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Wie das Internet Menschen an Weihnachten zusammenbringt

Viele Menschen fühlen sich an den Feiertagen allein, andere haben Lust auf neue Gesichter: Die Aktion #keinerbleibtallein bringt sie zusammen. Motherboard hat mit ihnen gesprochen.
Collage: Christian Fein von #keinerbleibtallein (links) blickt in die Ferne. Rechts: Screenshots von Twitter.
Christian Fein bringt Menschen an den Feiertagen zusammen | Bild: Christian Fein

"Ich sehe es als Pflicht, jemanden an Weihnachten an unseren Tisch einzuladen", sagt Reinhard im Gespräch mit Motherboard. Der Familienvater bietet dieses Jahr an den Feiertagen Menschen einen Platz an seinem Tisch an, die sonst alleine wären. Menschen wie Roman, der letztes Jahr über die Aktion #keinerbleibtallein zu Silvester Gesellschaft gefunden hat und auch dieses Jahr über die Aktion twittert.

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Unter dem Hashtag #kleinerbleibtallein fanden letztes Jahr Menschen Gesellschaft, die sich an Weihnachten und Silvester einsam fühlten. Die Aktion lief so gut, dass sie sogar zeitweise Helene Fischer in den Twitter-Trends überholte. Auch dieses Jahr gibt es Hunderte Tweets von Personen, die Gesellschaft suchen oder Gesellschaft anbieten, zusätzlich wurde die Aktion auf Facebook und Instagram ausgeweitet.

Einer der Initiatoren, Christian Fein, hat in diesem Jahr mit seinen Mitstreitern einen Verein gegründet, der die Menschen zusammenbringt. Fein sagt im Telefonat mit Motherboard, dass sich gerade unter jungen Leuten nur wenige bewusst sind, wie sehr Einsamkeit ein Thema ist. "Die meisten Leute auf der Plattform sind zwischen 25 und 35 Jahren alt", sagt Fein. Bei der Aktion machen aber Menschen jeden Alters mit: "Unsere älteste Teilnehmerin ist 97 Jahre alt".

Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die ganz besondere Feiertage mit Fremden verbracht haben und verbringen wollen – und das wunderschön finden.

Johanna aus Berlin: "Ein Gast ist jetzt an Weihnachten immer dabei"

Was hältst du von der #keinerbleibtallein-Aktion, bei der sich vorher Fremde über das Internet finden?
Wenn es eine Sicherheit gibt, dass das gut geht, würde ich da auch mitmachen. Ich überlege momentan, über die Plattform nebenan.de ein gemeinsames Weihnachten in der Nachbarschaft anzustoßen, da ich in einer Gegend mit vielen Singles wohne. Ab nächstem Jahr werden wir zusätzlich einen Nachbarn einladen. Ich habe zuvor schon einmal eine alleinstehende Person an Weihnachten aufgenommen und gute Erfahrungen damit gemacht.

Kanntest du die Person vorher?
Ein bisschen. Ich habe sie kennengelernt, als ich im Jahr 2014 im Krankenhaus lag. Sie war eine alleinstehende, ältere Dame und hat mir erzählt, dass sie versucht, an Weihnachten immer im Krankenhaus oder in der Reha zu sein, damit sie nicht alleine ist. Da habe ich beschlossen, dass ich sie zu mir nach Hause einladen will.

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Wie habt ihr dann Weihnachten verbracht?
Wir waren zu fünft: Mein Partner, mein Sohn mit seiner Freundin, die ältere Dame und ich. Wir haben vorher mit ihr gesprochen und nach ihren Gewohnheiten gefragt, was zum Beispiel das Essen angeht. Mein Partner hat sie zu Hause abgeholt und wir haben Weihnachten gefeiert wie immer – gegessen, Spiele gespielt, viel geredet. Es war wunderschön.

Danach haben wir sie wieder nach Hause gefahren und sind zur Christmette gegangen. Es war gut, den Weihnachtsgedanken auch praktisch zu leben und einfach etwas zu tun.

Habt ihr dann auch in den nächsten Jahren jemanden bei euch aufgenommen?
Die Dame ist dann leider verstorben, seit dem darauffolgenden Jahr feiern wir mit der Mutter meines Freundes. Sie wollte sich vorher den Kindern nicht aufdrängen und hat an Weihnachten Reisen gemacht. Ein Gast ist jetzt an Weihnachten immer dabei, ich finde, das ist Menschenpflicht.

Roman Swietlik aus NRW: "Hatte das Gefühl, der einzige zu sein, der keinen Spaß hat"

Du hast letztes Jahr an Silvester über #keinerbleibtallein Gesellschaft gefunden. Wie lief das ab?
Ich bin bei Twitter als @deprifrei unterwegs und auf den Hashtag aufmerksam geworden. Da bin ich neugierig geworden und habe mich bei Christian gemeldet, der das organisiert. Er hat dann nach einer Weile geschrieben, dass sich eine Frau aus Wuppertal gemeldet hat, die Gesellschaft anbietet. Wir haben dann über Twitter ein bisschen hin- und hergeschrieben und dann habe ich Silvester bei ihr verbracht.

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Warum hast du gerade an Silvester nach Gesellschaft gesucht?
Weihnachten habe ich zusammen mit meiner Mutter gefeiert, aber Silvester wollte ich das nicht. Mein damals einziger Freund mag aber Silvester nicht, da hatte ich ein Problem. An Silvester sind alle lustig und haben Spaß und ich hatte das Gefühl, der einzige zu sein, der keinen Spaß hat.

Wie habt ihr dann Silvester gefeiert?
Ich kam so um 22 Uhr bei der Frau zu Hause an und da war ich in einem Haufen fremder Leute. Ich saß auch der Couch und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mit den Leuten warm geworden bin. Erstmal habe ich daher noch einsamer gefühlt, aber dann bin ich mit zwei Leuten in Kontakt gekommen und wir haben uns über Diskriminierungserfahrungen unterhalten.

Um Mitternacht sind wir alle nach draußen gegangen, haben geböllert und auf das neue Jahr angestoßen. Danach haben wir zusammen Werwolf gespielt. Da habe ich mich dann nicht mehr allein gefühlt und es kam ein Gemeinschaftsgefühl auf. Für die Gastgeber ist es wichtig, die Gäste aktiv mit einzubeziehen und zu integrieren.

Wirst du dieses Jahr wieder bei der Aktion mitmachen?
Ja, ich habe mich auch dieses Jahr wieder gemeldet. Man muss immer wieder versuchen, sich zu überwinden. Ich wünsche mir, dass Leute wieder in Kontakt miteinander treten und offen sind, statt sich zu Hause einzuigeln. Das gute an #keinerbleibtallein ist auch, dass es ganz egal ist, ob du Lehrer bist oder eine Behinderung hast. Niemand fragt da, aus welcher Gesellschaftsschicht jemand kommt.

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Reinhard aus Dortmund: "Man sollte immer versuchen, dass Menschen sich nicht einsam fühlen"

Wie feierst du normalerweise Weihnachten?
An Heiligabend sind wir zu fünft. Meine Frau, mein Sohn und ich besuchen zusammen die Christvesper für Familien. Zur Christmette gehe ich dann alleine, weil man Sohn da schon schläft. Am ersten Weihnachtstag kommen bei uns etwa acht Leute zusammen. Wir laden auch jedes Jahr Freunde ein, die vorbeikommen, wenn sie Zeit haben.



Ihr wollt dieses Jahr bei #keinerbleibtallein mitmachen. Habt ihr keine Bedenken, Weihnachten mit einer unbekannten Person zu verbringen?
Ich habe über evangelisch.de von dem Hashtag #keinerbleibtallein erfahren und fand das eine super Sache. Danach habe ich mit meiner Frau gesprochen und wir waren uns einig, dass es unsere christliche Pflicht ist, zumindest einen Platz anzubieten. Wir haben überlegt: Wenn wir alleine wären, würden wir uns auch freuen, eingeladen zu werden. Ich finde, man sollte immer versuchen, dass Menschen sich nicht einsam fühlen. Aber gerade die Zeit jetzt um Weihnachten hat natürlich einen besonderen Charakter.

Hat sich schon ein Weihnachtspartner bei dir gemeldet?
Bisher hat sich noch niemand gemeldet, aber es ist ja noch etwas Zeit bis dahin. Vielleicht sind auch die Menschen, die eigentlich gerne Gesellschaft hätten, etwas zurückhaltend.

Die Telefonseelsorge unterstützt #keinerbleibtallein. Wer sich einsam fühlt oder sich Sorgen um Menschen macht, kann sich – nicht nur an Weihnachten – an die Telefonseelsorge wenden. Die Nummer der Hotline in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat.

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