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Darknet-Dealer streiten, ob sie die gefährlichste Droge der Welt weiter verkaufen sollen

Auch wenn Medienberichte und ein hochrangiger Ermittler das Gegenteil behaupten, Motherboard konnte weiterhin problemlos Fentanyl-Angebote im Darknet finden. Trotzdem merken auch Dealer: Tote Kunden sind trotz guter Preise schlechte Kunden.
Dieses Bild zeigt, warum Fentanyl so gefährlich ist: Die tödliche Dosis des Opioids ist viel geringer als bei Heroin.
Dieses Bild zeigt, warum Fentanyl so gefährlich ist: Die tödliche Dosis des Opioids ist viel geringer als bei Heroin | Bild: New Hampshire State Police Forensic Laboratory

Kalaschnikows aus der Slowakei, ungarische Führerscheine, Koks und Falschgeld: Im Darknet geht vieles – aber nicht alles. Das legt jetzt zumindest ein leitender britischer Drogen-Ermittler nahe. Er behauptet gegenüber der britischen Zeitung Observer: Die Droge Fentanyl sei so gefährlich, dass sich Darknet-Händler und Schwarzmärkte freiwillig darauf geeinigt hätten, die Droge nicht mehr zu verkaufen – aus Angst, dass Todesfälle ihrer Kunden die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen könnten.

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Es wäre das erste Mal, dass sowohl Händler als auch Darknet-Märkte den Verkauf einer Droge einschränken würden, dabei sind sie für den grenzenlosen Kommerz illegaler Produkte und Dienstleistungen berüchtigt. Die Nachricht zog Kreise und wurde auch international berichtet. Doch im Darknet recherchiert, ob die Behauptung des Ermittlers auch stimmt, hat bisher offenbar niemand. Wir haben deshalb auf drei großen Darknet-Märkten und den größten Darknet-Foren nachgesehen, wie die Diskussion und das Angebot rund um Fentanylprodukte gerade aussehen.

Warum Fentanyl als gefährlichste Droge der Welt gilt

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das 50- bis 100-mal stärker als Heroin wirkt. Eigentlich als wichtiges Schmerzmittel und bei Narkosen eingesetzt, missbrauchen Menschen die Droge seit dem Beginn der Opioidkrise in den USA immer mehr – oft sogar ohne ihr Wissen, denn Fentanyl wird immer häufiger zum Strecken von Heroin verwendet. Das ist lebensgefährlich, denn schon ein winziger Krümel kann zu einer Atemlähmung und damit zum Tod führen, wie Ärztekammern warnen.

Ein großer Teil des im Darknet verkauften Fentanyls scheint aus China zu kommen, wo die Substanz noch weitgehend unreguliert gehandelt wird. Das soll sich jetzt allerdings ändern:

China hat nach Gesprächen auf dem G20-Gipfel angekündigt, die Droge ebenfalls als kontrollierte Substanz zu behandeln und damit die Verbreitung zumindest zu untersagen. Ob sie dadurch auch eingedämmt wird, ist natürlich noch einmal eine ganz andere Frage.

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"Wie fühlt sich das an, ein Produkt zu verkaufen, das zweifellos jemanden töten wird?"

Konsumenten beziehen den Stoff abseits von Darknet je nach Verfügbarkeit direkt aus der Apotheke oder kochen Sud aus benutzten Schmerzpflastern aus dem Krankenhausmüll aus. In Europa ist Fentanyl noch längst nicht so verbreitet wie in den USA, weil die Zahl der Verschreibungen und damit auch der Abhängigen von opiathaltiger Schmerzmedikation ebenfalls signifikant niedriger ist.

Trotzdem gibt es bereits einige Fentanyl-Todesfälle zu beklagen, in Deutschland starben nach Angaben des BKA 110 Menschen im Jahr 2017 im direkten Zusammenhang mit Fentanyl-Konsum. Auch der britische Drogenermittler Vince O'Brien kennt die extreme Gefahr von Fentanyl. Er arbeitet für die britische National Crime Agency, die Behörde ist mit dem deutschen BKA vergleichbar. Der Guardian zitiert ihn aus einem Interview mit der britischen Zeitung Observer: "Jedes Mal, wenn wir einen Darknet-Händler hochnehmen, ermitteln wir anschließend die Kunden. Und jedes Mal, wenn wir das getan haben, waren einige von ihnen bereits tot."

Fentanyl-Verbote gibt es, doch nicht alle Dealer halten sich daran

Einer der größten und aktuell am längsten bestehenden Darknet-Schwarzmärkte, Dream Market, hat den angemeldeten Händlern den Verkauf der Droge tatsächlich seit Oktober 2018 strikt verboten, zusammen mit anderen umstrittenen Produkten, darunter Schusswaffen, chemische Kampfstoffe und Giften. Trotzdem lassen sich auf Dream Market noch einige wenige Fentanylpflaster finden, am 10. Dezember waren es vier Einträge.

Die Nutzungsbedingungen von Dream Market

Die Hausregeln des größten Darknetmarkts Dream Market: Keine Massenvernichtungswaffen, kein Fentanyl | Bild: Screenshot | DreamMarket

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Allerdings ist es gut möglich, dass diese Angebote bald von Seiten des Markts gelöscht werden oder die Händler Betrüger sind. Zwei der vier Anbieter können noch keine einzige Bewertung vorweisen. Dahinter könnte der Versuch stehen, potentielle Kunden um ihre Bitcoin zu bringen, ohne ein Produkt zu liefern.

Ein Angebot für Fentanyl im Darknet

Trotz Hausverbot und Selbstverpflichtung hat es dieser Händler scheinbar geschafft, doch Fentanylpflaster auf einem der größten Darknet-Märkte anzubieten | Bild: Screenshot

Auf einem der wichtigsten Konkurrenzmärkte, Wall Street Market, der mit über 3.700 Verkäufern ebenfalls zu den größten des Darknets zählt, ist von der Debatte um die Selbstregulation von Fentanyl dagegen nichts zu spüren. Hier werden schließlich auch Schusswaffen und andere problematische Produkte ohne Einschränkung gehandelt. In der Opiate-Kategorie bieten Händler nach wie vor Fentanyl und seine Derivate in Pflaster-, Pulver und Pillenform an.

Manches deutet darauf hin, dass das Geschäft nach wie vor gut läuft: Es gibt etwa 56 Einträge unter dem Suchbegriff "Fentanyl", angeboten von Händlern mit aktuellen Rezensionen in ihrem Profil. Darunter sind auch Händler aus Deutschland, die Fentanylpflaster "direkt aus der Apotheke" anbieten. Ein deutscher Händler hat allein in den letzten 12 Monaten über 30 positive Bewertungen für seine Fentanylprodukte gesammelt.

Angebote für Fentanyl

56 Ergebnisse: Auf Wall Street Market läuft das Geschäft mit Fentanyl weiterhin | Bild: Screenshot

Besonders gefährlich: Auf Wall Street Market werden auch Pillen angeboten, die angeblich eine Mischung aus Fentanyl und dem opiathaltigen Schmerzmittel Oxycodon beinhalten. Ohne einen aufwändigen und komplexen Labortest kann jedoch kaum ein Konsument bestimmen, in welcher potentiell tödlichen Dosierung hier Fentanyl enthalten ist. Stammen die Pillen aus einer Manufaktur, in der die beiden Substanzen unzureichend vermischt werden, können sich auch höher konzentrierte Fentanyl-Hotspots in der Mischung bilden, die den Konsumenten töten können.

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"Diese Droge ist eine Waffe an der Schläfe von jedem, der sie in die Finger kriegt."

Auch den neueren Darknetmarkt Point haben wir nach Fentanyl durchsucht. Der Markt steht offenbar unter russischer Führung und hat eine etwas kleinere Nutzerbasis. Aktuell erscheinen dort immerhin sechs Fentanyl- und Carfentanyl-Angebote.

Die Selbstregulation einzelner Händler und sogar ganzer Verkaufsplattformen lässt sich demnach durchaus beobachten – aber sie erstreckt sich bei Weitem nicht auf alle Kryptomärkte im Darknet. Es ist ein bisschen so, als würde eine Supermarktkette ein problematisches Produkt aus dem Regal nehmen, das man beim Discounter nebenan weiterhin bekommen kann.

Tote Kunden zahlen nicht, argumentieren die Dealer

In den größten Darknet-Foren debattieren Nutzer heftig über die Gefahren und die ethischen Probleme hinter dem Verkauf von Fentanyl. Zumeist kreisen die Diskussionen aber eher darum, wie man vermeiden kann, versehentlich mit Fentanyl gestreckte Drogen zu bekommen. Nutzer empfehlen sich gegenseitig Händler, die garantiert fentanylfreie Ware verkaufen.

Auch die meisten Händler scheinen Fentanyl gegenüber eher abgeneigt zu sein. "Diese Droge ist eine Waffe an der Schläfe von jedem, der sie in die Finger kriegt", schreibt ein Händler aus den USA im Forum von Dream Market. "Es macht mich traurig, dass sie existiert und Menschen damit Geld machen wollen. Leute, wenn ihr die Möglichkeit dazu habt: Bitte lasst es."

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Auch abseits der großen Märkte stoßen Fentanyl-Dealer im Darknet auf Widerstand. Im Darknet-Diskussionsboard Dread hat ein selbsterklärter Fentanyl-Händler etwa einen Thread mit den Worten "Fragt uns alles" gestartet. Ein Nutzer namens Preview-of-Freedom möchte wissen: "Wie fühlt sich das an, ein Produkt zu verkaufen, das zweifellos jemanden töten wird? Wie gibt man sein Blutgeld am allerbesten aus?"

Angebot für Fentanyl

Auch deutsche Händler sind offenbar gut im Geschäft mit der gefährlichen Droge | Bild: Screenshot

Andere glauben, dass die besorgten Drogenhändler bloß moralisieren. "Früher war Heroin der Sündenbock, jetzt ist es eben Fentanyl", schreibt ein Dealer auf dem Darknet-Markt Wall Street in einer Nachricht an Motherboard. Er gibt an, aus Europa an eine weltweite Kundschaft zu versenden. "Meiner Meinung nach ist jemand, der seine Produkte mit Fentanyl streckt, ein Mörder. Aber jemand, der Kunden genau das gibt, wonach er sucht? Der ist ein verlässlicher Darknet-Vendor, mehr nicht."

"Wenn ein Brotkrümel zwischen Leben und Tod entscheidet, ist das Irrsinn und einfach dumm."

Ganz anders sehen das die Dealer, die sich freiwillig verpflichtet haben, Fentanyl nicht mehr zu verkaufen. "Fentanyl hat sicher seinen Nutzen im medizinischen Kontext, aber auf der Straße bleibe ich bei meiner Meinung, dass es absoluter Müll ist und hier nicht existieren sollte", schreibt ein australischer Dealer auf dem Diskussionsforum TheHub. "Es gibt viele Alternativen, die das leisten, was Fentanyl leitet. Wenn ein Brotkrümel zwischen Leben und Tod entscheidet, ist das Irrsinn und einfach dumm."

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Kommentar aus einem Forum

Auf den großen Diskussionsforen im Darknet positionieren sich die meisten Nutzer ganz eindeutig gegen den Verkauf von Fentanyl – und manche channeln sogar ihren inneren Prediger | Bild: Screenshot

Ähnlich sehen das europäische Drogenhändler. "Schon 2 Milligramm können dich töten. Aber nicht jeder, der süchtig ist, kriegt die Mathematik auf die Reihe oder hat eine Feinwaage, mit der er gemäß seines Körpergewichts korrekt dosieren kann. Und das ist lebensgefährlich", schreibt ein Dealer aus Deutschland in einem verschlüsselten Chat an Motherboard. Er handelt auf einem der größten Darknet-Märkte mit Heroin und anderen Opiaten. "Ich habe jedenfalls absolut kein Interesse mehr, so ein Hochrisiko-Produkt zu verkaufen. Tote Kunden zahlen ja auch nicht."

Wie tödlich Fentanyl tatsächlich ist, beweist die Statistik: Fentanyl war laut des US-amerikanischen Center for Desease Control (CDC) allein in den USA im Jahr 2016 für 22.000 Tote durch eine Überdosis verantwortlich; im vergangenen Jahr stieg diese Zahl sogar noch einmal auf 29.000 Tode an.

Angst vor der Polizei, wie der britische Beamte behauptet, haben die Händler also eher nicht. Vielmehr stehen bei der Einschränkung von Fentanyl kommerzielle Motive im Vordergrund, die mit mehr oder weniger ethischen Argumenten unterfüttert sind. Denn im Darknet geht eindeutig nicht alles – sondern nur das, was sich marktwirtschaftlich auch lohnt.