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Hamburger Polizei geht mit Schulterkameras gegen die Gewalt in St.Pauli vor

Die Aufzeichnungen sollen zur „Abschreckung und Deeskalation“ dienen, könnten aber auch der erste Schritt zu Polizei-Drohnen und Beamten mit Google-Glasses sein.
Bild: imago

Laut Kriminalstatistik ist St. Pauli der gewalttätigste Stadtteil Hamburgs. Nachdem die Ausweisung sogenannter Gefahrengebiete—in welchen verdachtsunabhängige Kontrollen von Bürgern erlaubt waren—kürzlich als verfassungswidrig beendet werden musste, rüstet die Hamburger Polizei jetzt anderweitig auf: Seit Freitagabend sorgen die Polizisten mit Hilfe von Body Cams auf St. Pauli für Recht und Ordnung.

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Die Schulterkameras können von den Beamten bei Bedarf eingeschaltet werden. Laut der offiziellen Pressemitteilung sollen sie zur „Deeskalation und als Mittel der polizeilichen Eigensicherung eingesetzt werden". Ein rotes Licht soll anzeigen, dass die Kameras in Betrieb sind.

Datenschützer übten bereits scharfe Kritik an der gesetzlichen Umsetzung der Body Cams. Einerseits dürfte die vorhergesehe Speicherfrist von einem Monat vielfach zu kurz sein, damit Bürger mit Hilfe der Kamera eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Beamte durchfechten könnten, erklärte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar gegenüber Heise. Andererseits spricht das neue Gesetz für die Body-Cams sehr allgemein vom gestatteten Einsatz „technischer Mittel"; das könne auch den Einsatz von Polizeidrohnen oder Google-Glass-Brillen legitimieren, sagte wiederum der Datenschutzbeauftragte und Referatsleiter der Videoüberwachung Christoph Schnabel.

In St. Pauli werden die Überwachungsgadgets in einem Pilotprojekt eingesetzt, um die angeblich ausufernde Kriminalität mit Hilfe von der Aufzeichnungen und natürlich auch der von den Kameras ausgehenden Abschreckung in den Griff zu bekommen. Die Hansestadt folgt damit dem Vorbild Frankfurts, denn in Hessen gehören die Body-Cams bereits seit 2013 zur polizeilichen Ausrüstung.

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Die Ausrufung der Hamburger Gefahrengebiete erfolgte im Januar 2014. Zuvor war es im Rahmen einer Demonstration für den Erhalt der Roten Flora, für ein Bleiberecht für Flüchtlinge, gegen Rassismus und gegen Gentrifizeirung am 21. Dezember 2013 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Auch in den Tagen nach den Unruhen folgten spontane Demonstrationen im Hamburger Stadtgebiet.

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Nach diesen Vorkommnissen erklärte die Polizei die Bereiche St. Pauli, Sternschanze und große Teile Altonas kurzerhand zu Gefahrengebieten. Nach zahlreichen Demonstrationen gegen die Skandalisierung der betroffenen Stadtgebiete wurde am 13. Mai 2015 schließlich die Ausweisung dieser Gefahrenzonen als Verstoß gegen das Grundgesetz klassifiziert. Das Gericht erklärte in seinem Beschluss, „eine polizeiliche Lagebeurteilung könne kein Maßstab für Grundrechtseingriffe sein."

Als nächste Strategie gegen kriminelle Mitbürger treten die Hamburger Ordnungshüter nun also mit den Body-Cams auf den Plan. Eine reine Deeskalation durch das Spazierenführen der Kameras ist dabei nicht das einzige Ziel der Maßnahme: Falls in den aufgezeichneten Daten Straftaten erkannt werden, sollen diese selbstverständlich auch in einem anschließenden Strafverfahren verwendet werden dürfen.

Der Einsatz weiterer Kameras im öffentlichen Raum ist jedoch nicht ohne einen schalen Beigeschmack zu betrachten, denn es ist bis heute umstritten, ob eine Kameraüberwachung tatsächlich zu mehr Sicherheit führt. Fest steht, dass Kameras nicht automatisch die Ausführung einer Straftat verhindern (und sich somit auch nur bedingt zur angepeilten Deeskalation eignen). Genutzt werden Videoaufzeichnungen schließlich erst als Mittel zur Beweissammlung oder bei Ermittlungen nach einer Straftat.

Im Prinzip lässt sich auch bei den Body-Cams die gerichtliche Begründung gegen die Gefahrenzonen anbringen. Dort hieß es, es bestehe die Gefahr, dass Personenkontrollen an „relativ diffuse Anhaltspunkte" geknüpft werden. Und was neben Videos von prügelnden Polizisten oder Demonstranten und dem unschönen Gefühl der behördlichen Beobachtung bei einem Spaziergang durch St. Pauli als ein möglicher Nutzen für den Bürger bleibt, ist leider fraglich.