komprimiert wurden, wegen der fehlenden Dynamik nun dumpfer klingen werden: "Wenn man die Lautstärke bei diesen Songs reduziert, wirkt es, als ob die Musik plötzlich viel tiefer klingt." Auf dieser Seite kann man sehen, was mit einem sehr lauten Song passiert, dem nun von Spotify der Saft abgedreht wird.

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"Manchmal ist die Musik nicht schlecht, weil sie schlecht komponiert wurde, sondern weil sie schlecht präsentiert wird", meint Costa. Somit könnte Spotify den Lautstärke-Krieg beenden und ganz nebenbei für eine bessere Qualität in der Musikindustrie sorgen, mit mehr Dynamik und sauberen Audiospuren.

Auch deine Ohren werden sich freuen

Doch Spotifys neue Lautstärke-Regelungen hat noch einen weiteren Vorteil: Sie könnte gegen erschöpfte Ohren helfen. Vielen Menschen ist es gar nicht bewusst, aber auch Ohren können unter Müdigkeit leiden. "Die Anzeichen der [Ohr-] Erschöpfung sind wohl bekannt, auch wenn die meisten Leute die Symptome nicht mit dem Begriff Erschöpfung in Verbindung bringen", erklärt Dr. Tanit Ganz Sanchez, die sich mit ihrer Praxis auf das menschliche Gehört spezialisiert hat.


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Sanchez erklärt, dass der sogenannte Steigbügelmuskel im Mittelohr das empfindliche Innenohr vor zu hohen Schallwellen schützt. Der Muskel zieht das Trommelfell zusammen und so werden die Töne gefiltert, bevor sie im Innenohr ankommen. Wird der Muskel jedoch zu lange intensiver Lautstärke ausgesetzt, kann er ermüden.

"Ich vergleiche den Steigbügelmuskel gerne mit dem Bizeps", erklärt sie. "Stell dir vor, du stemmst eine halbe Stunde lang im Fitnessstudio Gewichte. Irgendwann signalisiert dir dein Bizeps 'Das ist genug'. Der Ohrmuskel ermüdet genauso, doch wir können ihn nicht kontrollieren. Der Muskel zieht sich automatisch jedes Mal zusammen, wenn du ein lautes Geräusch hörst. Und wenn du oft laute Musik hörst, wird der Muskel immer schlaffer."

Zwar können wir im Steigbügelmuskel keinen Muskelkater bekommen, die Auswirkungen können wir jedoch trotzdem in Form von Erschöpfung, Gereiztheit und Schlaflosigkeit spüren.

Indem Spotify die LUFS auf seiner Plattform reduziert, tut es also auch etwas Gutes für die Ohren seiner Kunden. "Aus medizinischer Sicht ist die Reduzierung der Lautstärke ganz wunderbar", meint Sanchez.