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Nur globale Gerechtigkeit kann eine Tragödie wie in Nepal nachhaltig verhindern

Das Erdbeben hat Nepals Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Was getan werden müsste, um dem Land Handlungsfähigkeit zu verleihen, geht über Spenden und Nothilfe weit hinaus.
​Blick auf Trümmer in Kathmandu. Bild: Imago/ZUMA 

Am Samstag um 11:56 Ortszeit stießen unterhalb Nepals zwei Kontinentalplatten zusammen und ließen die Erde beben. Wie inzwischen bekannt wurde, hat das verheerend​e Erdbeben mindestens 4.400 Menschenleben gekostet, während die Folgen UN-Schätzungen zufolge insgesamt 8 Millionen Menschen treffen werden.

Irgendwo zwischen den Trümmern der kulturellen und spirituellen Stätten liegen auch die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft und einen technologischen Fortschritt des armen Landes im Himalaya verschüttet. Aber die vielleicht bitterste Erkenntnis der Tragödie ist, dass das Erbeben mit all seinen schlimmen Folgen geradezu erwartet kam—und Nepal ihm dennoch schutzloser als viele Länder dieser Welt ausgeliefert sein sollte.

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Rund 90 Prozent der Opfer von Naturkatastrophen müssen Entwicklungsländer beklagen, die Sachschäden dagegen liegen zu 90 Prozent in den Industrieländern. Warum ist der menschliche Verlust so ungleich hoch und was können wir dagegen tun?

​Eine Himalaya-Gemeinde baut sich einen künstlichen Gletscher gegen den Klimawandel

Nur eine gerechtere Verteilung unserer Ressourcen kann wirklich verhindern, dass Naturkatastrophen mit ungebremster Wucht vor allem die Ärmsten der Armen unseres Planeten treffen. Aus Katastrophen wie dem Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 oder Indonesiens Tsunami aus dem Jahr 2004 scheint die globale Gemeinschaft jedenfalls keine nachhaltigen Schlüsse gezogen zu haben.

Die Schieflage zeigt sich schon bei der anlaufenden Nothilfe: Reinhold Messner und der österreichische Bergsteiger Habeler kritisierten gegenüber dem Sender hr-info die​ Zwei-Klassen-Rettung. Während versicherte Extrembergsteiger am Mount Everest mehr oder weniger sofort ausgeflogen wurden, werden die Ärmsten der Region zurücklassen, die rund um Kathmandu seit Tagen ohne Versorgung im Freien campen. „Die Agenturen, die diese Hubschrauberflüge betreiben, wissen, dass sie dafür Geld bekommen. Und sie wissen auch, dass sie nichts bekommen, wenn sie irgendwo einfache Nepalesen ausfliegen, weil nämlich die Regierung kein Geld dafür hat", sagte Habeler.

Ein Krankenhaus im Kathmandu behandelt Erdbebenopfer. Bild: Imago

Lokalen Experten und den Behörden waren durchaus klar, dass es nur eine Frage der Zeit bis zu einem schweren Erdbeben in Nepal war: Noch vergangene Woche traf sich ein internationales Expertenteam, um die Bedrohung zu diskutieren. „Es war ein Alptraum, ​den wir alle erwartet haben", räumte der teilnehmende Seismologie James Jackson von der Cambridge University gegenüber AP ein.

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Doch klar war auch: Die Regierung verfügt nicht mal ansatzweise über Ressourcen, um irgendetwas Hilfreiches zu unternehmen und ihre Bevölkerung effektiv durch Frühwarnsysteme, Evakuationen oder erdbebensichere Häuser zu schützen. "Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen", erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Dabei

Nepal hat sechs Hubschrauber für 28 Millionen Menschen.

Leider können weder viele aus Europa gespendete Decken, noch schönste Zukunftstechnologien wie der Google Person Finder oder Facebooks Safety Check diese Probleme nachhaltig lösen. Technologie kann maximal die schlimmsten unmittelbaren Konsequenzen lindern. Im Gegenteil: Der schnelle Lösungsfetisch, mit dem man angeblich mal eben schnell mit einer App die Welt verbessern oder gleich retten kann, ist auf Dauer nicht zielführend, sondern Augenwischerei.

Nicht in Nepal: Der Hector Suchroboter der Universität Darmstadt bei einer Robotik-Olympiade im Probeeinsatz. Bild: ​Mike1024; Wikimedia / Lizenz: Public Domain.

Globale Entwicklungsprobleme sind weitaus komplexer als die findigen Schöpfer kleiner und großer Technik-Anwendungen es uns glauben lassen mögen. Sie erfordern Weitsicht und sie sind alles andere als einfach zu lösen.

Nicht jedes geographisch gefährdete Land kann sich eine Katastrophe leisten. In Japan oder Taiwan gibt es schwingungssichere Häuser und Rettungsroboter, die die Opfer auch in unwegsamem Gelände bergen können. Und in Nepal, dem zweitärmsten Land Asiens, gibt es sechs Hubschrauber für eine Bevölkerung von 28 Millionen Menschen. Unterdessen ist die Infrastruktur in Nepal nahezu zum Erliegen gekommen: Keine Stromversorgung in der Hauptstadt, die Banken und Geschäfte geschlossen, die Telefonleitungen zum größten Teil gekappt, Zehntausende auf der Flucht aus dem Kathmandu-Tal, der Flughafen beschädigt, der Tower verlassen, dazu kommt die allgegenwärtige Angst vor Nachbeben. Nepal's got 99 problems, but an App ain't one.

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Natürlich ist die Regierung in Nepal nicht blind der Tatsache gegenüber, dass das Land zwischen zwei tektonischen Platten liegt. Doch erdbebensicher zu bauen ist verdammt teuer. Zudem kommt die hohe Konzentration von Menschen im hochgradig erdbebengefährdeten Kathmandu-Tal—denn Menschen siedeln sich nun mal dort an, wo sie Zugang zur Infrastruktur und zu Jobs haben.

„Das Land hat keine Chance"

Kann man also aus Naturkatastrophen überhaupt irgendwelche Lehren ziehen? Höchstens, dass sie die globale Gemeinschaft dazu bewegen müssten, Regierungen und Zivilgesellschaft ärmerer Länder in die Lage zu versetzen, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Nachhaltige Entwicklung und globale Gerechtigkeit würde es den besonders bedrohten Ländern erlauben, flexibler und vorbereiteter auf Katastrophen reagieren zu können. In ein paar Wochen wird kaum jemand mehr von Nepal sprechen, denn Wiederaufbau-Themen sind langweilig und frustrierend. Dabei führen Naturkatastrophen oft zu einer ganzen Reihe von Folgeproblemen: Unterernährung, Obdachlosigkeit, Seuchenausbrüche, Migration oder bewaffnete Konflikte können ausgelöst oder verschärft werden.

Leider tangiert uns das Schicksal eines Landes oft nur noch periphär, sobald dort die Tourismusoptionen wegbrechen. Am zehnjährigen Jahrestag zur Erinnerung an das Erdbeben im Indischen Ozean 2004 zeigen wir lieber in aller Ausführlichkeit Bilder aus dem thailändischen Ko Lak und aus Phuket, wo viele Menschen gern Urlaub machen. Wen interessiert dagegen schon die beschissene Situation in Haiti heute oder die Entwicklung von Banda Aceh in Indonesien? Nach dem verheerenden Unglück (180.000 Tote allein in Indonesien) wurde dort mittlerweile die Scharia eingeführt, kein Mensch mag da mehr hinfahren.

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Leichenverbrennung der Opfer des Erdbebens in Nepal. Bild: Imago

So bitter es ist: Nepal hat ohne den Tourismus überhaupt keine Lobby mehr (und hatte auch vorher kaum eine). Schon heute ist das Land mit 40 Prozent Arbeitslosigkeit auf  Überweisungen von Bürgern im Ausland angewiesen und ansonsten zerrieben zwischen den Großmächten China und Indien (die das Land, wenn sie wollten, schnell wieder aufbauen könnten. Doch das wirtschaftliche Interesse fehlt). Rohstoffe, Meereszugang? Leider Fehlanzeige. Alexander Freund, Leiter der Asienprogramme bei der Deutschen Welle, fasste es am Telefon gegenüber Motherboard traurig so zusammen: „Das Land hat eigentlich keine Chance."

Eine Idee wäre eine Tourismus-Steuer, mit denen Familien und lokale Geschäfte beim Wiederaufbau direkt unterstützt werden würden. Ein ähnliches Modell gibt es bereits in Bhutan. Das können sich die Menschen, die für viel Geld eine Bergtour buchen, um sich von der Schönheit der Natur mit eigenen Augen zu überzeugen, auch problemlos leisten. Wir alle müssten etwas umverteilen, damit ein armes Land statt hohen humanitären Verlusten zumindest nur Sachschäden nach einem Erdbeben verschmerzen muss, weil es sich wappnen kann. Verhindern können wir Katastrophen natürlich nicht, doch ein wirtschaftlich und sozial stabilerer Staat kann sich besser und flexibler auf die stetige Bedrohung vorbereiten.

Und eine zweite Maßnahme für ein bisschen mehr globale Gerechtigkeit wäre direkt nach der humanitären Hilfe der schnelle, von der internationalen Staatengemeinschaft finanziell ​unterstützte Wiederaufbau der Tempel und Kulturstätten von Seiten der UNESCO. Einerseits, um die allzu offensichtlich klaffenden Wunden in den Städten zu heilen, andererseits, um den Menschen wieder spirituellen Halt zu geben. Und letztlich, damit wieder mehr Touristen in das Land kommen und nicht nur ein paar Hardcore-Bergsteiger, die auch noch in den Himalaya fliegen, wenn die Tempel-Besichtigungstour ausfallen muss.

Und um einem Land ohne Lobby wieder eine zu verleihen.