Auf der Collage sind nackte Frauen, knutschende Männer und Unterhosen abgebildet. Die Collage ist das Titelbild über einen Guide für Menschen, die erst spät anfangen, Sex zu haben.
Illustration : Guillaume Orban
Sex

Alles, was du wissen musst, wenn du Sex erst spät für dich entdeckst

Entgegen der landläufigen Meinung ist niemand einfach so gut im Bett. Dich selbst kennenzulernen und offen mit deiner Unerfahrenheit umzugehen, wird dir dabei helfen.
Nadia Kara
Antwerp, BE

Euphoria. Sex Education. Normal People. Filme und Serien hinterlassen den Eindruck, dass die Teenagerzeit die einzige akzeptable Lebensphase ist, um die eigene Sexualität zu entdecken. Aber bei vielen Menschen ist das nicht zwangsläufig so.

Vielleicht dachtest du früher, Sex wäre nicht wirklich dein Ding, oder du bist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem das Thema tabu ist. Oder dir wurde erst vor Kurzem bewusst, dass deine sexuelle Orientierung nicht mit deinen bisherigen Erfahrungen übereinstimmt. Es gibt viele Gründe, weshalb du vielleicht erst später in deinem Leben sexuell experimentierst – und sie alle sind berechtigt.

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Laut der belgischen Sexologin Emilie Daems ist es jedoch nicht sinnvoll, die eigene sexuelle Erkundung mit einer imaginären Timeline zu vergleichen. "Spät dran sein" ist nicht der richtige Ausdruck. Ich würde eher sagen, du hast deine Grenzen beschützt", sagt sie. "Wenn du noch nicht so weit warst, gab es dafür wahrscheinlich einen Grund. Aber du hast dich bereits mit einem Teil deiner Sexualität beschäftigt: dem Setzen von Grenzen."

Dennoch werden Menschen, die bestimmte sexuelle Erfahrungen nicht gemacht haben, noch immer gesellschaftlich stigmatisiert. Deshalb ist es ganz normal, sich ein bisschen ahnungslos zu fühlen. Wir haben einige der gängigsten Sorgen aufgegriffen, die du als spätzündende Person haben könntest, und einige Tipps zusammengestellt, um dir zu helfen.

"Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll"

Der Guide zu gutem Sex für Frauen

Sexualität lebt man nicht nur mit anderen aus – es geht in erster Linie um die Beziehung zu deinem eigenen Körper. Dich mit oder ohne Sexspielzeug selbst zu berühren, wird dir helfen, dich an bestimmte Reize zu gewöhnen und zu wissen, welche dir gefallen. "Je mehr du über dich weißt, desto besser wirst du deine Wünsche und Grenzen kommunizieren können", sagt Emilie Daems.

Wenn du anfängst, deine Sexualität zu erkunden, wirst du dich häufig auf neuem Territorium und außerhalb deiner Komfortzone wiederfinden. Dann kann es den entscheidenden Unterschied machen, wenn du dich selbst kennst. "Man darf nicht unterschätzen, wie stark weniger positive Erfahrungen die weitere sexuelle Entwicklung beeinflussen könnten", sagt Daems. "Deine eigenen Vorlieben zu kennen und zu kommunizieren, kann dir eine Menge Ärger ersparen."

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"Wie werde ich gut im Bett?"

Entgegen der landläufigen Meinung ist niemand einfach so gut im Bett. Dabei spielen Fähigkeiten eine Rolle, die man wie alles andere auch durch Theorie und Praxis lernen muss. Neben dem Austausch von Körperflüssigkeiten und körperlichen Reizen geht es beim Sex um Psychologie, Empathie, emotionale Intelligenz – als Person, die sich später als viele andere mit Sex beschäftigt, hattest du wahrscheinlich mehr Zeit, dich über diese Fähigkeiten zu informieren und sie zu entwickeln.

Alles andere ist ebenfalls erlernbar, und es gibt viele Ressourcen für Tipps und Tricks. "Trau dich, Bücher und Artikel über das Thema zu lesen oder mit einer Sexologin zu sprechen", schlägt Daems vor. Wenn du eine Vulva hast oder wissen möchtest, wie du einer Person mit Vulva Lust bereitest, empfiehlt Emilie Daems die Website omgyes.com.

Pornos können auch eine Informationsquelle über Sex sein. Sie können dir dabei helfen, dir verschiedene sexuelle Praktiken vorzustellen, zu entdecken, was dich anmacht und abturnt, und allein deine Sexualität zu erforschen. Um zu vermeiden, mit problematischen Ideen und Darstellungen konfrontiert zu werden, empfiehlt die Expertin, ethische Pornos zu konsumieren. Die Einwilligung der Darstellenden und eine angemessene Bezahlung sind hier Grundvoraussetzungen.

"Für ethische Pornos muss man oft bezahlen, aber sie sind viel besser", sagt Daems. "Außerdem musst du dir dann keine Gedanken darüber machen, was du unterstützt, während du masturbierst."

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"Manche sexuellen Praktiken schüchtern mich ein"

Das geht allen so! Leg dein eigenes Tempo fest und verlasse deine Komfortzone Schritt für Schritt. Manche sexuellen Handlungen mögen dir anfangs lächerlich erscheinen, aber in der Hitze des Moments siehst du das vielleicht anders. Unsere Hormone sind meist weniger zurückhaltend als unsere Erziehung das vorgibt. 

"Alles, was man zum ersten Mal macht, ist stressig, weil man noch nicht weiß, wie es laufen wird", sagt Daems. "Wenn alles gut gegangen ist, hast du zu diesem Zeitpunkt zum Glück schon gelernt, was dir gefällt, wenn du es dir selbst machst. Daran kannst du dich orientieren, wenn du Sex mit jemand anderem hast."

Manchmal werden die neuen Sachen, die du ausprobierst, großartig sein, manchmal weniger. Aber so geht das allen, und leider gibt es keine Abkürzung. Mache dich auf Enttäuschungen gefasst und habe möglichst keine Erwartungen: Spaß hat nichts mit Perfektion zu tun.

"Es ist mir peinlich, dass ich so wenig Erfahrung habe"

Auch wenn du dich schämst, ist es immer besser, mit den Menschen ehrlich zu sein, mit denen du Sex hast. Es muss keine tiefgründige Unterhaltung sein, du kannst einfach erzählen, was du schon ausprobiert hast und was du gerne machen würdest. "Sich verletzlich zu zeigen kann auch aufregend sein und ist ein toller Katalysator für sexuelle Erregung", sagt Emilie Daems.

Du solltest außerdem Raum für Humor lassen. "Filme und Serien zeigen nicht die unangenehmen Momente: Man sieht nie eine Frau, die mit den Händen zwischen den Beinen ins Bad läuft", sagt Daems. "Und Vaginalfürze und andere Geräusche hört man auch nie." Manche Situationen können lustig sein, wenn du sie nicht zu ernst nimmst. Zusammen darüber zu lachen, wird eure Verbindung stärken und Misserfolge erleichtern.

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"Ich habe Angst, dass ich ausgelacht werde"

Du verdienst einen Menschen, der dich so respektiert und schätzt, wie du bist. Lasse nicht zu, dass dir jemand das Gefühl gibt, dass du hinterherhinkst, nicht gut genug oder lächerlich bist. "Wenn jemand sich über dich lustig macht, weißt du direkt, dass diese Person nicht zu dir passt" sagt Daems. Das geht in beide Richtungen: Beurteile Menschen nicht danach, mit wie vielen Personen sie geschlafen haben. Was zählt, ist die Beziehung, die ihr habt und wie viel Spaß ihr zusammen haben werdet.

Je mehr du dich darauf konzentrierst, dass du wenig Erfahrung hast, desto mehr wird es für euch zu einem großen Thema. Wenn es immer wieder zur Sprache kommt, ist es eventuell auch ein Zeichen für ein größeres emotionales Problem. In diesem Fall "ist es immer eine gute Idee, in einer Sexualtherapie darüber zu sprechen", sagt Daems.

"Woher soll ich wissen, wie es läuft?"

Beobachte die Reaktionen deines Gegenübers. Stelle vor, während und nach dem Sex Fragen und stelle sicher, dass die Person mit allem einverstanden ist, bevor du etwas ausprobierst. Gib Anweisungen wie "langsamer, lauter, links, tiefer, ja, nein." Und wenn du eine Pause brauchst oder aufhören willst, sag das auf jeden Fall auch.

Es ist besser, zu viel zu reden als zu wenig – viele Leute macht das sogar an. "Je mehr du über Sex redest, wenn es gut läuft, desto weniger seltsam und einschüchternd ist es, über Sex zu reden, wenn es nicht so gut läuft", sagt Emilie Daems. Wenn du dich nicht traust, deine Wünsche verbal zu äußern, kannst du auch mit Geräuschen, Körpersprache und Gesichtsausdrücken kommunizieren.

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In gewisser Weise ist jede neue Person, mit der du Sex hast, ein Neustart und eine neue Entdeckung, denn jeder Mensch hat andere Vorlieben und Erfahrungen. Finde heraus, was sie mag und frag sie, wie ihr euch gegenseitig mehr Lust bereiten könnt.

"Ich weiß nicht mal, wie man Gleitgel benutzt"

So etwas wie zu viel Gleitgel gibt es nicht! Viele Menschen mit Vulva können eine Diskrepanz zwischen mentaler und körperlicher Erregung erleben, das heißt, sie können im Kopf sexuell erregt sein, ohne feucht zu werden. "In diesem Fall ist das Gleitmittel ein Lebensretter!", sagt Daems. "Aber Vorsicht, auch der umgekehrte Fall ist möglich. Frag also auch immer, ob die Person erregt ist."

Gleitmittel auf Wasserbasis kann man bedenkenlos mit Sexspielzeug und Kondomen benutzen. Allerdings muss man häufig nachlegen, weil sie schneller austrocknen. Gleitgele auf Silikonbasis eignen sich gut für Sex ohne Toys, aber vertragen sich nicht immer mit Kondomen. Der Vorteil dieser Mittel ist ihre Textur: Sie sind der Scheidenflüssigkeit ähnlicher und bleiben länger feucht.

"Ich habe Angst vor ungewollter Schwangerschaft und sexuell übertragbaren Krankheiten"

Sexuell aktiv zu sein birgt viele potenzielle Risiken, aber das sollte dich nicht von einem erfüllten Sexleben abhalten. Du kannst viele Vorkehrungen treffen: Informiere dich über Prävention und schütze dich selbst sowie die Menschen, mit denen du Sex hast. Lass dich regelmäßig testen, auch wenn du keine Symptome hast. Hab außerdem immer sowohl Verhütungsmittel als auch Gleitgel dabei. "Sex mit Kondom und zu viel Reibung kann die Chance erhöhen, dass das Kondom reißt", fügt Emilie Daems an.

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"Es ist auch wichtig, die richtige Kondomgröße zu verwenden", sagt Daems. "Wenn das Kondom zu groß ist, rutscht es vielleicht ab. Wenn es zu klein ist, kann es leichter reißen." Wenn du also einen Penis hast, probiere ein paar Größen aus und habe die richtige dabei. Und wenn du gerne Sex mit Personen mit Penis hast, habe vielleicht ein paar Optionen zur Verfügung.

"Man muss an so viel denken. Was wenn es total schiefgeht?"

Wenn es um Sex geht, passiert es schnell, dass wir uns in unserer Vorstellung davon verlieren, was wir tun sollten oder wie wir dabei aussehen sollten. Aber Sex ist nicht so, wie er in den Medien dargestellt wird. Es gibt keinen festgelegten Ablauf und kein großes Finale. Manchmal hast du innerhalb einer Minute einen Orgasmus, manchmal keinen. Es wird wahrscheinlich sogar schrecklich enttäuschend, und nicht nur die ersten Male. 

Anstatt dich darauf zu konzentrieren, wie der Sex läuft, versuche, im Moment zu bleiben und alle Reize zu spüren. Das wird es dir erleichtern, alle Gedanken auszublenden, die dir vielleicht durch den Kopf schießen. "Sex ist vor allem eine mentale Erfahrung", sagt Emilie Daems. "Wenn du dir also die ganze Zeit Gedanken machst wie 'Ich kann das nicht' oder 'Ich habe nicht genug Erfahrung' oder ‘Sieht mein Bauch fett aus?', wird es schwer, präsent zu sein. Lass dich einfach treiben und konzentriere dich auf deine Sinne und dein Gegenüber."

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