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Nach Chelsea Mannings Suizidversuch will sie das US-Militär hart bestrafen

Weil sie sich in ihrer Zelle versuchte, zu erhängen, könnte die Whistleblowerin für Jahrzehnte in Isolationshaft gesteckt werden.
Bild: Chelsea Manning auf Medium | CC BY-SA

In den frühen Morgenstunden des 5. Juli 2016 hat die inhaftierte US-Whistleblowerin Chelsea Manning wohl versucht, sich in ihrer Zelle das Leben zu nehmen. Nach einem 24-stündigen Krankenhausaufenthalt wurde sie wieder in das Militärgefängnis gebracht—doch statt ihre Depressionen weiter zu behandeln, ermittelt nun das Militär gegen Manning und droht, sie für Jahrzehnte in Einzelhaft zu stecken.

In der verklausulierten bürokratischen Sprache des Militärgefängnisses wird der Suizidversuch von Manning, die aufgrund der Weitergabe von geheimen Militärdokumenten an Wikileaks im Gefängnis sitzt, nämlich als „Verwaltungsvergehen" gewertet—und kann extreme Konsequenzen nach sich ziehen. Wie aus einem Armee-Dokument hervorgeht, das die Whistleblowerin am 28. Juli empfangen hatte, könnten die Vorfälle vom 5. Juli—sofern sie für Vergehen wie „Besitz von unerlaubten Gegenständen", „Widerstand gegen die Zellenbeamten" und „bedrohlichem Verhalten" für schuldig befunden wird—zu verschärften Haftbedingungen führen. Im schlimmsten Fall kann es bedeuten, dass sie die gesamte verbleibende Zeit ihrer Strafe in Einzelhaft verbringen muss.

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Die Anwälte der Transgender-Whistleblowerin Chelsea Manning verurteilen diese Entwicklung scharf. Chase Strangio, der Manning für die Bürgerrechtsorganisation ACLU vertritt, resümiert in einem Artikel auf der Homepage der American Civil Liberties Union: „Es besorgt uns sehr, dass Chelsea nun für ihren Selbstmordversuch auch noch zum Gegenstand von Ermittlungen wird und eine mögliche Strafe erwarten muss. Die Regierung weiß schon lange um Chelseas Notlage durch die Verweigerung von medizinischer Versorgung im Rahmen ihrer Geschlechtsumwandlung—trotzdem wurde ihr diese Versorgung wiederholt verweigert oder herausgezögert", heißt es dort am 28. Juli. „Jetzt, da Chelsea unter der düstersten Depression seit ihrer Verhaftung leidet, will die Regierung sie für ihren Schmerz bestrafen".

Ihre Anwälte fordern nach wie vor eine angemessene Unterbringung und medizinische Versorgung. Mit der Überzeugung, dass die Behandlung von Chelsea Manning als Folter gelte, ist die ACLU nicht allein; selbst die Vereinten Nationen kommen zu dieser Einschätzung.

Manning war bereits zuvor für längere Zeiträume in Einzelhaft verwiesen worden. Zum Zeitpunkt ihrer Verlegung von einem Gefängnis in Kuwait in eine Haftanstalt in Virginia (um 2011) musste sie sich jede Nacht in ihrer Zelle nackt ausziehen; zudem wurde ihr grundlegende medizinische Versorgung wie eine Brille verweigert, wie ihr Anwalt in einer elfseitigen Beschwerde schrieb. Selbst der damalige Sprecher des State Department, P.J. Crowley, nannte die Behandlung von Manning im Gefängnis „lächerlich, kontraproduktiv und dumm".

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Die Whistleblowerin Manning sitzt eine 35-jährige Haftstrafe für Spionage und Verrat im für seine strengen Regeln bekannten Militärgefängnis Fort Leavenworth in Kansas ab. Nach ihrer Verurteilung 2013 entschloss sich Chelsea Manning, als Frau leben zu wollen—doch in dem Gefängnis in Kansas sind ansonsten nur Männer untergebracht.

Manning hatte rund 700.000 Dokumente, Fotos und Videos von amerikanischen Kriegsverbrechen an die Whistleblower-Plattform Wikileaks weitergeleitet. Die Dokumente zeugten unter anderem von Folter durch die US-Armee und Erschießungen durch US-Soldaten im Irak.

Zunächst war nicht klar, ob sich Chelsea Manning am 5. Juli tatsächlich das Leben nehmen wollte, oder ob sie wegen eines anderen gesundheitlichen Notfalls im Krankenhaus behandelt werden musste. Statt ihre Anwälte zu informieren, sickerte das Gerücht, sie habe sich versucht, in ihrer Zelle zu erhängen, wohl aus Justizvollzugs-Kreisen an das Klatschportal TMZ sowie einen Journalisten von CNN an die Öffentlichkeit.

Neben einer Isolationshaft auf unbestimmte Zeit könnte der Strafkatalog ebenfalls umfassen, dass die Whistleblowerin zurück in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht wird und ihr jede Chance auf eine Begnadigung verweigert werden könnte, heißt es in dem Dokument, das Manning ihren Anwälten per Telefon im Wortlaut diktiert hat. Ein Transkript findet sich hier.

Im vergangenen Jahr drohte die Armee Manning bereits mit der Unterbringung in Einzelhaft, um sie für den Besitz von LGBT-Magazinen sowie einer abgelaufenen Zahnpastatube zu bestrafen. „Die Behandlung von Chelsea Manning durch die US-Regierung ist eine Farce", bilanziert die ACLU.

Von Manning selbst gibt es zumindest ein Lebenszeichen:

I am okay. I'm glad to be alive. Thank you all for your love <3 I will get through this. #standwithchelsea
— Chelsea Manning (@xychelsea) July 12, 2016

„Ich bin ok", twitterte Manning eine Woche nach ihrem Selbstmordversuch. „Danke für eure Liebe. Ich komme da durch."