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Wollte mich die NSA mit dem schwierigsten Rätsel von 4Chan rekrutieren?

Wer versucht, das Cicada 3301-Rästsel zu lösen, muss sich auf eine Reise ins Deepweb, ins Internet und auch ins echte Leben gefasst machen.

Titelbild: Cicada 3301 Logo | Wikimedia.

Das Cicada 3301-Rätsel ist eins der letzten ungelösten Mythen des Internets. Jedes Jahr taucht es aufs Neue in abgewandelter Form im Netz auf, zum ersten Mal 2012 als geheimnisvolle Nachricht auf 4chan. Und jedes Jahr beißen sich Anons, Krypto-Amateure und Neugierige an der hochkomplexen digitalen Schnitzeljagd die Zähne aus. Wer das Geheimnis knacken will, braucht neben Kombinationsfähigkeit auch ein gewisses Verständnis von Codes, Geheimsprachen und Verschlüsselungstechniken—und muss bereit sein, stundenlang in kryptischen Botschaften und auf Deepweb-Domains nach dem nächsten Hinweis zu wühlen.

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Wer hinter dem Spiel steckt, ist dabei Teil des Mysteriums. Viele Spieler glauben, dass Geheimdienste mit dem Test neue Agenten anwerben wollen. Die Spekulationen reichen vom britischen Geheimdienst MI6 über Freimaurer, Darknet-Verbrecherbanden und 4chan-Trolls mit viel zu viel Zeit bis hin zu NSA oder FBI. Spätestens, seit sich Anonymous auf 4chan zu einer politischen (wenn auch unberechenbaren) Einflussgröße entwickelt hat, verfolgen die Sicherheitsbehörden wie die NSA nämlich ganz genau, was auf dem Boards passiert und suchen online nach Hackertalenten.

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Das Cicada 3301-Puzzle bringt sogar die aufgescheuchte Teenieclique auf 4chan über Monate zu einer nie gekannten Ernsthaftigkeit und zur Kollaboration. Leidenschaftlich vertiefen sich die sonst so nihilistischen Board-Scherzkekse gemeinschaftlich in die Lösung des Rätsels—und doch hat es niemand bisher geschafft, allen Hinweisen bis zum Ende zu folgen. Einer, der der finalen Lösung ganz ohne nerdige Expertise so nahe gekommen ist wie kaum jemand, ist der New Yorker Autor Jeff Kinkle. Ich habe Jeff in Williamsburg angerufen und mir zwischen Großstadtgehupe und NYPD-Sirenen seine Reiseroute durch die rätselhaftesten Ecken des Internet erklären lassen: MOTHERBOARD: Jeff, wie bist du überhaupt darauf gekommen, dieses Rätsel lösen zu wollen? Jeff: Ach, ich habe prokrastiniert. Ich musste meine Doktorarbeit schreiben und hatte einfach keinen Bock, also habe ich nachts ziellos auf 4chan herumgesurft. Hier ein Katzenwitz, da ein Penisbild. Dann hab ich dieses Bild gesehen:

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Ich hatte noch nie vom Cicada-Rätsel gehört. Es hat mich aber tierisch neugierig gemacht und ich wollte einfach herausfinden, was und wer dahinter steckt. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich so weit in den Kaninchenbau komme. Insgesamt habe ich Wochen darein investiert. Was hast du gedacht, als du das Rästel zum ersten Mal gesehen hast? Ich hab mich gefragt, wer dahinter steckt. Dann dachte ich, dass es vielleicht die NSA wäre, die online auf 4chan nach neuen Rekruten sucht. Ausgerechnet auf 4chan?! Hatte ich mal gelesen.

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Hättest du denn Lust gehabt, für die NSA zu arbeiten? Nein nein, überhaupt nicht. Ich bin ja eigentlich Schriftsteller und beschäftige mich hauptsächlich mit gesellschaftlichen Texten. Aber je länger ich darüber nachgegrübelt habe, desto kribbeliger wurde ich. Ich dachte: Das muss doch irgendwie zu lösen sein! Wie bist du vorgegangen? Wie ich bereits gegenüber Mental Floss berichtete, waren in dem Board 40 Leute oder so, die alle das Bild studiert und sich richtig reingehängt haben. Es entwickelte eine gewisse Eigendynamik. Zugegebenermaßen haben mich auch die 4chan-kommentatoren drauf gebracht, das Bild einfach mal in einem Texteditor zu öffnen. Und tatsächlich: Dort stand eine Nachricht: TIBERIVS CLAVDIVS CAESAR says "lxxt>33m2mqkyv2gsq3q=w]O2ntk." Und die konntest du entziffern? Ja. Das ist ein Ceasar-Chiffre, man muss einfach Buchstaben durch andere ersetzen. Tiberius Claudius war ja der vierte römische Kaiser, also bin ich einfach vier Buchstaben im Alphabet zurückgegangen. Es hat geklappt. Plötzlich stand da eine URL.
Dahinter war ein komisches Entenbild:

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Aber irgendetwas war seltsam an dem Satz im Bild, er klang so sperrig. Dann schlug ein Anon vor, das Bild durch die Entschlüsselungssoftware OutGuess laufen zu lassen. Das hab ich gemacht. Es wurde immer mysteriöser: Heraus kam ein Link, hinter dem eine Reihe Maya-Zahlen lag, dazu ein bisschen Buchstabensalat und zwei Bilder: Auf einem stand „Welcome" auf dem anderen „problems?" Ich glaube, an diesem Punkt wurde ich echt bessesen. Ich habe die Nacht mit anderen Fremden in einem anonymen Chatroom verbracht, zusammen haben wir Dutzende Codes ausprobiert, alte, neue, mittelalterliche, Bücher gewälzt… Stunden später ergab auf einmal alles einen Sinn: Ich hatte plötzlich eine Telefonnummer entziffert! Als ich das stolz im anonymen Chatroom verkündete, bekam ich plötzlich eine private Nachricht: „Du bist den anderen weit voraus!" Oh, gruselig! Ja, absolut. Ich hab also angerufen und da war diese Stimme vom Band: „Gut gemacht. Es gibt drei Zahlen, die mit dem Originalbild assoziiert sind. Eine davon ist 3301. Finde die anderen beiden Zahlen, multipliziere alle miteinander und füge ein .com dazu." Hast du die beiden Zahlen entdeckt? Ja! Es waren Pixel: Die Originalabmessungen des ersten Rästelbildes. Hinter der URL verbarg sich ein weiteres Bild: Eine Zikade. Ich hab auch das durch OutGuess gejagt, dort erschien dann eine Nachricht neben einem Countdown: „Du bist schon weit gekommen. Geduld ist eine Tugend. Komm am Montag um 17:00 Uhr wieder"

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Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Ein Kumpel und ich haben am Montag also ungeduldig auf den Countdown gestarrt, als pünktlich 14 GPS-Koordinaten aufploppten. London, Seoul, Paris, Warschau, Hawaii—leider war keine auch nur ansatzweise in meiner Nähe.
Total enttäuschend. Da konnte ich noch so viel herumtüfteln und wach bleiben, aber bis nach Hawaii konnte ich nicht mal eben spontan fahren. Und das war's? Nein. Ein paar Anons gingen zu den Orten hin und fanden einen QR-Code, der über viele Ecken dann auf ein 300-zeiliges Gedicht eines Science-Fiction-Autors verwies: Agrippa (das Totenbuch). Aus diesem Gedicht konnte man dann eine .onion-Adresse ableiten. Und so verlagerte sich die Suche also in das Deepweb. Genau.
Auf der Deepweb-Seite wurde ich aufgefordert, einen anonymen Hotmail-Account zu erstellen. In meiner Inbox war dann ein weiteres kryptisches Rätsel. Und daran bin ich letztlich gescheitert. Shit. Warum? Einfach zu schwer. Ich hab's nicht so mit der Kryptographie, und selbst meine Programmierer-Freunde mussten passen. Ich sollte mir irgendeine tierisch komplizierte Entschlüsselungssoftware auf den Rechner laden, die ich nicht verstanden habe.

Ein QR-Code, der Teil des Spiels 2012 war. Bild: ClevCode/Cicada 3301

Dabei bist du schon so weit gekommen. Ja, ärgerlich. Es hat mir natürlich keine Ruhe gelassen, vor allem wollte ich wissen, warum das Rätsel gepostet wurde. Ich habe es aber nie herausgefunden. Was, niemand hat das Rätsel gelöst? Ich weiß es nicht. Auf 4chan tauchte irgendwann eine Nachricht an den Gewinner auf. Es war ein Brief. Sie bot ihm die Mitgliedschaft in einer mysteriösen Gruppe an, die sich mit digitaler Sicherheit beschäftigt, aber sie nannte ihren Namen immer noch nicht. Um aufgenommen zu werden, musste man Fragen beantworten. Eine davon war:
„Glaubst du, dass Information frei verfügbar sein sollte?" Welche Organisation steckt denn nun dahinter? Keine Ahnung! Das war es dann endgültig. Ein wenig frustrierend, weil ich nun nicht weiß, wer das Rätsel gelöst hat und was das ganze Spiel sollte. Ich weiß noch nicht mal genau, ob die Nachricht tatsächlich Teil des Spiels war oder nur das Werk eines Anons. All die Arbeit war umsonst. Der Versuch, ein Bild auf 4chan zu verifizieren, klingt auch nach einem verlorenen Kampf. Hat sich seit dem Puzzle irgendwas für dich verändert? Lustigerweise benutze ich jetzt auch Tor. Und ich schaue mich noch öfter als sonst auf 4chan um. Irgendwo zwischen den Katzengifs und den Beleidigungen liegt die Lösung… Vielen Dank!

Weitere Details zu dem Cicada 3301-Rätsel finden sich in einem englischen Artikel von Mental Floss.