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Boxen

Wie seine bitterste Niederlage Felix Sturm weltberühmt machte

Gegen Superstar de la Hoya zeigte Sturm den Kampf seines Lebens—und verlor nach einem Skandalurteil. Mit Mike Tyson und Sylvester Stallone als neue Edel-Fans war der Durchbruch trotzdem geschafft.
Foto: Screenshot Youtube

Morgen Abend findet der vielleicht letzte Boxkampf von Felix Sturm statt. Und der 37-Jährige ist heiß, wie er VICE Sports in einem exklusiven Interview verraten hat.

Der letzte Kampf? VICE Sports Meets: Felix Sturm

Denn Sturm will nicht nur Revanche nehmen für seine Niederlage gegen den Russen Fjodor Tschudinow im Mai 2015, sondern auch Geschichte schreiben. Sollte er nämlich gegen Tschudinow den Rückkampf gewinnen, würde er sich zum insgesamt fünften Mal zum Weltmeister krönen—und damit in Deutschland Geschichte schreiben.

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Dass Felix Sturm überhaupt zu so einem berühmten Boxer wurde, liegt kurioserweise an einer der bittersten Stunden seiner Karriere: die umstrittene (lies: unverdiente) Niederlage gegen Oscar de la Hoya am 5. Juni 2004.

Sturm reiste als amtierender WBO-Weltmeister nach Nevada, nachdem er im Jahr zuvor in Berlin den Argentinier Héctor Velazco in seinem allerersten Titelkampf besiegen konnte. Jetzt sollte es im berühmten MGM Grand Hotel von Las Vegas, dem Box-Mekka schlechthin, gegen den „Golden Boy" aus Los Angeles gehen. Óscar de la Hoya galt als glasklarer Favorit (Sturm wurde als 1:12-Außenseiter gehandelt) und sah den Kampf gegen den jungen Deutschen nur als Aufgalopp, als besseren Sparringskampf zum bereits ausgehandelten Mega-Fight gegen Bernard Hopkins an. Hopkins war in drei Verbänden (IBF, WBA, WBC) amtierender Weltmeister und ein fast genauso großer Superstar wie de la Hoya. Für den sensationellen Titelvereinigungskampf musste der Goldjunge nur noch Sturm aus dem Weg räumen.

Für Sturm hingegen war das Aufeinandertreffen mit de la Hoya mehr als nur ein Titelkampf, weil de la Hoya mehr als nur irgendein Gegner war. In einem SPOX-Interview rund zehn Jahre später verriet Sturm, dass The Golden Boy einer seiner Kindheitshelden war. „Das war sicherlich ein Traum, mit ihm im Ring zu stehen", meinte Sturm gegenüber SPOX weiter.

Schon lange vor dem Ertönen der ersten Rundenglocke sollte Sturm merken, dass der nächste Kampf ein ganz besonderer in seiner Karriere werden sollte, unabhängig von dessen Ausgang. Zum ersten Mal sollte er in den USA boxen, überhaupt war es erst sein dritter Kampf außerhalb von Deutschland. Und die amerikanischen Eventmanager sollten ihrem Namen alle Ehre machen. Schon die Pressekonferenz beschrieb Sturm als „atemberaubend", dann kam das offizielle Wiegen. Fast 5.000 Leute wollten dabei sein, als de la Hoya und der Underdog aus Deutschland auf die Waage stiegen.

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Schließlich begann der Kampf. Und schnell sollte sich zeigen, dass Sturms Trainer Michael Timm seinen Schützling glänzend eingestellt hatte. Denn vor über 13.000 Zuschauern bewies der Deutsche ab der ersten Runde, dass mit ihm an diesem 5. Juni 2004 zu rechnen war. Immer wieder konterte der Außenseiter geschickt mit seiner Linken, während die Schläge von de la Hoya zumeist in Sturms Doppeldeckung verpufften. Schon nach Runde eins suchte Sturm den Blickkontakt mit seinem früheren Idol und ballte demonstrativ die Faust auf dem Weg in seine Ringecke. „Da habe ich schon gemerkt, dass was geht", erinnerte er sich später an die ersten drei Minuten im Ring.

Schon ab der zweiten Runde blutete de la Hoya aus der Nase. Mit seinem starken Jab dominierte Sturm—Amateur-Europameister von 2000—auch die meisten folgenden Runden. Wollte de la Hoya im Infight zu Punkten kommen, war Sturm mit linken und rechten Haken zur Stelle. Ab der 11. Runde wechselte der Deutsche auch noch in die Rechtsauslage, und de la Hoya war endgültig planlos. Dass der Sieger Felix Sturm heißen muss, darüber waren sich fast alle im MGM Grand Hotel einig. Nur drei Menschen sahen das anders: die US-amerikanischen Punktrichter, die einstimmig 115:113 für de la Hoya werteten. Dabei sprach die Statistik eigentlich eine klare Sprache: Von Sturms 541 Schlägen trafen 234 ins Ziel (43 Prozent), bei de la Hoya waren es gerade mal 188 Treffer bei 792 Schlägen (24 Prozent).

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Die letzten anderthalb Runden aus dem Kampf: Auch hier ist Sturm der frischere und überlegene Boxer.

Der legendäre US-Kommentator Larry Merchant brachte es nach dem Kampf auf den Punkt: „Es war ein Heimspiel für de la Hoya. Wahrscheinlich hätte Sturm ihn k.o. schlagen müssen, um ein Unentschieden zu bekommen." Auch die Ex-Weltmeister Roy Jones und Mike Tyson sowie „Rocky"-Darsteller Sylvester Stallone sahen Sturm als Sieger. „Jeder weiß, dass ich den Kampf gewonnen habe", meinte Sturm selbst nach der Niederlage, während sein Promotor Klaus-Peter Kohl noch deutlicher wurde: „Zu diesem Urteil fällt mir nichts mehr ein. Wir sind bestohlen worden."

Worum es im Kampf zwischen de la Hoya und Sturm eigentlich ging, wurde bei der anschließenden Pressekonferenz deutlich. Denn trotz des—gelinde gesagt—umstrittenen Urteils und jeder Menge Gesprächsbedarf wurde der Deutsche nach gerade mal zwei Fragen vom Podium geschickt, um Platz für Hopkins zu machen. Schließlich sollte es gerade mal drei Monate später in derselben Halle zum Megafight zwischen de la Hoya und Hopkins kommen, ein Gesamtumsatz von über 60 Millionen Dollar stand im Raum. „Oscar, wenn du den Sport liebst, gib' mir einen Rückkampf. Wenn du die Kohle bevorzugst, kämpf' gegen Hopkins", waren Sturms letzte Worte vor den versammelten Journalisten.

Es sollte sich zeigen, dass de la Hoya lieber die Kohle wollte. Doch auch so war der Kampf für Sturm ein voller Erfolg. Denn nachdem sich so ziemlich jede Boxgröße aus Gegenwart und Vergangenheit über das Skandalurteil aufgeregt hatte, war der Deutsche über Nacht in der ganzen Welt bekannt: „Das war mein großer Durchbruch. Und wenn ich jemals eine Biografie schreiben sollte, bekommt dieser Abend ein ganz langes Kapitel."