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Brauchen wir in Deutschland ein schärferes Waffenrecht?

Immer mehr Deutsche bewaffnen sich nach der Silvesternacht in Köln. Grüne und Polizeigewerkschaft haben ganz unterschiedliche Positionen dazu, ob der Kauf von Gas- und Schreckschusspistolen erschwert werden sollte.
Bild: imago

Es passiert nicht alle Tage, dass man von der Polizei Modetipps erhält, aber nicht überall ist schließlich Köln—und dort gibt die Polizei leider auch gern mal eine eher unglückliche Figur ab: Da bald der Karneval ins Haus steht, rieten die Beamten am vergangenen Freitag, bei der Verkleidungswahl diesmal auf Klassiker wie Jedi-Ritter, Pirat oder Cowboy zu verzichten: Kostüme mit Waffenattrappen könnten die Feiernden „sehr verunsichern", befand Peter Römers, Leiter der Polizeiinspektion 1. Wie sehr es Bürger aber außerhalb eines Rosenmontagsumzugs verunsichert, wenn immer mehr Menschen funktionierende Waffen am Gürtel tragen, ist eine ganz andere Sache—und auch dazu leistete die Kölner Polizei einen umstrittenen Beitrag.

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Nur drei Tage zuvor lieferte sie dem interessierten Leser in einem Facebook-Posting praktische Links und Tipps zur schnellen Bearbeitung massenhaft eintrudelnder Anträge auf Waffenscheine. Und löste—keine Überraschung in der aufgeheizten Stimmung dieser Tage—eine heftige Diskussion um die Bewaffnung von Privatpersonen aus.

Manche Kommentatoren sahen ihren Eindruck eines Totalversagens der Polizei bestätigt, andere dankten der Behörde für diesen „wichtigen" Service, viele gaben sich entsetzt. Wieder andere boten mit ihren Kommentaren einen Einblick in die gefahrendominierte Gedankenwelt eines angstgeplagten Bürgers: „Als Mama mit einem fast Dreijährigen kann ich es mir nicht leisten, ohne Waffe zum Selbstschutz rauszugehen", urteilte eine Nutzerin.

Die Kölner Sicherheitskräfte, in diesen Tagen nach Skandalen um entgleiste SEK-Ausbildungsfeiern und der Salamitaktik rund um die Herkunft der Täter des Kölner Silvestermobs sowieso schon in der Kritik, bemühten sich angesichts der Kommentarflut zu schlichten. Man wollte doch nur „die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Sachgebietes ZA 12 (…) reduzieren". Der Waffenschein-Post sei nicht als Ermunterung zur Antragsstellung gemeint, beteuert die Behörde.

Waffenhändler-Verbände berichten von doppelt so viel Umsatz mit Abwehrwaffen von 2014 auf 2015.

Klar ist: Das Sicherheitsgefühl vieler Bürger ist nach der Silvesternacht von Köln einer diffusen Angst und latenten Panik gewichen, die sich in der bröckelnden Zustimmung zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin niederschlägt, aber auch in vermehrten Besuchen im Waffenladen. Das Vertrauen in Medien, Regierung und Justiz ist in weiten Teilen der Gesellschaft erschüttert, und durch deutsche Großstädte marschieren jetzt sogenannte „Bürgerwehren" bulliger Männer ziehen, die nicht mehr daran glauben möchten, dass die staatlichen Institutionen ihren Job noch richtig machen.

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Mit diesem Vertrauensverlust in den Schutz durch die Polizei geht auch ein weit gefährlicher Trend einher: Die Deutschen rüsten auf. Das Geschäft mit sogenannten Abwehrwaffen boomt; der Verband Deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VDB) berichtet, ihr Umsatz damit habe sich von 2014 auf 2015 verdoppelt. Schreckschusspistolen, taktische Taschenlampen, Alarme, Reizgas, Pfefferspray: Das Interesse von Privatpersonen an dieserlei Abwehrgerät ist ein Spiegel ihrer Gemütslage. Seit der Silvesternacht wurden in Köln 300 sogenannte Kleine Waffenscheine beantragt—zum Vergleich: Das sind schon drei Viertel aller dort in 2015 beantragten Waffenscheine.

„Was im Augenblick passiert, ist eine Vermengung verschiedener Tatsachen: Terroranschläge, Flüchtlingszustrom, Kriminalität"

Brauchen wir also angesichts dieser Zahlen ein schärferes Waffengesetz? Die Grünen wollen jedenfalls den Kauf von Schreckschusswaffen erschweren. Die ausgebildete Polizistin und Expertin für Inneres von der Partei Die Grünen, Irene Mihalic, befand gegenüber der Funke-Mediengruppe: „Das Waffenrecht ist im Hinblick auf Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen zu lax. Wir sollten regeln, dass auch für Kauf und Besitz solcher Waffen eine Berechtigung notwendig ist." Und sie stellt klar: „Der Wilde Westen ist nicht unser Leitbild."

Dagegen möchte die Deutsche Polizeigewerkschaft unter dem Vorsitzenden Rainer Wendtdie Aufrüstung der Deutschen mit Schreckschusswaffen nicht verurteilen: „Ich kritisiere das nicht", wird er zitiert. „Die Leute haben ein Gefühl der Hilflosigkeit." Wer meine, eine Schreckschusswaffe zu brauchen, solle sie kaufen. Wendt scheint in den vermehrten Waffenkäufen nicht das Problem einer Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols zu sehen, sondert äußert sich verständnisvoll: „Es gibt mehr Wohnungseinbrüche, mehr Gewalt auf der Straße wie in Köln und gleichzeitig niedrige Aufklärungsquoten". Wendt fordert wenig überraschend daher mehr Polizeikräfte auf den Straßen, die die öffentliche Sicherheit wiederherstellen müssten. Dazu verpflichtet sie schließlich auch das Grundgesetz —Selbstjustiz durch Privatpersonen dagegen wird per Gesetz streng unterbunden.

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„Als Mama mit einem fast Dreijährigen kann ich es mir nicht leisten, ohne Waffe zum Selbstschutz rauszugehen", urteilt eine Nutzerin.

Wenn es nach manchen besorgten Bürgern geht, dann hat man als Zivilist in Deutschland allerdings schon gar keine andere Möglichkeit mehr, als eigenhändig aufzurüsten: „Macht den Waffenschein und bewaffnet euch. Ohne geht es leider nicht mehr.", schreibt PEGIDA beispielsweise in einem Tonfall, der an die US-Waffenlobby der NRA erinnert, auf ihrer Facebook-Seite. „Was im Augenblick passiert, ist eine Vermengung verschiedener Tatsachen: Terroranschläge, Flüchtlingszustrom, Kriminalität. Und insofern ist schon eine gewisse Hektik und Unruhe entstanden, weil man hier Dinge zusammenbringt, die nicht unbedingt zusammenhängen", analysiert Manfred Gülner von Meinungsforschungsinstitut FORSA gegenüber Reuters das momentane Angstgefühl in der Gesellschaft, das zur Aufrüstung führt.

Mit einem sogenannten Kleinen Waffenschein können frei verkäufliche „Abwehrwaffen"—also Reizgas, Schreckschusspistolen, Gas- und Signalwaffen von nicht vorbestraften Personen in der Öffentlichkeit herumgetragen statt nur zu Hause aufbewahrt werden. Der Kauf einer solche Waffe ist auch ohne Berechtigung möglich.

Mit einem Waffenschein darf die Waffe zwar mitgeführt, aber nicht nicht öffentlich getragen werden—also nicht gangstermäßig aus dem Hosenbund herausragen. Zweite, noch wichtigere Einschränkung: Sie darf nicht zu öffentlichen Veranstaltungen mitgenommen werden. Auf Märkten, im Kino, bei Demos und auf Festen nutzt der Waffenschein also überhaupt nichts. Und ob eine Silvesterfeier wie die an der Domplatte unter so eine „öffentliche Veranstaltung" fällt, ist rechtlich umstritten.

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Die Kölner Polizei warnt zum Karneval explizit auch vor selbsternannten Hooligan- und Rocker-Schutztruppen.

Harmlos sind die Waffen aber in keinem Fall: Schreckschusspistolen können dazu beitragen, dass eine Gefahrenlage eskaliert, wie auch Wendt in einem Interview sagt.

Wie wir dank der ausführlich dokumentierten Fallstudie der Vereinigten Staaten außerdem leidlich beobachten mussten, führen mehr Waffen in den Händen von Privatpersonen nicht zu mehr Sicherheit, sondern vor allem zu mehr sinnloser Waffengewalt. Und selbst mit einer Dose Reizgas kann sich ein Laie bei ungünstigen Windverhältnissen unter Stresssituationen leicht selbst ausknocken.

Sogar, wenn die frei verkäuflichen Waffen „richtig" eingesetzt werden, bergen sie Gefahren. „Ein aufgesetzter Schuss kann tödlich sein", warnt die Leiterin der Hamburger Waffenbehörde, Christina Gerstle, gegenüber Spiegel Online. Außerdem droht dem vorschnellen Stadtcowboy auch schnell mal eine Anzeige wegen Körperverletzung, wenn die Waffe nicht in eindeutiger Notwehr eingesetzt wurde.

Was also tun, wenn man sich doch bedroht fühlt? Viel sinnvoller als das Tragen von Schusswaffen ist der Einsatz von lauten Alarmsignalen: Das Mitführen und der Einsatz von Geräten, die schrille Signale aussenden, ist im Zweifelsfall nicht nur rechtlich völlig unbedenklich, sondern auch für Umstehende hörbar, die zur Hilfe kommen können, die Polizei verständigen und als Zeugen dienen können.

Zum Kölner Karneval warnt die Kölner Polizei übrigens nicht nur vor missverstandenen Jedi-Ritter-Kostümen, sondern auch explizit vor dem unverkleideten Volk: Denn schon jetzt haben Hooligans und Rockergruppen angekündigt, Frauen zu Karneval vor übergriffigen Männern „beschützen" zu wollen—nicht, dass diese je darum gebeten hätten,

ganz im Gegenteil.