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Während Flüchtlinge um ihr Leben fürchten, fürchtet der Ministerpräsident um Sachsens Ruf

Zynischer geht es eigentlich nicht.
Screenshot: ZDF Mediathek

Screenshot: ZDF-Mediathek (bearbeitet)

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat es gerade ziemlich schwer. Seit das Video von der Blockade eines Flüchtlingsbusses in Clausnitz durch eine Horde schreiender Männer vor einer Woche viral ging, wird Tillich von allen Seiten angegangen—und macht dabei bis jetzt keine besonders gute Figur.

Erst erklärte er die rassistischen Pöbler kurzerhand zu „Verbrechern", die „keine Menschen" seien—eine Aussage, deren dümmliche Hysterie für maximale Empörung auf allen Seiten gesorgt hat. Spiegel Online nannte ihn dafür einen scheinheiligen Wendehals. Und von Claus Kleber musste er sich daran erinnern lassen, dass er vor nicht allzu langer Zeit noch selbst verkündet hatte, der Islam gehöre „nicht zu Sachsen". Auf den Vorwurf, Pegida damit Auftrieb gegeben zu haben, reagierte der Politiker, indem er die Frage einfach nicht beantwortete.

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Jetzt hat Tillich sich in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung zu Wort gemeldet—und gleich wieder offenbart, wie wenig er vom Ernst der Lage in seinem Bundesland verstanden hat. Nach einigen Floskeln, dass man „mit großer Entschlossenheit gegen die Täter" vorgehe und man „solche schändlichen Umtriebe niemals akzeptieren" werde, da das ja auch „Anschläge auf unsere Werte und unsere Grundordnung" seien, kommt Tillich schließlich auf das zu sprechen, was ihm wirklich am Herzen zu liegen scheint: „Der Ruf Sachsens leidet".

Am Wahrheitsgehalt dieser Aussage ist natürlich nicht zu rütteln: Der Ruf Sachsens leidet schon seit einer ganzen Weile, und dass nicht zu knapp. Das Bundesland ist auf dem besten Wege, zum Symbol für rassistisches, eigensüchtiges und empathieloses Handeln zu werden. Mittlerweile wird Sachsens Rassismusproblem im Bundestag diskutiert und vom Postillon veralbert. Also ja, der Ruf Sachsens könnte besser sein.

Aber das ist gerade wirklich nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, dass schutzsuchende Menschen sich in Sachsen bedroht fühlen. Die Flüchtlinge, deren Bus über vier Stunden von einer johlenden Menge umringt wurde, hatten Angst um ihr Leben. Sogar der deutsche Dolmetscher hatte Angst.

Am selben Tag, als ein paar Dutzend Männer den Flüchtlingen in Clausnitz das Leben zur Hölle machten und ein paar Dutzend mehr sich das einfach anschauten, wurde in einem anderen sächsischen Dorf ein elfjähriger Junge aus Syrien auf dem Weg zum Fußballtraining von zwei Unbekannten angegriffen und in den Bauch und die Kniekehle getreten. Am Samstag danach wurde ein geplantes Flüchtlingsheim in Bautzen angezündet, eine johlende Menge beklatschte nicht nur den Brand, sondern behinderte sogar die Feuerwehr bei den Löscharbeiten. Schon Anfang Februar warnte der Polizeipräsident von Leipzig, in Sachsen herrsche „eine Pogromstimmung, die eine kreuzgefährliche Intensität bekommt". Das Land wird seinem Ruf gerade nur allzu gerecht.

Natürlich gibt es solche Vorfälle auch in anderen Bundesländern zur Genüge. Aber Tillich ist nun mal der Ministerpräsident von Sachsen, und als solcher sollten diese Zustände ihm und seiner Partei—der immer wieder vorgeworfen wird, daran eine Mitschuld zu tragen—viel mehr Sorgen machen als der „Ruf" seines Landes. Statt jetzt zu jammern, es sei falsch, „pauschal alle Menschen in Sachsen zu verurteilen"—wovon sowieso niemand mit auch nur einem Funken Reflexionsvermögen spricht—, sollte er sich lieber Gedanken machen, wie er den rechten Hetzern und ihre Sympathisanten Einhalt gebietet. Den Schutz brauchen jetzt nicht die Sachsen, sondern die Flüchtlinge.