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Die Story hinter dem irren Hai-Tanz, der plötzlich wieder angesagt ist

Das Kindervideo "Baby Shark Dance" knackt Rekorde – und erinnert verdächtig an den deutschen YouTube-Hit "Kleiner Hai". Wir sprechen mit der Frau, die einst als Alemuel durch Diskos tanzte.
Szene aus dem Musikvideovon Alemuel
Szene aus dem Musikvideo zu "Kleiner Hai" |  Screenshot: YouTube | KleinerHaiVEVO

Es ist Sommer 2007, das zweite Jahr nach Schnappi, und die Pop-Produzenten Deutschlands suchen nach einem neuen Ohrwurm. Hoffnung schöpfen sie auf YouTube. In einem pixeligen Home-Video singt eine junge Frau mit türkisfarbenem Pulli und rotem Haarreif Zeilen wie "kleiner Hai (dim dim)", "großer Hai (dim dim)" und gestikuliert dabei immer heftiger mit Händen und Armen, bis die Performance mit einem Schrei ihren Höhepunkt erreicht.

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Fast eine Million Abrufe hat das Video zu diesem Zeitpunkt – virales Potenzial! Ein knappes Jahr später steht die junge Frau bei The Dome auf der Bühne, tritt am Ballermann auf und Kleiner Hai, jetzt mit einem Technobeat hinterlegt, steigt auf Platz 25 der Charts ein.

Alemuel nannte sich die Interpretin damals, Alexandra Müller heißt sie bis heute. Sie ist Mitte 30, arbeitet als Online-Redakteurin beim SWR in Stuttgart und wird derzeit von ihrer Vergangenheit eingeholt. Der Grund: Ein Kindersong aus Korea namens Baby Shark Dance ist kürzlich in die Top 100 der Billboard Charts eingestiegen, wird weltweit gecovert, begeistert Kinder und nervt Erwachsene, und ist mit mehr als zwei Milliarden Abrufen eines der bislang meistgeklickten YouTube-Videos überhaupt.

Der Song ist zwar keine Kopie von Alemuels Kleiner Hai, aber die Ähnlichkeit ist offensichtlich: Mit einem eingängigen Refrain wird händeklatschend eine Hai-Familie vorgestellt. Der Text ist anders, das Ohrwurmpotenzial ähnlich gefährlich. Grund genug, bei Alexandra Müller nachzufragen, wie es vor elf Jahren zu ihrem ungewohnten Erfolg im Internet kam – und weshalb ihre Karriere mit einer Lüge begann.

Alemuel wollte anonym bleiben – aber das Internet war schlauer

Alles begann zum Jahreswechsel 2006/2007 bei einer Silvesterfreizeit für Kinder und Jugendliche, die Müller betreute: "Da singen wir dieses Lied schon ewig", sagt sie im Gespräch mit Motherboard, "und die Kids haben gemeint, ich würde den Hai so gut machen und sollte es doch mal aufnehmen. Also habe ich mich filmen lassen und in meiner grenzenlosen Naivität das Video anschließend bei YouTube hochgeladen."

Ein halbes Jahr später hatte Kleiner Hai plötzlich eine Million Abrufe. Was genau zur sprunghaften Verbreitung beigetragen hat, weiß Müller nicht. Plötzlich entstanden die ersten Reaction-Videos, in denen andere Menschen die Performance kopierten. Es folgten Mashups mit anderen Memes, etwa dem Techno Viking, und plötzlich erkannten auch die klassischen Medien das virale Potenzial des absurden Clips. "Ein Mann schrieb mir, er sei mit der EMI verbandelt und wolle eine Platte mit mir aufnehmen. Ich dachte mir so 'ey, der verarscht mich doch!' Aber ich habe ihm einfach mal zugehört. Und kurz darauf hatte ich einen Plattenvertrag", sagt Müller.

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Alemuels Auftritt bei den "Ballermann Hits 2008" | Screenshot: YouTube | Mary Blue

In der Öffentlichkeit wird die Kunstfigur Alemuel zunächst als 18-Jährige Schülerin vorgestellt, die den Clip nur deshalb aufnahm, weil ein Freund sie für feige hielt. Die Süddeutsche Zeitung nennt sie "Mädchen mit den Kulleraugen" und erwähnt sie, offenbar völlig ironiefrei, in einem Satz mit den Arctic Monkeys, was Müller heute noch laut Auflachen lässt. Denn während die britische Band weltweit Hallen füllt, tritt Alexandra Müller heute vor allem vor ihrer kleinen Tochter im Wohnzimmer auf.

Tatsächlich studierte Alemuel, als das Originalvideo entstand, gerade Kulturjournalismus in Hildesheim und stand kurz vor der Diplomarbeit. Die Wahrheit kam dann auch relativ schnell heraus, erzählt Müller: "Ich wollte mein Privatleben schützen, habe aber nicht darüber nachgedacht, dass die Leute wissen wollen, wer wirklich hinter Alemuel steckt. Jemand hat dann gut gegoogelt und in der Diskussion auf Wikipedia erwähnte jemand, dass er mich aus einem Seminar an der Uni kenne und alles fake sei. Ich musste dann in der Bravo oder so eine Art Offenbarungsinterview geben."

Vor 500 Menschen in der Disko ausgebuht

Alemuel sei eine Performance gewesen, sagt Alexandra Müller heute, ein bisschen Dada. Nachdem die Plattenfirma bei ihr anklopfte habe sie einfach sehen wollen, wie weit sie diese Geschichte durchziehen konnte. Sie fühlte sich teilweise wie eine "Gonzo-Journalistin" und hielt ihre Erlebnisse in einem Tagebuch fest. Aber sie habe die Rolle durchaus mit Überzeugung durchgezogen, sagt sie: "Ironie hört dann auf, wenn man vor 500 Menschen in einer Disko steht und ausgebuht wird", wie es bei einem Auftritt in Gera der Fall war. "Falscher Ort, falsches Publikum", glaubt Müller, "aber als ich mich ins Hotel verkriechen wollte, kamen doch noch ein paar Fans und sagten: 'Ich hab' nicht gebuht, ich fand's total gut, können wir ein Foto machen?'"

Auf YouTube klickten vor allem junge Menschen das Videos, teilten es und machten es schließlich zum Meme: Plötzlich tanzten Menschen rund um die Welt den Hai-Tanz. Kinder imitierten es, weil sie es cool fanden. Erwachsene, weil es absurd bis hochnotpeinlich war. Andere YouTuber interpretierten es neu, zum Beispiel als Beatbox-Version oder Rave-Remix. Noch 2016 und 2017 entstanden neue Reaction-Videos.

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Doch der Erfolg im Internet ließ sich nicht einfach offline wiederholen. Plattenfirma und Marketingagentur hofften, aus dem Hai einen Crossover-Hit zu machen, den Erwachsene auch noch nach zwei Eimern Sangria mitgrölen konnten. Aber Menschen um die 30 hätten den Song teilweise überhaupt nicht verstanden, sagt Müller heute. Ohne den Kontext des YouTube-Videos wirkten die Live-Auftritte auf viele Leute irritierend.

"Das ganze Jahr über erlebte ich ein permanentes WTF-Gefühl", sagt sie. Maskenbildner empfahlen ihr, doch mal die Augenbrauen zu rasieren; andere Prominente, würdigten sie keines Blickes. "Vor meinem allerersten Auftritt bei The Dome saß ich backstage neben Wilson Gonzales Ochsenknecht, der gerade einen Burger futterte, als H.P. Baxxter von Scooter vorbeilief, und die Finalisten von DSDS waren auch da. Nach meinem Auftritt war ich voller Adrenalin und ziemlich happy, denn es war ja auch witzig. Aber eben auch furchtbar absurd, denn ich war offensichtlich ein Fremdkörper in dieser Branche."

10.000 Euro Gage für ein Kinderlied

An etwa 30 Wochenenden war Alemuel 2008 unterwegs. Manchmal fuhr sie für einen zehnminütigen Auftritt stundenlang mit der Bahn durch Deutschland. Ihre Diplomarbeit musste warten, dafür hat es sich finanziell rentiert. Nach eigenen Angaben verdiente sie in dem Jahr etwa 10.000 Euro allein durch die Auftritte – "das war mehr, als ich durch studentische Nebenjobs verdient hätte", sagt Alexandra Müller.

2009, nach einem Jahr im Rampenlicht, endete die Karriere von Alemuel so schnell wie sie begonnen hatte. Aus eigenen Stücken, betont sie: "Wenn Leute zwanghaft versuchen, ein virales Video zu wiederholen, endet das fast immer peinlich. Es gab noch das Angebot, dass ich Fünf Kleine Fische singen sollte. Aber ich wollte nicht die Frau mit den Kinderliedern in der Mallorca-Musikszene sein."

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Alexandra Müller heute | Foto: SWR

Trotzdem stand "One Hit Wonder" sogar eine ganze Weile in ihrem Lebenslauf – bei Bewerbungsgesprächen war es einfach ein zu gutes Thema. Wenn sie heute mit Leuten darüber spreche, dauere es immer einen Moment, bis die Menschen die zwei Bilder von Alexandra Müller, damals und heute, vereinbaren könnten, sagt sie. "Aber wer mich besser kennt, sieht relativ schnell die Gemeinsamkeiten. Ich war schon immer quatschig und ich finde Quatsch bis heute total gut."

Was sie nicht so gut fand, waren die Kommentare auf YouTube. "Die waren zu 75 Prozent negativ. Da hieß es, dass ich in einer Irrenanstalt bin, Drogen genommen habe oder einfach hässlich bin." Dass sie zu dem Zeitpunkt schon Mitte 20 war, sei ein Vorteil gewesen. "Ich saß nicht abends zuhause und habe geweint, weil mich jemand anonym auf YouTube beleidigt hat. Mir war klar, dass sie eben Alemuel beschimpfen, aber nicht mich. Ich ließ das nicht an mich ran. Aber ich weiß nicht, wie es Kindern und Teenagern geht, die plötzlich virale Videostars sind."



Bis heute liest Alexandra Müller noch Kommentare, wenn sie wieder einmal unter einem Hai-Video auf Facebook getaggt wurde. Durch den Erfolg des koreanischen Baby Shark Dance kam das in den vergangenen Monaten wieder öfter vor. Ob sie nicht ein bisschen neidisch sei, dass dieser Clip jetzt YouTube-Geschichte schreibt und unter anderem von Jimmy Kimmel in seiner Show aufgegriffen wird? "Neidisch bin ich nicht”, sagt sie. “Mir war klar, dass noch andere folgen werden." Sollte Kimmel aber doch noch anrufen: Alemuel wäre bereit, noch einmal den türkisfarbenen Pullover aus dem Schrank zu holen.

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