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Tech

Wovor Google Angst hat

Wenn’s nach Google geht, antwortet ein Assistent in Zukunft für dich in einer Messaging-App—er will dich eben nicht verlieren.
Bild: imago

Auf einer Festival-ähnlichen Bühne nahe der Unternehmenszentrale hat Google-Chef Sundar Pichai gestern ungewohnt fröhlich durch eine Keynote moderiert und beeindruckende, brandneue Entwicklungen und Pläne vorgestellt. Aber er hat noch mehr verraten: Wovor Google Angst hat, wenn die Welt mal nicht mehr auf die Dienste des Tech-Konzerns und vor allem auf seine Suche angewiesen ist.

Tatsächlich weichen immer mehr Menschen auf die Vorteile „natürlicherer" Suchfunktionen aus, die dich entweder per Stimme nach etwas fragen lassen oder über Apps bedient werden. Der Facebook Messenger wälzt diese Nutzererfahrung bereits gewaltig um: Du musst die App gar nicht erst verlassen, um dir ein Restaurant für Samstag zu reservieren oder zu schauen, auf welches Konzert du später gehen kannst; sondern erledigst die Suche danach plus die Planung mit deinen Freunden direkt im Chat.

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Google hofft mit beeindruckenden Produkten auf deine Bequemlichkeit.

Das Problem für Google: Wenn wir alle nur noch über Apps kommunizieren, wie könnte das Unternehmen mit seinen kostenlosen Tools dann Geld verdienen für sein verzweigtes Alphabet-Imperium mit über 60.000 Mitarbeitern und einem Geschäftsmodell, das immer noch im Kern auf Suchanfragen und Werbung beruht?

Daher fokussiert sich nun auch Google auf Künstliche Intelligenz, die die Interaktion des Nutzers mit den Produkten der Firma nahtloser gestalten will. Mit Google Assistant stelle Google „das Meisterstück seiner Schöpfung vor", schrieb die Welt nach der gestrigen Keynote ergeben—festhalten lässt sich zumindest, dass Google Assistant eine wirklich mächtige Künstliche Intelligenz ist, die im Alltag das sperrige Apple-Siri links überholen kann und das Herzstück der neuen Produkte bildet.

Und die stehen fast alle in direkter Konkurrenz zu Produkten, die bereits auf dem Markt sind: Google Home ist eigentlich dasselbe wie Amazon Echo—ein mit Google Assistant ausgestatteter Lautsprecher, der das Zentrum der Wohnung bilden soll und sich per Stimmensteuerung bedienen lässt (die wurde verbessert und kann jetzt auch kleine Kinder verstehen). Home soll dafür sorgen, dass der Kunde auch beim Abwasch in der Google-Welt hängen bleibt. Das könnte klappen, weil unser Leben viel verzahnter mit der breit gefächerten Welt der Google-Dienste ist, als es in einem Amazon-Umfeld stattfindet.

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Noch interessanter ist aber Allo, eine Nachrichtenapp, der ebenfalls auf die KI des Siri-Konkurrenten Google Assistant setzt. Man kann Allo als Angriff auf iMessage, Snapchat und WhatsApp verstehen: Google Assistant injiziert in einen Allo-Chat eigene Vorschläge, quatscht dir als Mittelsmann dazwischen, schlägt dir Reaktionen und Antworten auf erhaltene Fotos vor, möchte dir permanent zuvorkommen und bietet somit eine zentrale, Google-typische Funktionalität: Es flutscht alles einfach so viel besser, wenn du Google in dein Leben lässt.

Das ist dir zu gruselig? Dann gibt es noch den Incognito-Modus, bei dem alle Nachrichten Ende-zu-Ende veschlüsselt sind; was den Assistenten natürlich ausschließt. Wichtig dabei ist zu verstehen, dass diese Verschlüsselung dabei immer nur optional zuschaltbar ist, was einem absoluten Privatsphäre-Minimum entspricht. Einen Messenger komplett ohne Verschlüsselung anzubieten, wäre bei all den Konkurrenten, die nach der Apple vs. FBI-Auseinandersetzung mittlerweile serienmäßig und vorinstalliert Ende-zu-Ende verschlüsseln, wirtschaftlicher Selbstmord, aber Google überlässt dem Nutzer die Entscheidung—und hofft darauf, dass er aus Bequemlichkeit auf die Verschlüsselung verzichtet.

Facebook ist da ehrlicher: Das Unternehmen hat sich Anfang des Jahres entschieden, seine sicheren und unsicheren Produkte komplett zu trennen. Du willst nichts als chatten und telefonieren, aber es soll bitte niemand mitlesen? Nimm WhatsApp. Du willst Flugtickets buchen, mit dem cleveren M-Bot interagieren und Vorschläge für's Wochenende bekommen, vielleicht auch von deinem lokalen Mobilfunkanbieter? Der Facebook Messenger bietet all das, dafür aber keine Verschlüsselung.

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Wieso der Facebook Messenger das neue Facebook ist

Auch Snapchat ist ein ernstzunehmender Konkurrent zum Versenden von Nachrichten und Videos: Maximale Interaktion, Newsstories, tausende Bearbeitungsmöglichkeiten und akute Suchtgefahr durch die Exklusivität des Inhalts, was gleichzeitig der Privatsphäre dient—in maximal 24 Stunden ist schließlich alles Gesehene und Gesendete wieder weg.

Um dagegenzusteuern, versucht Google nun, die Nutzer durch Bequemlichkeit auf seine Seite zu ziehen: Statt also zwei oder drei Apps hochzufahren, sollen wir doch lieber einfach alles in Allo erledigen. In Folge der Krypto-Debatte der vergangenen Monate hat nämlich auch Google Angst um deine Daten—sie zu verlieren, versteht sich. Der Versuch, in Konkurrenz zu WhatsApp, Viber oder Snapchat zu treten gelingt also nur, wenn seine Nutzer einstecken und den Assistant eingeschaltet lassen. Du kannst dich also entscheiden: Möchtest du einen unsicheren Messenger mit toller Nutzererfahrung oder ein sicheres, reduziertes Produkt, dass du so oder so ähnlich woanders bekommst.

Unser US-Kollege Jason rät sogar: Don't use Allo

Sicherheit, die nicht voreingestellt ist, ist aber keine Sicherheit, sondern verlagert die Verantwortung zurück auf den Nutzer. Das ist natürlich Absicht, denn Google hat gar kein Interesse an deiner perfekten Privatsphäre—sondern Angst um sein Geschäftsmodell, das—kleiner Reminder—noch immer auf dem Sammeln persönlicher Daten beruht.

Apple, Amazon, Google und Microsoft arbeiten derweil alle an demselben Ziel: An einem Assistenten, der wie ein menschlicher Assistent funktioniert. Die Frage ist nur, wer dieses Ziel am schnellsten erreichen wird.

Klar ist: Die Zukunft, die Google anbieten muss, muss nahtlos sein und auf Unsichtbarkeit setzen—nur dann hat das alte Suchergebnisse-und-Anzeigen-Modell eine Zukunft und Google nichts zu befürchten. Die Vorstellung von Produkten, bei denen Google anderen Marktbegleitern den Vortritt gelassen hat, zeigt, dass sie den Zugang zum Kunden auf anderen Wegen suchen. Unsere Nutzererfahrung soll sich also weg von der Websuche und hin zu Anwendungen im Alltag selbst bewegen—immer mit dem Ziel vor Augen, dass wir mehr Zeit im Google-Kosmos verbringen.

„Wir wollen, dass Nutzer in einen fortlaufenden Dialog mit Google treten", sagte Pichai gestern in Mountain View. Und das klingt bei aller Omnipräsenz der Firma ein bisschen verzweifelt.