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Neue Berechnungen: Du könntest den Fall in ein Schwarzes Loch überleben

Bisher gingen Forscher davon aus, dass niemand den Fall in ein Schwarzes Loch überleben könnte. Mathematiker kommen zu einem anderen Ergebnis und rechnen Weltraumreisenden sehr bizarre Konsequenzen aus.
Künstlerische Darstellung eines Schwarzen Loches | Bild: imago | Science Photo Library

Was passiert eigentlich, wenn man in ein Schwarzes Loch fällt? Diese Frage beschäftigt Physiker schon seit Jahrzehnten. In einem Aspekt sind sich die meisten Wissenschaftler einig: Wir würden in die Länge gezogen und dann in Stücke gerissen werden, bevor wir einem Schwarzen Loch überhaupt richtig nahe kommen – dieser Vorgang wird auch als Spaghettisierung bezeichnet. Doch die Untersuchung eines internationalen Mathematikerteams legt nahe, dass es bestimmte Arten von Schwarzen Löchern geben könnte, denen sich Beobachter nähern können – mit höchst bizarren Konsequenzen.

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Laut der Studie, die letzte Woche in der Fachpublikation Physical Review Letters erschien, würdest du beim Eintritt in ein bestimmtes theoretisches Schwarzes Loch nicht ausgelöscht – zumindest nicht im traditionellen Sinne. Stattdessen würde das Schwarze Loch deine Vergangenheit aufheben und dir eine unbegrenzte Anzahl an Zukunftsszenarien eröffnen. Auch ein unendliches Leben in einem Paralleluniversum schließen die Forscher nicht aus.

Die Studie rüttelt an einer alten Theorie: dem kosmischen Zensor

Um die komplexe Hypothese der Mathematiker zu verstehen, müssen wir uns kurz Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zuwenden. Die Allgemeine Relativitätstheorie beschreibt Gravitation als geometrische Eigenschaft der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit. Vereinfacht gesagt, krümmt sich der Weltraum, weil es darin Massen gibt. Ein schwarzes Loch entsteht, wenn ein massereicher Stern stirbt und zu einem unendlich kompakten Punkt zusammenfällt – diesen bezeichnet man als Singularität. Die Masse eines schwarzen Loches ist so dicht, dass sich nichts seiner Anziehungskraft entziehen kann – auch nicht das Licht. Darum krümmt ein schwarzes Loch den Weltraum ins Unendliche.

Die Beschaffenheit von Singularitäten sorgt unter Physikern für Streit. Wir können sie nicht sehen, da sie vom Ereignishorizont des Schwarzen Loches vom restlichen Universum abgeschirmt werden. Das ist auch gut so, denn wenn wir die Singularitäten im Zentrum eines Schwarzen Loches sehen könnten – die sogenannte nackte Singularität – würde das die Theorie des Determinismus widerlegen, der in der Physik so essentiell ist.

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Der Grund, warum Ereignisse mithilfe von physikalischen Gesetzen vorausgesagt werden können, ist, dass das Universum deterministisch ist: Wenn wir die genauen Ausgangskonditionen des Universums kennen würden, könnten wir theoretisch genau vorhersagen, wie sich das Universum mit der Zeit entwickeln würde. Kurz gesagt: Determinismus bedeutet, dass zukünftige Ereignisse durch Vorbestimmungen genau festgelegt sind.

Darum stehen Physiker vor einem Problem: Laut der Allgemeinen Relativitätstheorie müssen Singularitäten existieren, doch es scheint unmöglich, sie zu beobachten. Um diese Diskrepanz zu erklären, stützen sich Physiker auf eine Hypothese, die vor fast 50 Jahren vom Physiker Roger Penrose entwickelt wurde: den kosmischen Zensor.

Die Hypothese des kosmischen Zensors besagt, dass die nackte Singularität durch den Ereignishorizont von Schwarzen Löchern verborgen wird, und wir sie daher nicht beobachten können. Innerhalb des Ereignishorizonts soll es eine Grenze geben, die als Cauchy Horizont bezeichnet wird. Hinter dieser Grenze gelten die Allgemeine Relativitätstheorie und somit auch der Determinismus nicht mehr. Laut der Hypothese kann niemand den Cauchy Horizont übertreten, ohne zerstört zu werden (dazu später mehr).

Die Hypothese des kosmischen Zensors ist unter Wissenschaftlern umstritten. Die Studie, die diese Woche veröffentlicht wurde, ist ihr bisher stärkstes Gegenargument. Denn die Untersuchung von Peter Hintz und seinen Kollegen legt nahe, dass es bestimmte Typen von Schwarzen Löchern im Universum gibt, bei denen es möglich wäre, den Cauchy Horizont zu durchqueren und in das nicht-deterministische Universum auf der anderen Seite einzutreten.

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Diese Simulation mit dem "Black Hole Flight Simulator" zeigt, was passiert, wenn man in ein Schwarzes Loch fällt

Das Gedankenexperiment: Wir schweben auf ein Schwarzes Loch zu

Stellen wir uns einmal vor, wir sind Weltraumreisende und nähern uns der Art von theoretischem Schwarzem Loch, dass Hintz und seine Kollegen untersucht haben: ein Schwarzes Loch der Reissner-Nordström Metrik, also ein nicht-rotierendes Schwarzes Loch mit elektrischer Ladung. Laut der Relativitätstheorie verlangsamt sich die Zeit, während wir uns dem Schwarzen Loch nähern, weil die Stärke des Gravitationsfeldes zunimmt. Wir werden unaufhaltsam vom Schwarzen Loch angezogen – mit uns wird auch alles Licht und alle Materie eingesogen. Irgendwann erreichen wir den Cauchy Horizont, die Grenze zwischen dem deterministischen und nicht-deterministischen Universum.

Sobald wir diese Grenze überschreiten, so die Theorie, bestimmt die Vergangenheit nicht mehr über unsere Zukunft. Tatsächlich müssten wir Zeuge werden, wie die gesamte Energie, die das Schwarze Loch jemals aufnehmen wird, den Cauchy Horizont auf einmal trifft. Leider könnten wir niemandem von diesem beeindruckenden Schauspiel berichten, denn laut der Hypothese des starken kosmischen Zensors würde uns dieser enorme Energiestrahl sofort vernichten.

Hintz und seine Kollegen glauben jedoch, dass es zu diesem fatalistischen Szenario eine Alternative gibt: Sie glauben, dass wir – die theoretischen Weltraumreisenden – durch die stetig schneller werdende Ausdehnung des Universums gerettet würden. Sie meinen, dass die Raumzeit zwar im Schwarzen Loch auf einen unendlichen Punkt konzentriert wird, gleichzeitig jedoch durch die Ausdehnung des Universums auseinandergezogen wird. Somit würde nicht die gesamte Energie des Universums den Cauchy Horizont auf einmal treffen, sondern nur ein relativ kleiner Teil – laut Hintz und Kollegen nur die Energiemenge, die sich im beobachtbaren Horizont aus der Perspektive des Schwarzen Loches befindet. Da sich das Universum mit zunehmender Geschwindigkeit ausdehnt, muss dieser beobachtbare Horizont "kleiner" sein, als das gesamte Universum.

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Um dieses Konzept zu verstehen, betrachten wir einmal unseren eigenen Horizont von der Erde aus. Obwohl wir 13,8 Milliarden Jahre in die Vergangenheit blicken können, beträgt unser beobachtbarer Horizont tatsächlich etwa 46 Milliarden Lichtjahre, da zu ihm auch alles zählt, was wir in der Zukunft sehen werden. Wir werden von der Erde aus jedoch nie "weiter" sehen können, da die Ausdehnung des Universums schneller ist als die Lichtgeschwindigkeit. Somit wird uns das Licht von Objekten, die sich hinter diesem kosmischen Horizont befinden, nie erreichen. Objekte, die sich am Rande dieses Horizonts befinden, werden irgendwann schwächer werden und aus unserem Blickfeld verschwinden.


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Dasselbe gilt auch für das theoretische Reissner-Nordström Schwarze Loch, auf das sich die Forscher in ihren Berechnungen konzentrieren. Somit würde sich die Zeit unter bestimmten Umständen nicht verlangsamen, wenn wir in das Schwarze Loche fallen, weil dieser Effekt durch die Ausdehnung des Universums aufgehoben würde. Somit könnten wir, zumindest in der Theorie, den Cauchy Horizont passieren und in einer nicht-deterministischen Welt weiterexistieren, in der die Vergangenheit nicht mehr über unsere Zukunft bestimmt. Indem unsere Vergangenheit ausgelöscht wird, eröffnen sich uns eine unbegrenzte Anzahl an möglichen Zukunftsszenarien. "In einigen Fällen könnte man die Singularität sogar komplett umgehen, und für alle Ewigkeit in einem unbekannten Universum leben", so Hintz.

Natürlich sind das alles theoretische Berechnungen. Hintz und seine Kollegen gehen nicht davon aus, dass Physiker jemals in das Innere eines Schwarzen Loches reisen werden. Mehr noch: Hintz sagt, dass die elektrisch geladenen Schwarzen Löcher aus ihrem Modell vielleicht gar nicht existieren. Denn ein geladenes Schwarzes Loch müsste Materie mit entgegengesetzter Ladung anziehen und würde somit irgendwann neutralisiert werden. Trotzdem ist das mathematische Modell nützlich, um rotierende Schwarze Löcher zu studieren – denn die sind laut Hintz wahrscheinlich die Norm im Universum.