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totgesagte leben länger

Die Wiederauferstehung des Josh Smith

Noch vor wenigen Monaten sah bei Josh Smith vieles nach „letzte Ausfahrt: Europa" aus. Doch am Dienstag hat er gezeigt, was noch in ihm steckt. Weiter so, Schmitti!
Photo by Thomas B. Shea-USA TODAY Sports

Im Englischen gibt es den Begriff Mercurial talent, den man wohl am besten mit launenhaftes Talent wiedergeben kann. Er hat was von einem Vorwurf, drückt aber gleichzeitig auch eine gewisse Form der Bewunderung aus. Die Rede ist also von all den Spielern, die—jedes Mal, wenn sie keine gute Leistung bringen—in uns das Gefühl wecken, als täten sie das irgendwie aus Trotz, als würden sie uns ihre Genialität mit perfider Absicht vorenthalten. Warum hast du jetzt nicht so gespielt, wir wissen doch beide, dass du es könntest? Natürlich sind Fragen dieser Art rein rhetorisch—und überflüssig. Und werden bald mit finsterem Blick, bald mit wortloser Mine abgestraft.

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Habt ihr Josh Smith in Spiel Zwei der Playoffs gegen die Mavericks gesehen? Ab Mitte des dritten Viertels trat er erstmals in Erscheinung und nutzte dann das vierte Viertel vor allem dazu, die Defense der Mavs auseinanderzunehmen, sei es durch Lob-Anspiele auf Dwight Howard oder indem er selber den Ball in den Korb gedunkt hat. Smith probierte es immer wieder von der Dreipunktelinie, weil er immer noch von sich selber glaubt, die Distanz liege ihm (dieses Mal durchaus nicht unerfolgreich). Gleichzeitig nahm er schwer zu verteidigende Würfe. Er spielte Point Forward. Nach 11 Jahren in der NBA sieht Smith für gewöhnlich älter aus, als er in Wirklichkeit ist. Am Dienstag aber wirkte er jünger und frischer und bewegte sich in einer für seine Größe überraschend eleganten Art und Weise. Er war wie ein Segelschiff mit langen Armen und Panoramasehen. Es war sein bestes Spiel seit Jahren: 15 Punkte, 9 Assists, 8 Rebounds, 1 Block, 1 Steal und nur 2 Turnover.

Als Smith begann, seinen Rhythms zu finden, passierte etwas Seltsames. Jedes Mal, wenn er den Ball berührte, erhob sich um ihn herum ein Nichts-ist-unmöglich-Schleier, und er bewegte sich in einem Raum, in dem nichts schwierig zu sein schien. Er bewegte sich durch die Dallas-Verteidigung mit perfekter Gelassenheit, flink und doch stets nach seinem Tempo. Er legte eine Show hin, ohne wie ein nerviger Showman rüberzukommen. Selten sah ein dominantes Spiel so bedächtig und seelenruhig aus. Obwohl die größte Neuigkeit wohl eher war, dass wir einen dominanten Josh Smith erleben konnten.

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Sein Spitzname, der eigentlich schon in Vergessenheit geraten ist, bringt seine Spielweise auf den Punkt: „Smoove". Soll heißen: Sein Spiel ist smooth. Das war es schon immer, was sein Spiel so speziell—oder vielgescholten—gemacht hat. Smooth muss man im Kontext betrachten. Konnte Smith viele Punkte und Blocks sammeln, war es definitiv etwas Cooles, ein smoother Spieler zu sein—dann war es wie eine Art Schutzschild, das ihm dabei half, sich Druck vom Leibe zu halten. Wenn er aber schwierige Würfe—samt Verteidiger vor der Nase—am laufenden Band produzierte, wirkte smooth spielen eher wie unberechenbar schlafwandeln. Es war wohl während seiner Zeit in Detroit, dass er endgültig eine zerstörerische Scheiß-egal-Haltung eingenommen hat. Die Hast, mit der Stan Van Gundy Smith aus seinem Team verbannt hat, spricht dafür, dass der Coach gesehen haben wollte, dass bei Smith das Feuer erloschen ist.

Gerne mehr davon, Schmitti. Foto: Jerome Miron—USA TODAY Sports

Doch das hat Smith jetzt scheinbar wiedergefunden. Auch wenn es wohl noch verfrüht ist zu behaupten, dass Josh Smith bei den Rockets ein Zuhause gefunden hat—mit einer Nebenrolle in einem Spitzenteam und an der Seite von Howard, mit dem er schon vor seiner Profizeit in Atlanta zusammengespielt hat—oder dass er seine Berufung wiederentdeckt hat, kann man zumindest sagen, dass er endlich wieder bei der Sache ist. In seinen Augen war am Dienstag wieder ein Funkeln zu erkennen.

Launenhafte Talente scheinen uns mit ihren Leistungsschwankungen ärgern zu wollen, aber das ist logischerweise nur ein Fall von falscher Wahrnehmung, denn Spieler spielen weder für noch gegen uns. Die Geschichte von Josh Smith' Karriere ist eine voller Höhen und Tiefen, aber das sollte nicht groß überraschen, schließlich verlaufen einige—wenn nicht sogar die meisten—Karrieren alles andere als gradlinig. Diese Erkenntnis sollte uns eigentlich nicht groß bestürzen. Wäre da nicht unsere Angewohnheit, zu glauben, dass Sympathiebekundungen und Anfeuern unsere Lieblingsathleten irgendwie pushen könnten. Smith ist ein Typ, mit dem man sich identifizieren kann, gerade weil es meist nicht so perfekt bei ihm läuft. Dennoch wollen wir ihm helfen. Leider ist er aber wie ein Freund von uns, der sich einfach nicht helfen lassen will.

Trotz seiner großartigen Leistung in Spiel 2 glaubt wohl keiner mehr von uns, dass Smith seine Smoothness in etwas kanalisieren kann, das uns Spiel für Spiel vom Hocker hauen wird. Selbst zu seiner Glanzzeit bei den Hawks—als er viel zu viel Kritik einstecken musste, wenn man bedenkt, wie stark er über Jahre hinweg gespielt hat—war er krisenanfällig. Mittlerweile ist er ein Role Player, einer, den die Rockets nötig haben, ohne sich jedoch komplett auf ihn verlassen zu können. Er spielt keine schlechte Saison, auch wenn ihn weiterhin etwas diffus Trauriges umgibt. Mit seinen gerade einmal 29 Jahren wirkt er ingesamt schon recht verbraucht.

Doch gerade die Tatsache, dass wir inzwischen so geringe Erwartungen an ihn haben, könnte dazu führen, dass wir wieder häufig das zu sehen bekommen, was Smoove so verdammt mitreißend gemacht hat. Als er Dienstag Nacht das Spiel an sich riss, waren wir alle geschockt. Denn dass er so ein Impromptu-Feuerwerk abbrennen würde, damit war nun wirklich nicht zu rechnen. Nur wenige Sachen machen mich glücklicher, als zu sehen, welche Überraschungen ein Spieler (doch noch) auf Lager haben kann. Dienstag war ein solcher Spieler Josh Smith. Für mich war es so, als hätte ich einen alten Freund nach viel zu langer Zeit wiedergesehen. Hoffentlich habe ich schon am Freitag ein angenehmes Déja-Vu-Erlebnis.