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Ukrainische Orwell-SMS

Die Polizei in Kiew sendet den Demonstranten jetzt Textnachrichten, um sie zu informieren, dass sie als Teilnehmer von Massenunruhen registriert wurden.
Die Demonstranten in der Ukraine stehen nun unter Handy-Überwachung. Bild (Ausschnitt): Evgeny Feldmann; Wikimedia. Lizenz: CC BY SA 3.0

„Sehr geehrter Empfänger. Sie wurden als Teilnehmer einer Massenunruhe registriert."

Diese SMS bekamen Tausende von ukrainischen Demonstranten gesendet spontan zugestellt, nachdem ein neues Gesetz zur Verschärfung der Richtlinien für öffentliche Demonstrationen in Kraft trat. Die Textnachricht wurde von der Polizei begleitend zur neuen dystopischen Gesetzgebung an die Demonstranten gesendet. Das ganze wirkt so ziemlich wie das perfekte Orwell-Szenario—und ich hasse die inflationäre Nutzung dieses Begriffs und verwende ihn nur, wenn es absolut notwendig ist.

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Aber genau damit haben wir es hier zu tun: Der Einsatz von Technologie zur Feststellung von Dissidenz, und zur Korrektur abweichender Meinungen. Die New York Times berichtet, dass „die ukrainische Regierung Telefontechnik zur Bestimmung der Standorte von Mobiltelefonen verwendete, die am Dienstag in der Nähe der Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstranten aktiv waren." In der Nähe. Man landet also auf der Abschussliste des Regimes, wenn man sein Handy in der Nähe von Ausschreitungen nutzt.

Kiew ist gerade auf einem guten Wege sich selbst zu zerstören. Über eine Millionen Menschen marschieren, campen und kämpfen in der Ukraine gegen die zunehmend autoritäre Regierung. Die Demonstranten haben sogar Katapulte gebaut, tragen mittelalterliche Rüstungen und operieren mit in Flammen stehende Baggern.

Die aktuellen Nachrichten aus dem aufkommenden Techno-Sicherheitsstaat stammen direkt aus 1984, oder, um eine jüngere Fiktion zu zitieren, aus Elysium. Der Einsatz von Technologie um Dissens zu erkennen, scheint hier auch ein weiteres Mal sehr willkürlich zu funktionieren, denn jeder in der Nähe der Prostete läuft Gefahr mit dem Vermerk „Teilnehmer" registriert zu werden. Als ob das direkte und pauschale ins Visier Nehmen der Demonstranten nicht schon beschissen genug wäre.

Es ist eine weitere Erinnerung daran, dass autoritäre Regierungen genau jene Technologie, die einst für ihr Potential der Befreiung gefeiert wurden, auch nur zu gerne für ihre eigene Repression ausnutzen: Im vergangenen Jahr hat die Regierung der Türkei kritische Twitter-Nutzer eingesperrt, und in China hat der Staat schon länger das Recht Nutzer für 500 Retweets auf dem Twitter-ähnlichen Dienst Sina Waibo festzunehmen. In Jordanien wurden unterdessen vor einigen Monaten Aktivisten für kritische Whatsapp-Nachrichten wegen Königsbeleidigung vor ein Militärgericht gestellt.

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In der Ukraine werden nun die Telefonsignale selbst direkt nachverfolgt und zur Warnung und Maßregelung der Demonstranten genutzt. Diktatoren haben bereits oft genug bewiesen, wie geschickt sie darin sind, auch einfach gleich den Stecker des Internets zu ziehen. All dies entlarvt den in jüngeren Jahren populären Mythos, dass Technologie von Natur aus eine befreiende Kraft sei—auf die falsche Art und Weise eingesetzt, kann sie selbstverständlich genauso einfach unterdrückend wirken.

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