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Games-Studio versucht kritische Zocker mundtot zu machen & wird selbst gesperrt

Digital Homicide versucht momentan massiv, negative Kommentare im Netz zu zensieren. Der Videospiel-Verleger hat dabei gleich 100 User vor Gericht gezerrt.
Bild: Digital Homicides Wyatt Derp

Der Spieleentwickler Digital Homicide könnte sich eigentlich gleich in Digital Suicide umbenennen, wenn man sich anschaut, was das Studio derzeit so treibt: James Romine, seines Zeichens Spieleentwickler und Gründer von Digital Homicide, hat doch tatsächlich 100 User der digitalen Gaming-Plattform Steam vor Gericht gezogen und auf insgesamt 18 Mio. US-Dollar Schadensersatz verklagt. Entsprechende Rechtsdokumente, die das belegen, veröffentlichte der YouTuber SidAlpha kürzlich als Google Doc.

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Das unerhörte Verbrechen der Gamer: Sie haben auf Steam Spiele von Digital Homicide kritisiert und sich negativ über das Unternehmen geäußert. Im Rahmen der gerichtlichen Vorladung durch Eileen Willet, Richterin im US-Staat Arizona, darf Romine nun sogar von Steam-Betreiber Valve „die persönliche Identifizierung und Daten" der betroffenen Nutzer einfordern.

Digital Homicide hatte in diesem Jahr schon einmal schlechte Presse erhalten, als das Studio dem Spielekritiker Jim Sterling ein absurdes, 10 Millionen US-Dollar schweres Gerichtsverfahren anhängte, weil er seit zwei Jahren beleidigende Video-Reviews über ihre Spiele poste. Das Verfahren läuft noch. Jetzt geht Digital Homicide aber noch viel weiter—und eine ganze Menge Leute sind ziemlich wütend.

Auch wenn wir schon länger wissen, dass Internetforen außerordentlich unangenehme Orte sein können, könnte das Gerichtsverfahren im Falle eines Erfolgs für Romine zu einem höchst besorgniserregenden Präzedenzfall werden.

Einer der in den Rechtsdokumenten zitierten Kommentare.

Doch wie es scheint, ging der Angriff von Digital Homicide auf die Gamer bisher eher nach hinten los. Am Freitagabend twitterte Steam-User „lashman" als erster, dass Valve alle Digital Homicide-Spiele von Steam entfernt hat. Die Spiele Wyatt Derp, Temper Tantrum und The Slaughtering Grounds (das erste Spiel, das Sterling rezensierte) sind allesamt verschwunden, einschließlich ihrer Community-Seiten, Kritiken und der Downloads. Als wären sie nie da gewesen. Falls du die Spiele in der Vergangenheit bereits gekauft hast, brauchst du dir aber keine Sorgen zu machen. Sie sind immer noch da und du kannst sie über die Bibliothek deines Accounts abrufen. Solltest du aber in den nächsten Tagen den dringenden Wunsch verspüren, Wyatt Derp zu spielen, musst du dich auf einer anderen Plattform als Steam umsehen.

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„Valve hat sich aufgrund der Anfeindungen gegenüber Steam-Kunden aus allen Geschäftsverbindungen mit Digital Homicide zurückgezogen", kommentierte Doug Lombardi, Marketing-VP bei Valve, diesen Schritt gegenüber Motherboard in einer kurzen E-Mail. Dazu, wie Valve mit der Gerichtsvorladung umgehen wird, oder ob er mit „Anfeindungen" die Gerichtsverfahren meint, äußerte er sich nicht.

Die Steam-Gruppe von Digital Homicide ist nach wie vor präsent und sammelt Kommentare, in denen sich viel Häme, aber auch Wut über Digital Homicides Kritikunfähigkeit äußert.

Der von Digital Homicide angestrengte Rechtsstreit ist ein weiteres Kapitel in der aktuell aufbrandenden Bekämpfung von User-Reviews im Netz.

Just am vergangenen Wochenende beispielsweise geriet das Empfehlungs- und Bewertungsportal Yelp in die Schlagzeilen, weil das Unternehmen sich ebenfalls gegen eine Klage aufgrund von negativen Nutzerkommentaren wehrt. Ein Anwaltsbüro will erreichen, dass Kommentare mit angeblichen Lügen über ihre Firma auf Yelp entfernt werden. Sollte die Klage erfolgreich sein, könnte das heißen, dass bald gar keine negativen Reviews mehr gepostet werden dürfen.

Yelp wendet sich jetzt an den California Supreme Court, um sich gegen die von anderen Instanzen angeordnete Entfernung der Kommentare zu wehren. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet—und hier wird die Parallele zum Digital Homicide-Fall deutlich—befürchtet Yelp ebenfalls einen Präzedenzfall: „[eine Bestätigung des Gerichtsurteils würde bedeuten], dass Unternehmen die Person, die die Inhalte gepostet hat, vor Gericht bringen könnten, und dass Internetunternehmen damit zum Löschen des Kommentars gezwungen werden." Die Anwältin der Gegenseite Dawn Hassell bestreitet, dass das Gerichtsurteil derart weitreichende Folgen haben würde. Die Tech-Welt ist jedoch auf Yelps Seite. Und Valve wäre das sicherlich auch, wenn man sie fragen würde.

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In einem im August verfassten Brief an den California Supreme Court äußerten sich Vertreter von Facebook, Twitter und Microsoft dahingehend, dass ein bestätigendes Urteil „radikal von zahlreichen und einstimmigen Präzedenzfällen an [US-amerikanischen] Bundes- und Staatsgerichthöfen abweichen würde". Es könnte außerdem benutzt werden, um Unmengen „schützenswerter und wichtiger Meinungsäußerungen zu unterdrücken."

Nach dem Erscheinen dieses Artikels veröffentlichte Digital Homicide ein ausführliches

Statement zum Gerichtsverfahren auf seiner Website

. Man habe eine Klage ausschließlich gegen solche Nutzer bemüht, die die Firma auf Steam

persönlich angegriffen und belästigt hätten.