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Brennende Bitcoins

Wir haben mit der Künstlerin Geraldine Juarez über ihre Performance bei der transmediale in Berlin gesprochen, um herauszufinden welches politische Statement dahinter steckt Krypto-Münzen in Flammen aufgehen zu lassen.
Alle Bilder (soweit nicht anders angegeben): Jan Vollmer 

Foto mit freundlicher Genehmigung von Geraldine Juarez.

Geraldine Juarez zündelt gerne mit Bitcoins. Und gestern hat sie es wieder getan—beim „Afterglow" der transmediale in Berlin. Während es beim Festival um Big-Data, Überwachung und künstlerische Alternativen nach der Technikeuphorie geht, hat Geraldine eine Bitcoin-Geldbörse in Brand gesetzt, um sich ihre eigene Version von wohliger Wärme im post-digitalen Zeitalter zu schaffen. Eine interessante Maßnahme gegen die abendliche Kälte auf einer verschneiten Grünfläche vor dem Haus der Kulturen der Welt im Berliner Regierungsbezirk.

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„Es ist nur echtes Geld, wenn man es nicht nur ausgeben, sondern auch verbrennen kann," schreibt Geraldine auf der transmediale-Webseite. Der Satz stammt von einem Freund der Künstlerin aus einem Gespräch im guten alten IRC-Chat. Es waren solche Unterhaltungen, die Geraldine dazu inspirierten, eine Bitcoin-Geldbörse gefüllt mit neun Mili-Bitcoins (0.00977616 BTC) auf eine SD-Speicherkarte zu laden, um sie dann dem Feuer zu übergeben.

Geraldine, die in Mexiko geboren wurde und nun in Schweden lebt, engagiert sich in vielen Künstlerkollektiven und Studios. Durch ihre Arbeit für das Free Art and Technology (F.A.T.) Lab versucht sie, Netzpolitik auf experimentelle Art zu reflektieren. Laut ihrer Webseite versucht F.A.T. Lab „die Öffentlichkeit durch kreative Technologien und einen spielerischen Umgang mit neuen Medien zu bereichern." Geraldine ist auch Mitglied der Künstlerwerkstatt ElectroKKV, einer Arbeitsgemeinschaft innerhalb des Künstlerkollektivs Konstnärenas Kollektivverkstad, das im Stadtteil Klippan in Göteborg gelegen ist. Dort arbeitet Geraldine mit anderen Künstlern an den verschiedensten Projekten, die oft mithilfe von „Programmieren, 3D-Druck und diversen anderen elektronischen Werkzeugen" realisiert werden—doch auch „Kabel, Schaltkreise, Holz, Textilien, Papier, Steine, Video, Licht, Geräusche, Strom und natürlich auch Feuer," bezeichnet sie als Medien und Teil ihrer Arbeit.

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Geraldine ist ebenfalls aktives Mitglied von Forays (zu Deutsch: Vorstoß), eine Künstler-Combo, die sie 2007 mit Adam Bobette gründete. „Ein Vorstoß, der sich im öffentlichen Raum ereignet, muss von dem Geist der Hacker-Kultur, von Copyleft und von alternativen Formen des Austauschs getragen werden," liest man auf der dazugehörigen Webseite. „Unsere Versuche zielen darauf ab, offene Systemarchitektur zu entwickeln und die alltägliche Infrastruktur zu unterwandern." Geraldine ist ebenfalls Mitglied im Künstler-Duo Dataslöjd (das Wort ist zusammengesetzt aus „Daten" und „Handwerk"), wo sie sich um die Erforschung der Verbindung von Kunst und Hacker-Kultur kümmert.

Ich hatte schon vor ihrer Abreise nach Berlin die Gelegenheit mich mit Geraldine zu unterhalten. Wir sprachen über den wachsenden künstlerischen Anspruch der Hacker-Szene und über die Inspirationsquellen ihrer Performance. Obwohl sie ihre Performance nicht einfach nur als Protest sieht, wurde mir im Verlauf unseres Gesprächs sehr deutlich, dass auch eine ganze Reihe von politischen Überzeugungen hinter ihrer Verbrennung von Bicoins stecken.

MOTHERBOARD: Du engagierst dich in einer ganzen Reihe von Künstlerkollektiven—F.A.T LAB, Forays, Dataslöjd Studio und ElectroKKV. Was genau macht ihr da?

Geraldine Juarez: F.A.T Lab ist eine Gruppe von Freunden und Bekannten, die alle ähnliche Interessen haben. Jeder von uns versucht diese Interessen, auf seine eigene Weise umzusetzen. F.A.T gibt mir die Möglichkeit zu experimentieren und schnell auf Entwicklungen in der Netzpolitik zu reagieren. Dort kann ich mein ethisches Selbstverständnis zwischen Politik und Spaß ausleben.

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Forays ist ein Duo, das ich 2007 mit Adam Bobette gegründet habe. Uns geht es uns um die Kombination von Themen wie der Copy-Kultur, der Open-Source-Bewegung und dem Verhältnis von Recht und Systemarchitektur. Wir haben zwar schon lange nichts mehr veröffentlicht, aber aufgelöst haben wir uns auch nicht. Wir warten einfach auf den nächsten „Vorstoß," der sicherlich bald kommen wird.

Eine ältere Aufführung von „Hallo Bitcoin" via Videocassettera

ElektroKKV ist ein Elektronikstudio innerhalb dieses fantastischen Künstlerkollektivs aus den 1970ern—es befindet sich in Göteborg. Dort haben wir Werkstätten für Metall, Glas, Keramik, Textilien und Siebdruck. Bei der Entstehung und Organisation dieses Studios war ich von Anfang an mit dabei. Dataslöjd ist Teil meines Studios im Kulturlagret. Ich betreibe dieses Projekt mit meiner Freundin Raquel Meyers. Wir haben ganz unterschiedliche Ansätze, aber wir sind beide sehr an Big-Data und Slöjd" interessiert—Slöjd" ist das schwedische Wort für „Handwerk" bzw. „Kunsthandwerk" und immer noch eine bedeutende Freizeitbeschäftigung in Schweden.

Für mich ist das eine prima Möglichkeit, um einfach mal zu experimentieren. Viele dieser Kunsttechniken kann ich in meine Arbeit integrieren oder in die Lehrveranstaltungen, die ich am ElectroKKV gebe. In unserer Werkstatt haben wir auch einen kleinen Raum, um Ausstellungen und Performances durchzuführen.

Hat man dich gebeten, im Rahmen der transmediale wieder eine SD-Speicherkarte mit Bitcoins anzuzünden?

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Ja, ich bin einfach dem Aufruf der transmediale gefolgt. Dann hat man mich gebeten, die Performance während der Eröffnung der transmediale und passend zum Festivalthema vom „Afterglow".

Wie kommt man auf so eine Idee?

Vor etwa einem Jahr sprach ich mit einem Freund im IRC-Chat über Bitcoins und ob man sie überhaupt als „echtes Geld" bezeichnen könnte. Er sagte mir: „es ist nur echtes Geld, wenn man es nicht nur ausgeben, sondern auch verbrennen kann." Ich dachte mir nur: „Kann man Bitcoins eigentlich verbrennen?"

Hattest du noch andere Gründe?    

Ich wollte, dass meine Performance so wirkt, als ob etwas Altes verbrannt und damit überwunden wird. Das Verbrennen als symbolischer Akt der Überwindung hat eine lange Tradition: 1994 machten KLF Aufsehen, als sie eine Million Pfund in einem Kaminfeuer verbrannten; das Gleiche machte auch Piratbyrån, als es um die mittlerweile fast reaktionäre Frage ging, ob Raubkopieren und File-Sharing eigentlich ein Verbrechen seien. Man kann Geld aber auch dadurch verbrennen, dass man einen Ferrari kauft, es für Drogen ausgibt, oder eben einen Grill anmacht, um mit seinen Freunden Marshmallows zu braten.

Meine Performance sollte demonstrieren, dass ich Bitcoins als echtes Geld wahrnehme. Bitcoins sind einfach eine weitere Währung, die man für Waren und Dienstleistungen eintauschen kann.

Hat die Bemerkung deines Freundes etwas mit „Proof-of-Burn" zu tun? („Proof-of Burn" ist eine Überprüfungsmaßnahme für Bitcoin-Transaktionen und bei der Bitcoin-Generierung.)

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Ja, der Ansatz ist ähnlich, doch vor allem ging es mir um den Gedanken, dass alles Digitale auch eine materielle Entsprechung hat. Daten sind immer materiell verankert.

Angeblich revolutionäre Technologien, die in Wahrheit ganz viele Menschen ausschließen, lassen mich mittlerweile kalt. Wie viele Menschen besitzen denn den Großteil des Bitcoin-Kapitals? Ich glaube, es sind ungefähr vierzig.

Du hast offensichtlich eine klare Meinung, was Kryptowährungen angeht?

Ja, ich habe eine klare Meinung. Als ich das erste Mal von Bitcoins hörte, war mir wie vielen Menschen sofort klar, dass das Tauschprotokoll und die zugrundeliegenden technischen Voraussetzungen sehr interessant waren. Zu dem Zeitpunkt verstand ich allerdings noch nicht, wie sich die gängigen Mechanismen der Finanzwirtschaft auf diese neue Währung auswirken würden. Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um einen „Normalisierungseffekt".

Natürlich weiß ich, dass dieser Aspekt vielen Menschen egal ist und sie sich nur für die technische Seite interessieren. Doch die Idee, dass Technologie neutral ist, ist in Anbetracht der heutigen Entwicklungen reichlich naiv. Ich lese immer wieder, dass uns Bitcoins dabei helfen sollen, mehr Einfluss auf die Finanzwirtschaft zu kriegen. Einige glauben auch, man könnte durch eine dezentralisierte und verringerte Bankenkontrolle neue Vorteile schaffen. Es gibt sogar ein Video mit diesem berühmten Populisten Max Kaiser—dort sieht man ihn, wie er in die Kamera brüllt: „Bitcoin wird uns von der Angst befreien." Das ganze ist einfach nur lächerlich.

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An Bitcoin-Missionaren mangelt es sicher nicht.

Die Glorifizierung von Bitcoin und das liberale Gedankengut dahinter gefallen mir gar nicht. Die traurigste Entwicklung der letzten Jahre ist, dass der Liberalismus sich zu einer unausweichlichen Grundhaltung vieler sozialer Bewegungen innerhalb der Netzpolitik entwickelt hat.

Verbrennst du Bitcoins, um gegen die einsetzenden Spekulationen zu protestieren?

Was ich an Bitcoin mag, ist, dass man die Menge der verfügbaren Bitcoins auf Wunsch reduzieren kann—mit Fiatgeld geht das zum Beispiel nicht, denn die zuständigen Zentralbanken können da unter Zuhilfenahme der verschiedensten Spitzfindigkeiten die Menge des verfügbaren Geldes beliebig verändern. Bitcoins sind—wie jede andere Währung auch—an Spekulationen gebunden, mit denen der Wert der Währung künstlich in die Höhe getrieben werden soll.

Aber den gewöhnlichen Menschen nützt das Bitcoin-System rein gar nichts. Solche angeblich revolutionären Technologien, die in Wahrheit ganz viele Menschen ausschließen, lassen mich mittlerweile kalt. Wie viele Menschen besitzen denn das meiste Bitcoin-Kapital—ich glaube, es sind ungefähr vierzig?

Nicht ganz so utopisch, wie viele Traumtänzer es sich ausgemalt hatten.

Ich glaube nicht, dass die Konzentrion von Besitz und Reichtum in den Händen einiger weniger Menschen (wie es übrigens auch beim sogenannten Bitcoin-Mining der Fall ist), die Gesellschaft als Ganzes voranbringt. Die Schwächsten der Gesellschaft können davon nicht profitieren.

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Wie sieht die Zukunft von Bitcoins aus?

Ich denke, dass Bitcoin an Bedeutung gewinnen wird. Wahrscheinlich wird man Bitcoins zwecks Mikrozahlungen immer häufiger verwenden. Natürlich werden die reichen Menschen sie eher dazu benutzen, um ihr Geld zu verstecken. Je stärker Bitcoins zur Norm werden, umso wahrscheinlicher ist diese Entwicklung. Ich glaube auch nicht, dass Bitcoins uns zu freieren Menschen machen oder dass sie uns mehr Macht geben werden. Das alles ist eine Illusion einer verdrehten Liberalismus-Logik, die sich in den meisten neuen Web-Phänomenen zeigt und die ich ablehne.

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