"Heftig, wenn wahr: Facebook scheint die AfD zur Bundestagswahl strategisch beraten zu haben": Ende vergangener Woche machte dieser Tweet des Autors Sascha Lobo die Runde, der eine für viele offenbar schockierende Tatsache offenbarte. Der Tweet, der auf einen bereits einige Wochen alten Artikel des US-Magazins Bloomberg verweist, wurde über 1000 mal geteilt.Tatsächlich hat Facebook Anfang September einen von der AfD eingekauften Online-Werbeprofi in ihren Berliner Büros empfangen. Es handelt sich um Joshua Canter, der für die auf politische Online-Kampagnen spezialisierte US-Firma Harris Media arbeitet. Im Bloomberg-Artikel berichtet der 26-jährige Canter nun von diesem Treffen am Potsdamer Platz und seiner Arbeit für die AfD.
Was genau ist passiert?
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Die Aufgabe von Harris Media: Der AfD mit Online-Kampagnen und effizienter Werbung zu helfen, um im Bundestagswahlkampf noch mehr Menschen zu erreichen. Genau das hatte Harris Media auch schon bei vorherigen Kunden wie Donald Trump, dem Front National, dem erzkonservativen Republikaner Ted Cruz oder Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu versucht.Über Details des Treffens ist bislang nichts bekannt. Nach Motherboard-Recherchen erklärte Facebook bei dem Treffen zunächst einmal, wie verschiedene Tools funktionieren und berichtete allgemein von "Best Practices" – also wie und unter welchen Umständen die eigenen Tools erfolgreich eingesetzt werden können. Die entsprechenden Informationen, die Facebook hier zur Verfügung stellt, sind allerdings sehr grundsätzlich und einführend gehalten. Es geht zum Beispiel darum, für welche Zwecke es sich anbietet, Funktionen wie Bild-Posts, Video-Posts oder livegestreamte Videos zu nutzen.Offiziell will sich Facebook nicht zu Einzelheiten des Treffens äußern. Ein Sprecher erklärt gegenüber Motherboard allerdings auf Anfrage, dass man "vor der Bundestagswahl mit allen größeren Parteien in Kontakt stand und in allen Gesprächen dieselben Informationen zur Nutzung von Facebook zur Verfügung gestellt" habe.Für Facebook sind solche Termine wie jenes Gespräch Anfang September nichts Besonderes. Sie finden hundertfach im Monat statt. Für die Social-Media-Plattform handelt es sich weniger um Beratungsgespräche, sondern vor allem um einen Verkaufstermin. Schließlich verdient Facebook sein Geld damit, dass große und kleine Kunden die ausgetüffelten Werbemöglichkeiten der Plattform nutzen, um damit ein neues Publikum zu erreichen. Je mehr Funktionen genutzt werden, desto größer sind die Einnahmen für das Soziale Netzwerk. Um Wirtschaftsunternehmen zu betreuen, hat Facebook zahlreiche spezielle Sales-Mitarbeiter, um die Parteien und politische Kunden kümmert sich allerdings eine andere Abteilung, die intern als "Public Policy Team" bezeichnet wird.Dass zu Facebooks Kunden auch Parteien gehören, ist schon lange bekannt und auch wenig überraschend – längst investieren Parteien in Wahlkämpfen auch bei Facebook größere Summen. So gab zum Beispiel Die Linke im vergangenen Wahlkampf auf Bundesebene 450.000 Euro für Soziale Medien aus, wie ein Social-Media-Mitarbeiter gegenüber Motherboard erklärte.
Um was ging es bei dem Treffen und was bedeutet "strategisch beraten"?
Was ist daran "heftig"?
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Ist das Treffen so "heftig" wie Lobo twittert? Nach allem, was wir bisher wissen, war es wohl eher 'business as usual'.Tatsächlich kann Facebook als Werbeplattform seine Kunden selbstverständlich frei wählen – und könnte als privates Unternehmen auch eine Zusammenarbeit mit Parteien wie der AfD verweigern. Eine Entscheidung, die manche Werbeagenturen in der Vergangenheit auch genauso getroffen haben – was zum Beispiel dazu führte, dass die Berliner AfD keine deutsche PR-Firma fand.Facebook allerdings geht angesichts seiner Größe einen anderen Weg. Auf Anfrage, mit welchen Parteien man zusammenarbeiten würde, erklärte ein Sprecher: "Facebook ist eine politisch neutrale Plattform." Tatsächlich ist die eigene politische Neutralität als soziales Netzwerk auch für Mark Zuckerberg das oberste Credo, wie er regelmäßig in seinen Keynotes betont. Angesichts der Bedeutung von Facebook für den öffentlichen Diskurs, wäre es wohl auch fatal, per se die Zusammenarbeit mit bestimmten demokratisch gewählten Parteien auszuschließen.Doch der Grad zwischen ebenjener Neutralität und Unachtsamkeit ist schmal – und kann manchmal sogar gesellschaftlichen Unfrieden befeuern. Genau das ist im Vorfeld des US-Wahlkampfes passiert, als russische Trolle 3.000 Anzeigen auf Facebook und Instagram posten konnten – deren Inhalte eindeutig auf eine Spaltung der US-Gesellschaft zielten und die den Nutzern teilweise explizite Wahlempfehlungen für die Kandidaten lieferten. Facebook hatte monatelang nicht bemerkt, dass die Anzeigen durch eine bekannte russische "Troll-Fabrik" finanziert wurden.
Facebooks oberstes Prinzip: Neutralität – das ergibt Sinn, aber kann trotzdem nach hinten losgehen
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Die AfD braucht Facebooks Werbetricks gar nicht unbedingt, um erfolgreich zu sein
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Was hat die AfD dank Harris Media auf Facebook gemacht
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Die inhaltlich wohl wichtigste Kampagne, die Harris Media für die AfD vor der Wahl durchführte, ist jene umfassende Aktion, die Angela Merkel als Eidbrecherin bezeichnet. Die Negativkampagne gibt Merkel direkt die Schuld am Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz. Dafür, dass auch für die "Eidbrecher"-Website Werbung auf Facebook geschaltet wurde, gibt es bisher keine Hinweise. Klar ist aber, dass sie inhaltlich genauso konzipiert ist, dass sie mit ihrer Emotionalität und dem Empörungsfaktor alle Zutaten hat, auch ohne Werbung von Facebook-Usern fleißig verbreitet zu werden.
Was an solchen Treffen trotzdem brisant sein könnte
Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass Facebook US-Wahlkämpfern einen erstaunlich detaillierten Plan an die Hand gab, wie sie die Spaltungen im Land in ihrem Sinne ausnutzen konnten. Eine Buzzfeed zugespielte Grafik zeigt, wie Facebook die gesamte US-Wählerschaft in 14 Gruppen unterteilte – von "sehr konservativ" über "junge Großstädter" bis hin zu Waffen-Fans mit der eigentümlichen Gruppenbezeichnung "the great outdoors". Diesen Gruppen konnten dann mit den Werbe-Tools und dem sogenannten Facebook-Targeting von Facebook jeweils spezifische Botschaften zugespielt werden.Dass Facebook solche nach politischen Präferenzen zusammengestellten Gruppen anbietet und sie dezidiert Wahlkämpfern präsentiert, ja mit diesen Tools um das Geld der Werber wirbt, wirft tatsächlich Fragen auf. Facebooks Datensätze ermöglichen theoretisch eine so individuell zielgerichtete Werbung wie nie zuvor in der Werbegeschichte – aber ist Facebook sich der damit einhergehenden Verantwortung immer bewusst, dass die eigenen Werbe-Tools auch eine Spaltung der Gesellschaft vorantreiben können? Wie Facebook mit der durch die eigenen Produkte vorangetrieben Individualisierung von Werbung umgeht, wird uns sicher die nächsten Jahre noch beschäftigen.
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Ein Blick in die Targeting-Möglichkeiten von Facebook zeigt allerdings, dass dezidiert nach politischem Interesse unterteilte Gruppen, wie es sie in den USA gibt, in den deutschen Werbeprogrammen gar nicht existieren. In den USA gibt es im Targeting-Programm, die Möglichkeit, Werbungen an politisch liberale, konservative oder als "Mitte" bezeichnete User auszuspielen. Diese Kategorie wird im deutschen Ad-Manager von Facebook nicht angeboten – auch wenn sich entsprechende Daten über deutsche Nutzer theoretisch durch Drittfirmen einkaufen lassen.Was bleibt also von der Bloomberg-Geschichte und den aufgeregten Tweets? Klar ist: Die zentrale Quelle des Bloomberg-Artikels ist Harris Media selbst – eine Werbeagentur, der offensichtlich daran gelegen ist, ihren Einfluss als PR-Agentur möglichst groß darzustellen. Sollte es in dem Austausch zwischen Harris Media und Facebook tatsächlich nicht weiter ins Detail gegangen sein, dann handelt es sich bei der "Facebook-Beratung" um nicht mehr als Social-Media-Basiswissen.Eines macht die Diskussion um den Artikel aber deutlich: Beratungsfirmen für Online-Kampagnen wie Harris Media oder auch Cambridge Analytica werden in Wahlkämpfen immer wichtiger. Denn laut Bloomberg war es eben Harris Media, die überhaupt den Kontakt zwischen Facebook und der AfD herstellten. Es lohnt sich also durchaus, die Arbeit solcher Firmen im Blick zu behalten.Noch wichtiger allerdings ist es, darüber zu diskutieren, warum provokante und populistische Inhalte gerade auf Netzwerken wie Facebook so gut funktionieren – und inwiefern unsere gesellschaftliche Fragmentierung in soziale Nischen mit der Fragmentierung der Online-Communities zusammenspielt. Wie befeuern sich die digitalen Filterblasen und die Offline-Filterblasen unserer Gesellschaft gegenseitig? Was war zuerst da und wie bedingen sich die Entwicklungen – das sind spannende Fragen, die uns noch lange beschäftigen werden. Sich über den Bericht eines Werbers von einem einzelnen Treffen zu empören, wäre da zu klein gedacht.