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Der utopische Traum vom Mindesteinkommen

Die Idealvorstellung einer Gesellschaft, die sich um das Wohlbefinden ihrer schwächsten Mitglieder kümmert, ist schon über ein Jahrhundert alt.

Bild: Flickr

Die Schweiz machte Schlagzeilen als sie vorschlug jeden Monat 2,500 Schweizer Franken an jeden Bürger auszuteilen. Der Gedanke dahinter ist, dass kein Schweizer jemals wieder unter der Armutsgrenze leben muss. Es scheint radikal zu sein, Einkommen auszuteilen und so eines der großzügigsten sozialen Sicherheitsnetz zu spannen - aber ein völlig neuer Gedanke ist es nicht.

Die utopische Vorstellung, dass die Gesellschaft sich vereinigt und ihre Ressourcen verteilt, um das Wohlbefinden der verletzlichsten Bürger zu garantieren, ist schon über ein Jahrtausend alt: die islamischen Kalifats, amerikanische Revoluzzer, Science-Fiction-Autoren und Martin Luther King Jr haben sich alle für das Grundeinkommen eingesetzt.

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Eine der frühsten Inkarnationen der Idee tauchte in Arabien im Jahre 600 auf. Sie entsprang aus islamischen, religiösen Traditionen und heißt Zakat. Die Wissenschaftlerin Grace Clark schreibt, dass "Zakat als eine traditionelle, religiöse Institution sowohl die Zahlung als auch die Verteilung von Zakat beinhaltet. Zakat wurde als 'komplett unilaterale und bedingungslose Übertragung definiert, … als Akt der Frömmigkeit einen vorgeschrieben Teil des Eigentums an einen armen Muslim zu übertragen."

"Im wesentlichen," schreibt Clark, "ist Zakat die Zahlung von einem Muslim, der mehr als reich genug ist, um seine Bedürfnisse zu decken, an einen bedürftigen Muslim."

An sich würde das als Wohltätigkeit durchgehen, wenn es denn nicht institutionalisiert worden wäre: Als Abu Bakr - der Schwiegervater des Propheten Mohammed - im Jahre 632 Kalif war, hat er Zakat eine Stufe höher getragen.

"Abu Bakr führte ebenfalls einen Mindestlohn ein: Jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind standen im Jahr zehn Dirhams zu; später wurden es dann zwanzig Dirhams," erklärt Clark. Diese Politik wurde für fast ein Jahrhundert aufrechterhalten, bis zum Jahr 720, als das Vertrauen in den Staat zurückging und Zakat zur freiwilligen Wohltätigkeit wurde.

Bakr ist nicht die einzige historische Figur, die ein Mindesteinkommen forderte - es gibt genügend Charaktere in der Geschichte, um eine ganze Wikipedia Seite mit ihnen zu füllen.

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Der amerikanische Revoluzzer Thomas Paine war eiserner Verfechter für die Garantie auf Reichtum für jeden Amerikaner. Napoleon Bonaparte gefiel die Idee ebenfalls, und er sagte, dass "ein Mensch von Geburt an Anspruch auf einem Teil von der Produktion der Erde hat, um seine Bedürfnisse zu decken."
Selbst Martin Luther King Jr. fand das gut.

"Ich bin mir sicher, dass der einfachste Weg, der beste Weg ist — und die Lösung der Armut ist, sie ganz abzuschaffen, indem man ein Einkommen garantiert," schreibt King in seinem letzten Buch, Where do we go from here: Chaos or Community?

Aber die eindringlichsten Versuche die Auswüchse dessen zu verstehen, was ein Mindesteinkommen bedeuten würde, kommen aus dem Genre der Science-Fiction. Heute erst hat ein Reddit-Eintrag auf den lange unveröffentlicht gebliebenen Erstlingsroman For Us, the Living (Die Nachgeborenen) von Robert Heinlein verwiesen. Den Roman, von dem man lange Zeit annahm, dass er verloren sei, hatte man in einer Garage wiedergefunden und 2003 veröffentlicht, – genau rechtzeitig, um eine greifbare Lösung für die sich anbahnenden Finanzkrise anzudeuten: ein garantiertes Mindesteinkommen. Das Szenario schildert eine techno-utopische Welt im Jahre 2086. In dieser Welt erhält jeder Bürger ein „Sozialdarlehen“, gleichzeitig ist dank der Nutzung fortschrittlicher Produktionstechnologien niemand überarbeitet.

Der Roman – von dem ihr hier eine kleine Leseprobe findet – erinnert in seinem Aufbau an einen sokratischen Dialog und thematisiert die Wirtschaftsspekulation. Natürlich überrascht es da nicht, dass die Verleger 1938 die Finger von diesem Buch ließen. Im Buch wird argumentiert, dass ein Mindesteinkommen, welches von einer Zentralbank ausgelegt wird, dazu betragen könnte, die Überproduktion und das Wachstumsmodell unserer Wirtschaft zu verabschieden. Ganz zu schweigen von der garantierten finanziellen Sicherheit, die es jedem Bürger ermöglichen würde.

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Heute hat das Mindesteinkommen immer noch einige Verfechter auf beiden Seiten des politischen Spektrums sowie ein paar wenige Modellversuche, durch die die Idee am Leben gehalten wird. Es ist bekannt, dass der Ökonom Milton Friedman eine Variante des grundsätzlichen Mindesteinkommens unterstützte. Und in den 70ern verabschiedete eine kanadische Stadt ein offizielles Gesetzt unter dem Namen „Mincome“. Ohne irgendwelche Anstalten erhielten die Bürger dieser Stadt zwischen 1974 und 1979 einen Betrag von 3 800 bis 5 800 Dollar pro Monat.

Der ultra-konservative Charles Murray und seine Unterstützer fordern ebenfalls ein Grundeinkommen, weil es die unnötigen Regierungsausgaben beseitigen würde. Das würde bedeuten: Kein zusammengeflicktes Sozialhilfesystem bestehend aus Essensmarken, Medicaid und Wohngeld. Stattdessen würde ein System basierend auf einem Grundeinkommen es jedem ermöglichen, sich all die oben erwähnten Dinge auf dem freien Mark zu erwerben.

Liberale Vertreter hingegen fordern das Grundeinkommen, um ein robusteres Sozialsystem zu etablieren in einer Zeit, in der die Automatisierung im Arbeitssektor voranschreitet und der Arbeitsmangel wächst. Wirtschaftsblogger Matt Yglesias hat wiederholt seine Unterstützung für das Mindesteinkommen ausgesprochen, dieses soll die stetige Robotisierung und den Wegfall von Arbeitsplätzen im Produktionsbereich ausgleichen.

Wenn Maschinen immer mehr Arbeit übernehmen, wird es in Zukunft einfach nicht genug Jobs für alle geben, so die Argumentation. Wir müssen diesen Wegfall auffangen. Die erwirtschafteten Gewinne aus automatisierten Arbeitssektoren könnten den Menschen zu Gute kommen, die früher anstelle der Maschinen gearbeitet hätten. Dies würde eine elegante Lösung des Problems der dystopischen Roboter darstellen.

Zypern, welches kürzlich von einem schweren Wirtschaftszusammenbruchs heimgesucht wurde, will nächstes Jahr ein Mindesteinkommen einführen. Und die Schweiz ist vielleicht als nächstes an der Reihe. Es war ein lobenswertes Anliegen der historischen Fürsprecher der Armen, – bald werden die sich unaufhaltsam entwickelnden und ökonomisch bedeutenden neuen Technologien das Mindesteinkommen vielleicht zu unser aller Notwendigkeit machen.