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Experimente mit Atomkernen zeigen: Irgendetwas stimmt nicht mit unserer Physik

Gelten andere Naturgesetze in einem Atomkern? Und wieso haben wir immer noch keine Ahnung, wie groß ein Proton eigentlich ist? Neue Laser-Experimente rütteln an unserem elementarstem Wissen über die Bausteine unserer Natur.
Bild: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer

In einer idealen Welt ist alles berechenbar—zumindest, wenn es nach Naturwissenschaftlern ginge. Jedes neue Experiment bestätigt praktischerweise die aufwändig erarbeitete Theorie, jeder Versuch hilft, Naturgesetze in Stein zu meißeln und Vorhersagen zu bestätigen. Kurz, verlässliche Messungen sind die Bausteine der Physik und damit der Welt, wie wir sie kennen.

Leider gibt es aber auch spektakuläre Ausnahmen von dieser Regel, und die sorgen dafür, dass sich Wissenschaftler die Haare raufen. In manchen Fällen gelten selbst elementarste Grundlagen nicht mehr—wie vielleicht auch hier:

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Brandneue Ergebnisse einer Serie von Laser-Experimenten haben das sogenannte „Protonen-Puzzle" nur noch rätselhafter gemacht. Die Frage im Herzen dieses Rätsels treibt Physiker schon seit sechs Jahren um, weil sie sich um eine fundamentale Information über die herkömmlichsten Elemente unserer Natur dreht: Wie groß ist ein Proton? Denn das Proton, das in jedem x-beliebigen Atomkern zu finden ist, stellt sich schon länger als extrem schwer greifbar heraus. Je nachdem, wie man misst, besitzt es nämlich verschiedene Durchmesser—eigentlich ein Unding in der Physik.

Das fand der Atomphysiker Randolf Pohl vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching heraus, der seit kurzem Professor an der Universität Mainz ist, als er sich mit seinem Team 2010 entschloss, die Größe des Protons mit dem Laserspektroskop nachzumessen—und seltsame Unregelmäßigkeiten feststellte: Der Radius unterschied sich nämlich im Gegensatz zu allen anderen Untersuchungen erheblich. Aber wieso? Es könnte sein, dass ein unbekanntes Teilchen seine Finger im Spiel hat. Oder es handelt sich einfach um einen Messfehler, den bis heute noch niemand entdeckt hat.

Der grosse Protonenbeschleuniger des PSI ohne Dachabschirmung (2010) Auf der Galerie sind Mitarbeitende aus dem Umfeld der Anlage zu sehen. Bild: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer

Gesichert ist bisher nur, wo sich das Proton befindet: Es sitzt im Inneren eines jeden Atomkerns, der sich als Knäuel aus Quarks und Gluonen (Klebeteilchen) vorstellen lässt. Doch gelten im Inneren eines Atomkerns also andere Naturgesetze? Man weiß es nicht. Das Rätsel um den Protonenradius war geboren.

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Jetzt hat sich das Team, das das Rätsel aufgeworfen hatte, zurückgemeldet: Die neuesten Experimente nach der gleichen Messmethode zeigen, dass auch noch ein zweiter Atomkern kleiner als gedacht ist. Wieder gelang es den Physikern, eine schwerere Version eines Elektrons namens Myon um ein Atom kreisen zu lassen. Ein Myon ist ein negativ geladenes, exotisches Elementarteilchen. Es ist 200-mal schwerer als ein Elektron, was es zu guten Testobjekten macht.

Die Experimente wurden in einer gasgefüllten Kammer mit myopischem Deuterium durchgeführt, in welchem ein Myon ein Deuteron (ein Wasserstoffisotop) umkreist. Das Deuteron besteht aus nur jeweils einem Baustein von Atomkernen: einem Neutron und einem Proton. (Den einfachsten Aufbau findet man im Wasserstoffatom, wo ein einsames Proton sein Unwesen treibt). Diese Experimente sind extrem schwierig durchzuführen, so dass allein schon die Erhebung eine Meldung wert wäre—denn wie man sich vorstellen kann, ist es nicht gerade einfach, etwas zu messen, das Millionstel von Millionstel Millimeter groß ist.

Hier kommt das Myon ins Spiel: Weil es so schwer ist, umkreist es das Deuteron viel enger als ein herkömmliches Elektron es könnte und eignet sich so zu einer genaueren Messung des Atomkern-Radius durch dessen Ladung. Die Myonen werden zunächst in einem Teilchenbeschleuniger produziert und flitzen dort mit extrem hoher Geschwindigkeit durch die Gegend. Um sie um ein Atom kreisen zu lassen, müssen sie verlangsamt werden—und genau das macht die Sache so kompliziert, denn je langsamer die Myonen, desto leichter zerfallen sie einfach. Das passiert schon Millionenstel-Sekunden nach ihrer Entstehung, daher ist bei Experimenten mit diesen flüchtigen Teilchen durchaus Eile geboten. Das Myom verrät seinen Aufenthaltsort durch ein verändertes Energieniveau. Durch Laserspektrometrie kann man die Energiedifferenzen sehr genau bestimmen und daraus den Radius des Atomkerns ausrechnen. Am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz gibt es entsprechende Einrichtungen für solche Versuche, wie sie Pohls Team durchgeführt hat.

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Wenn wir nicht wissen, wie die elementarsten Teilchen in der Natur aufgebaut sind und wie sie sich messen lassen, was können wir dann noch mit Sicherheit sagen?

Das Ergebnis verblüffte die Physiker: Der Radius des Deuterons ist im Vergleich zur Messung in elektronischem Deuterium ebenfalls kleiner, wenn man ihn im myopischem Deuterium misst. Das Protonenradius-Puzzle ist also noch rätselhafter geworden. Hat also myopischer Wasserstoff wirklich einen so viel kleineren Radius als normaler Wasserstoff? Und woher kommen die neuen Diskrepanzen?

In Zahlen ausgedrückt, ist der Deuteron-Radius nur 2,12 Femtometer groß, was Billiardstel Meter entspricht. Bislang gingen die Forscher davon aus, dass er 0,2 Femtometer größer sei. Man mag sich jetzt fragen, wo bei so winzig kleinen Unterschieden das Problem liegt. Doch warum die Physiker-Community so aufgeregt über die Meldung ist, wird schnell klar: Es geht schließlich um die Grundlagensysteme der Natur—wenn wir nicht wissen, wie die elementarsten physikalischen Teilchen aufgebaut sind und wie sie sich messen lassen, was können wir dann noch mit Sicherheit sagen? Nicht viel, außer, dass hier irgendetwas an den Grundlagen unserer Physik nicht stimmt.

Pohl selbst würde sich natürlich auch freuen, wenn tatsächlich eine große Unbekannte im Spiel wäre und eine völlig neue Physik erschaffen werden könnte, doch er selbst glaubt laut einer

Mitteilung des Instituts

eher an einen Fehler an der Rydberg-Konstante, die in die Berechnung der unterschiedlichen atomischen Energieniveaus einfließt. Mehrere Forschungsgruppen rund um die Welt versuchen nun, die Konstante präziser zu bestimmen. Möglicherweise muss sie bald korrigiert werden.