Das Geheimnis der kubanischen Top-Agentin: Was steht auf Anas Zettel?
Die Agentin Ana Montes nach ihrer Verhaftung. Bild: FBI | WIkimedia Commons

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Das Geheimnis der kubanischen Top-Agentin: Was steht auf Anas Zettel?

Ana Montes gilt als eine der gefährlichsten Spione der Neuzeit und infiltrierte das Pentagon für 16 Jahre. Das gelang ihr dank eines raffinierten kryptographischen Systems—und einem kleinen Zettel.

Vor Ana Montes hatten sie im Pentagon alle Respekt. Sie machte sich schnell einen Namen als Top-Analystin beim Geheimdienst des US-Verteidigungsministerium, der Defense Intelligence Agency (DIA). Doch was niemand wusste: Das war alles nur fast perfekte Tarnung.

Eigentlich war die auf einem amerikanischen Militärstützpunkt in Deutschland geboren Ana nämlich eine außergewöhnlich talentierte Spionin für Kuba. Ihr Herz brannte so sehr für den Sozialismus, dass sie für ihre klandestine und gefährliche Arbeit keinen Cent nahm.

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Ihre Kollegen nannten sie wegen ihrer exzellenten Expertise über das Castro-Regime bald „The Queen of Cuba". Das FBI führte sie später unter dem Codenamen „BLUE WREN". Sie zählt zu den gefährlichsten Spionen der Neuzeit, sagen die Ermittler, die ihr nach 16 Jahren das Handwerk legen sollten.

Von 1985 bis zum 11. September 2001 schleuste sie aus dem Verteidigungsministerium unzählige Militär-Geheimnisse ins verfeindete Kuba und exponierte mehrere Dutzend US-Agenten—FBI-Experten glauben, dass sich die Gefährlichkeit ihrer Informationen vor allem durch den Verkauf dieser Geheimnisse durch Kuba an Iran oder andere Staaten ergab.

Als die Tochter eines puertoricanischen Arztes mit 20 Jahren in die USA kam, um in Virginia zu studieren, entdeckte sie ihr politisches Gewissen—es war die Zeit, als das CIA in Süd- und Mittelamerika freimütig demokratisch gewählte Staatschefs ermorden ließ, rechte Milizen aufpäppelte und ganze Regionen durch Erpressung und Einflussnahme in die Abhängigkeit trieb. Ana wurde zur überzeugten, lautstarken Gegnerin der Politik ihres Landes.

In den 80er Jahren sprach sie nach Abschluss ihres Studiums ein kubanischer Anwerber an; kurz darauf begann sie an ihrer neuen Arbeitsstelle: Der DIA. Dort machte sie schnell Karriere als Expertin für die von Fidel Castro geführte Insel. Gleichzeitig spionierte sie für Kuba ihre Kollegen aus und beging (über europäische Umwege) mehrere Reisen in das Land, um sich vor Ort zur Agentin ausbilden zu lassen.

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Doch wie hatte die Analystin es geschafft, 16 Jahre im Herzen des Verteidigungsministeriums unerkannt zu bleiben? Wie sich nach ihrer Festnahme herausstellte, hatte sie ein raffiniertes kryptologisches System entwickelt:

Während sie in einem anderen Raum aufgehalten wurde, durchwühlte das FBI Technical Team, als Hausmeister verkleidet, ihre Tasche.

Klassifizierte Dokumente nahm sie nicht mit nach Hause, sondern prägte sich wichtige Details einfach ein. Daheim tippte sie die wichtigsten Daten und Namen in ihren Toshiba 405CS-Laptop ab. Dann kopierte sie diese Informationen auf verschlüsselte Disketten, die sie anschließend kubanischen Kontaktpersonen übergab. Wo und wie sie diese Kontakte traf, wurde ihr über einen kodierten Funkspruch auf einer Kurzwellen-Radiofrequenz mitgeteilt.

Doch auch die besten Spione machen mal einen Fehler. In Montes Fall verließ sie ein wichtiges Pentagon-Meeting früher als geplant. Bei einer anschließenden Befragung durch ihren Vorgesetzten schien sie etwas zu verstecken und erregte Verdacht. Gleichzeitig gab es von Seiten eines anderen US-Geheimdienstes Hinweise darauf, dass es in der DIA-Abteilung einen Maulwurf gab. Also stellte die Behörde ein paar Agenten zur Beschattung Anas ab—und die bemerkten, dass sie nach der Arbeit immer wieder öffentliche Münztelefone aufsuchte.

Als die Beamten die Anrufe zurückverfolgten, die sie dort tätigte, stellten sie fest, dass die gewählten Nummern zu Pagern gehören. Als Ana auf Geschäftsreise war, konnten Ermittler bei der Durchsuchung ihrer Wohnung auch das Kurzwellenradio sowie Hinweise auf die Krypto-Disketten entdecken. Doch noch immer wusste das FBI nicht, mit wem und über was Ana kommunizierte.

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Bis zu dem Tag, als ein eingeweihter Kollege beauftragt wurde, sie bei der Arbeit abzulenken. Während sie in einem anderen Raum aufgehalten wurde, durchsuchte das FBI Technical Team, als Hausmeister verkleidet, ihre Tasche. „Es war eine typische Frauentasche mit Kosmetik und äh, solchen Handtaschen-Sachen darin", erläutert der FBI-Mann in einem CNN-Beitrag der Reihe „Classified" fachmännisch.

Die verschlüsselten Datenträger fanden sie nicht. Aber dafür etwas anderes: Einen kleinen Zettel. Darauf befindet sich eine handgeschriebene Cipher, mit der Ana mit dem kubanischen Geheimdienst kodiert kommunizieren konnte—der eigentliche Jackpot. Denn so konnten die Ermittler herauskriegen, wie Ana ihre Nachrichten am Telefon verschlüsselte, wenn sie Botschaften auf die geheimnisvollen Pager sendete.

Das ist der Code, den Ana Montes auf einem Zettel in ihrer Handtasche herumtrug und mit dem sie über Pager-Nummern mit ihren kubanischen Handlern kommunizierte. Bild: FBI | Wikimedia Commons

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Der Krypto-Experte Klaus Schmeh hat sich etwas näher mit der Matrix auf dem Zettel der Agentin beschäftigt—und festgestellt, dass sie uns noch heute Rätsel aufgibt.

Eine solche Tabelle ist nämlich eine alte Bekannte für den Kryptologen. Dabei werden Buchstaben in Zahlen umgewandelt, in dem man jeden Buchstaben durch die Zahl am linken Rand der Tabelle (falls dort eine steht) und am oberen Rand der Tabelle ersetzt. In Anas Codesprache würde sich ihr voller Name also folgendermaßen ausdrücken lassen:

Ana Montes = 404 53570318.

Ein besonders ausgefeiltes System ist das allerdings nicht; zumal in der Tabelle die einstelligen Ziffern häufig benutzten Buchstaben entsprechen (was die Tippgeschwindigkeit zur Übermittlung erhöht, aber die Sicherheit verringert) . Klaus Schmeh geht daher davon aus, dass die Tabelle nur einen ersten Verschlüsselungsschritt darstellte und sich die Agentin noch zusätzlich durch ein Transpositionsverfahren wie VIC abgesichert haben könnte, sie also die Zahlen nach der Verschlüsselung noch umgeordnet haben könnte.

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Codes per Kurzwellenradio und PGP auf Diskette: Der kubanische Geheimdienst machte aus der Not eine Tugend.

Auch zu der Krypto-Technik auf den begehrten Disketten gibt es Überraschungen: Es war nichts anderes als das gute alte PGP, mit dem wir noch heute unsere E-Mails verschlüsseln.

Im Buch „Spycraft" heißt es dazu: „Der kleine, aber aggressive kubanische Geheimdienst nutzte öffentlich verfügbare Verschlüsselungssoftware, um mit seinen Agenten zu kommunizieren, die in den USA operierten. Eine weiterentwickelte Version eines PGP-Verschlüsselungsprogramms wurde im September 2001 in Ana Montes' Wohnung in Washington D.C. gefunden."

So machte Kuba aus einer Not (kein Budget für eine eigene Technologie) eine Tugend (bis heute gilt das 1991 entwickelte Verfahren als unknackbar).

Zurück ins Pentagon. Zu gerne hätten die Ermittler die Sache noch etwas weiterlaufen lassen und herausgefunden, wer Anas kubanische Gesprächspartner und Handler waren. Doch die Anschläge vom 11. September 2001 kamen dazwischen, und die Führung einer Top-Spionin in der eigenen Reihen wurde dem Militär insbesondere nach der irakischen Invasion zu heikel. Schließlich hätte die „Queen of Cuba" Einblick in die Kriegspläne des Pentagon gehabt.

Nach ihrer Verhaftung legte sie ein Teilgeständnis ab. So wurde sie der Verschwörung zur Spionage und des Geheimnisverrats für schuldig befunden und 2002 zu 25 Jahren Haft verurteilt. An ihren ideologischen Überzeugungen hat die harte Strafe offensichtlich keinen Millimeter gerüttelt. Sie habe spioniert, sagte sie vor Gericht aus, weil sie die US-Außenpolitik gegenüber Kuba als „unfair und grausam" empfunden habe.

In den vergangenen Jahren haben sich die Beziehungen zwischen Kuba und den USA normalisiert, selbst Obama war in diesem Jahr zu Besuch auf der Insel. Doch die Bitte der kubanischen Regierung, mit der inhaftierten Ana Montes einen Gefangenenaustausch durchzuführen, hat die USA strikt abgelehnt.