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Nach den Anschlägen will Frankreichs Polizei Tor und offenes W-Lan verbieten

Die Anschläge in Paris ziehen die typischen Anti-Kryptographie-Reaktionen mit sich.
Bild: Kurtis Garbutt/ Flickr | CC BY 2.0

Nach den Anschlägen von Paris scheint das politische Klima in Frankreich frostig zu werden. Nicht nur entschied sich ein Großteil der Franzosen gestern in den Regionalwahlen für die rechtsgerichtete Front National, in einem der französischen Zeitung Le Monde vorliegenden Dokument aus dem Innenministerium schlägt die Polizei nun auch ein Verbot des anonymen Tor-Netzwerks vor.

Das Schriftstück beschreibt zwei mögliche Gesetzgebungen: eine, die im Notstand aktiv wird und eine, die sich mit Anti-Terror-Maßnahmen befasst.

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Das erste Gesetz würde der französischen Regierung ermöglichen, während eines ausgerufenen Notstands—wie in der Woche nach den Attentaten—„frei zugängliche und gemeinsam genutzte W-Lan-Verbindungen zu verbieten". Dieser Vorschlag beruht auf der ebenfalls im Dokument aufgeführten Einschätzung der Polizei, dass Individuen in öffentlichen W-Lan-Netzwerken schwer zu identifizieren seien.

Der zweite Gesetzesvorschlag hingegen besagt, dass die Polizei in Erwägung zieht, „Kommunikation über das Tor-Netzwerk zu blockieren oder gar zu verbieten". Ein Gesetzesentwurf mit solch einem Wortlaut könnte Le Monde zufolge Anfang Januar 2016 im Parlament vorgelegt werden.

Tor ist ein von Freiwilligen betriebenes Servernetzwerk, welches die Nutzer anonymisiert, indem der Datenverkehr durch fünf verschiedene Netzwerkpunkte gejagt wird. IP-Adressen der Absender einer Anfrage lassen sich im Labyrinth der Verknüpfungen nun nicht mehr zurückverfolgen. Obwohl es sich hierbei um eine ursprünglich von der US Navy entwickelte Technik handelt, hat das Tor-Netzwerk insbesondere nach den Snowden-Enthüllungen im Jahr 2013, welche die Bevölkerung gegenüber Überwachungsprogrammen sensiblisierten, in den letzten Jahren an Popularität gewonnen. Mittels Crowdfunding soll nun auch die Abhängigkeit von Regierungsgeldern verringert werden.

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Doch Tor hat auch seine dunklen Seiten. Nicht nur Journalisten, Whistleblower oder Personen, die online ihre Privatsphäre schützen wollen, nutzen das Anonymisierungs-Netzwerk, auch Terroristen, Pädophile und Cyberkriminelle tummeln sich in Scharen im Deepweb.

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Auf unsere Nachfrage beim Tor Project, der Non-Profit-Organisation hinter dem Tor-Netzwerk, bekamen wir bisher noch keine Antwort zu dem geplanten Gesetz.

Selbst wenn die französische Regierung Tor innerhalb der Landesgrenzen unterbinden wollen würde, ist bisher noch nichts darüber bekannt, wie diese Maßnahme durchgeführt werden könnte. Ein Blick in andere Länder bietet jedoch möglicherweise Aufschluss: China beispielsweise blockiert Verbindungen zu Tor-Entry-Nodes. Hierbei handelt es sich um Server, die das Netzwerk unterstützen und beschleunigen. Sie sind die erste Schnittstelle, mit der sich ein Computer beim Eintritt in das Tor-Netzwerk verbindet, und sie sind öffentlich aufgelistet.

Nicht-öffentliche Entry-Nodes laufen unter der Bezeichnung „Bridges" und ermöglichen Menschen in unterdückten Ländern den Zugang zum Internet. (Auch die chinesische Firewall stößt gelegentlich auf solche Bridges, wenn sie den Internettrafic im eigenen Land untersucht.) Den Ausgang aus dem anonymen Netzwerk schafft der Exit-Node. Die Exit-Node-Betreiber sind rechtlich am exponiertesten, da die IP solcher Knotenpunkte stets öffentlich sichtbar ist.

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Falls Frankreich also ein Verbot oder eine Blockade gegen Tor durchsetzen sollte, müssten sie ein Modell ähnlich des chinesischen in Erwägung ziehen—selbstverständlich ist das ein beunruhigender Gedanke für Kritiker, die sich um freie Meinungsäußerung, zunehmende Überwachung und Demokratie sorgen. So wäre es einem Internetprovider unter Umständen sogar möglich, festzustellen, wenn seine Nutzer das anonyme Netzwerk verwenden (der Internetdienstanbieter ist dann jedoch nicht in der Lage, die besuchten Seiten zu identifizieren).

Nicht zuletzt besteht die Chance, dass ein solches Vorgehen verfassungswidrig sein könnte—diese Bedenken äußert der dem Innenministerium anhängige Französische Aufsichtsrat für Bürgerrechte und Rechtsangelegenheiten (DLPAJ) in dem der Zeitung vorliegenden Dokument ebenfalls.

Klar ist jedoch, dass die Debatte um Sicherheit und Privatsphäre zur Zeit wieder hochkocht und die typischen reflexartigen Reaktionen hinsichtlich Verschlüsselung und anderen Anonymisierungs-Technologien mit sich zieht. Während solche Anti-Krypto-Diskussionen in den USA schon seit einiger Zeit ihr Epizentrum finden, steht uns dieser Konflikt nun wohl auch in Europa bevor.