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Die erste Gentherapie Europas kostet pro Patient so viel wie ein Krankenhaus

Die erste Gentherapie ist auf dem Markt und wird zu allererst in Deutschland verkauft. Das Medikament unter dem Markennamen Glybera kann eine sehr seltene Stoffwechselerkrankung therapieren—und kostet pro Patient 1,1 Mio. Euro.
​Über 50.000 Euro in einer Flasche. Bild: UniQure. Mit freundlicher Genehmigung. 

​Das, was die weiß behandschuhte Laborhand zwischen den Fingern hält, ist das teuerste Medikament der Welt—und erhältlich ist es bislang exklusiv in Deutschland. ​Die Zeug in dem kleinen Fläschchen kostet 53.781,59 Euro, hört auf den Namen Glybera und ist die erste in Europa zugelassene Gentherapie zur Behandlung der seltenen Erbkrankheit LPDL. Nur einer von rund einer Million Menschen leidet an der seltenen, schweren Stoffwechselkrankheit, bei der kleine Fettmoleküle das Blut verstopfen.

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Die Behandlung einer Lipoproteinlipase-Defizienz (LPLD) mit Glybera wird pro Patient rund 1,2 Millionen Euro kosten. In vielen Ländern des globalen Südens kann man für diesen Preis bereits ein Krankenhaus mit 50 Betten bauen. Das macht die Behandlung  zu einer der teuersten medizinischen Prozeduren der Welt.

Seit dem 1. November ist Glybera nun auf dem deutschen Markt erhältlich. Wieso genau das Medikament so teuer ist, konnte mir die niederländische Herstellerfirma UniQure nicht genau erklären (es war schon sehr schwierig, überhaupt ein Foto des Produkts aufzutreiben), wohl aber, wieso es so begehrt ist:

Bei Patienten mit LPDP funktioniert das Protein LPL nicht richtig. Deshalb sammeln sich kleine Fettmoleküle im Blut, die aus der Nahrung stammen. Im schlimmsten Fall führt die Erkrankung zu Dutzenden sehr schmerzhaften Bauchspeicheldrüsenentzündungen, die auf der Intensivstation behandelt werden muss. Ohnehin muss eine Maschine alle paar Wochen das Fett aus dem Blut waschen. Eine Therapie gab es bislang nicht.​

​Sieht unspektakulär aus, kostet aber richtig viel: Die erste Gentherapie in Europa. Bild: ​Chiesi. Mit freundlicher Genehmigung.

Die LPDL-Patienten sind häufig untergewichtig, dürfen so gut wie kein Fett essen und benötigen ungefähr 42 Glybera-Injektionen bis zur vollständigen Genesung. Valentina Biagini von der italienischen Firma Chiesi, die das Medikament vermarktet, erklärte mir, dass die Patienten mit dem eingeschleusten Gen wieder Fett verdauen könnten.

Glybera stellt die Funktion des Proteins LPL im Körper her, indem es ein gesundes Gen in die Muskelzellen des Körpers injiziert, damit diese ein funktionierendes LPL-Protein produzieren können. Das LPL-Gen ist in einen nicht reproduzierenden Virusvektor verpackt, der vom AAV-Virus abstammt.

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Zugelassen für die Therapie sind nur Patienten über 18 Jahren, die trotz strikter Diäten schon mindestens eine Bauchspeicheldrüseninfektion erlitten haben—das betrifft zirka 200 Patienten in der EU. Daher wird die Belastung für das jeweilige Gesundheitssystem nicht allzu hoch ausfallen.


Laut Angaben des Herstellers und des deutschen Prüfausschusses G-BA (ein Zusammenschluss aus Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen) sollen die aktuellen Fälle bereits in den nächsten vier oder fünf Jahren behandelt werden können. Ab und zu wird noch ein neuer Patient dazukommen. In Deutschland schätzt der Hersteller, dass vier bis fünf Patienten pro Jahr behandelt werden.

​Die Gentherapie muss nur einmal im Leben durchgeführt werden. In Deutschland wird das Medikament direkt aus dem Labor zu einem Fabrikpreis von 47.870,00 Euro pro Flasche an Krankenhäuser und Apotheken verkauft.

Für Anfang 2015 werden die ersten Behandlungen erwartet. Auf der Roten Liste zugelassener Medikamente ist die teuere Lösung schon ausgewiesen.

Nur der Preis steht noch nicht endgültig fest. Denn als Orphan Drug, also als Medikament, das eine sehr seltene Krankheit therapieren kann, hat Glybera schon seinen Zusatznutzen belegt. Das ist ein Privileg vor dem Gesetz und beschleunigt und verbilligt die Zulassung, da Medikamente mit einem derart kleinen Markt sonst eigentlich uninteressant für die Pharmaindustrie sind.

Obwohl das Medikament schon auf dem Markt ist, prüft der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA bis April 2015 noch den sogenannten Zusatznutzen von Glybera. Kristine Reis vom G-BA erklärte mir, dass hier vor allem geprüft wird, ob es eine vergleichbare Therapie mit vergleichbarer Wirkung gibt und was diese kostet. Dieser Preis wird dann als Anker genommen, bevor der eigentliche Preis des Medikaments noch einmal mit dem Hersteller ausgehandelt wird.

Für die Bewertung testet das GBA das Medikament nicht selbst, sondern vergleicht und analysiert die vorhandenen Studien. Dann veröffentlicht der Ausschuss eine Stellungnahme.

Interessant ist auch, dass Glybera ein Maximalvolumen hat, welches in Deutschland bei 50.000.000 Euro Umsatz liegt. Das bedeutet, dass bei 1,2 Millionen Euro Kosten nicht einmal fünfzig Patienten mit dem Medikament behandelt werden dürften.

Der Preis wird in Deutschland zunächst erst einmal für zwölf Monate feststehen. Von dem Verkaufspreis kassiert der niederländische Hersteller UniQure ein knappes Drittel. Das dürfte das Unternehmen über den sehr kleinen Markt hinwegtrösten.