Tieraktivisten veröffentlichen heimlich gedrehte Aufnahmen aus dem Schweinehochhaus
​Das sechsstöckige Schweinehochhaus im sächsischen Maasdorf. Alle Bilder: Deutsches Tierschutzbüro. 

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Tieraktivisten veröffentlichen heimlich gedrehte Aufnahmen aus dem Schweinehochhaus

Das Schweinehochhaus wurde 1969 als DDR-Prestigeprojekt errichtet. Heute beheimatet der Betonklotz den grauen Alltag kapitalistischer Zuchthaltung auf sechs Etagen.

Alle Bilder: Deutsches Tierschutzbüro. Verwendet mit freundlicher Genehmigung.  Dieser Artikel wurde am 10. März aktualisiert.

Seit 1969 steht ein sechsstöckiger Betonklotz mit dem schönen Spitznamen Schweinehochhaus in der Nähe des kleinen Ortes Maasdorf, 25 Kilometer nördlich von Halle. Das Gebäude wurde als sowjetisch gefördertes Prestigeprojekt in das anhaltinische Flachland gebaut und dient als große Zuchtanlage, in der die JSR Hybrid Deutschland GmbH mit der Methode der sogenannten Nukleus-Vermehrung Schweine aufzieht.

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Während Mitte des 19. Jahrhunderts in Maasdorf auf 211 Einwohner noch 98 Schweine kamen, hat sich das Verhältnis durch die groß angelegte Haltung mittlerweile gewandelt. Zu den heute rund 500 menschlichen Bewohnern von Maasdorf zählt man heute zeitweise 500 Sauen und weit über 1000 Ferkel in der Anlage von JSR—zumindest bei Schweinen ist in der Region also nichts von der vielbeschworenen Landflucht zu bemerken.

Nun ist der Tierschutzaktivist Jan Peifer, Gründer des Berliner Tierschutzbüros, erstmals in das Schweinehochhaus eingestiegen, um Filmaufnahmen der Zuchtrealität aus dem Inneren zu veröffentlichen. Aus Platzgründen werden die Schweine übereinander auf mehreren Ebenen gehalten und mit Aufzügen zwischen den Stockwerken hin- und hertransportiert—Features, die die Anlage in Europa einzigartig machen.

Ausgestattet mit einer Infrarotkamera machte sich Peifer vor einigen Wochen mit einer Begleitung um zwei Uhr nachts auf den Weg über eine Leiter ins Innere des Gebäudes in Maasdorf bei Halle und filmte die Tiere. Die Ferkel werden in dem Hochhaus geboren und sehen zum ersten Mal das Tageslicht, wenn sie im Laster zum Mäster oder anderen Züchter gekarrt werden. Manche allerdings sterben auch schon davor. Die Betreiber pochen allerdings gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung, stets alle deutsche Vorschriften zu Tierhaltung und Hygiene einzuhalten.

Das ist ja nicht die erste Undercover-Geschichte, die ich mache.

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Noch ist nicht klar, ob der Zuchtbetrieb mit dem griffigen Claim „Making pork more profitable" Jan für seinen unerlaubten Einstieg verklagen wird. Jan erklärte uns jedoch, dass er nicht damit rechne—wohl auch, weil JSR nur an weitere Haltungsbetriebe und nicht direkt an Einzelhändler wie Edeka verkauft, die einen größeren Imageschaden durch die Bilder zu befürchten hätten.

„Einer Klage sehe ich ohnehin sehr entspannt entgegen. Das ist ja nicht die erste Undercover-Geschichte, die ich mache." Zunächst erteilte ihm die Firma zwar nur schriftliche Hausverbote, doch mittlerweile versucht die Firma, die Verbreitung der Bilder und die Demonstration rechtlich zu unterbinden. „Solche Einschüchterungsversuche halten uns nicht davon ab, das Leid der Tiere in der Massentierhaltung öffentlich zu machen. Die Demonstration ist polizeilich genehmigt und wird stattfinden, wir lassen uns nicht mundtot machen und zeigen die erschreckenden Aufnahmen", schreibt das Tierschutzbüro in einer Stellungnahme dazu.

Laut Jan Peifer zeigen diese Bilder eine tote Zuchtsau. Der Betreiber der Anlage betont allerdings stets alle Hygiene- und Haltungsvorschriften einzuhalten, was auch die regelmäßigen behördlichen Kontrollen bezeugen würden.

In den Aufnahmen sieht man hunderte Schweine, die bei Neonlicht auf engstem Raum eingesperrt sind. Sie stehen in vergitterten Kastenständen, die so schmal bemessen sind, dass sich die Sauen teilweise nicht einmal umdrehen können. Einigen scheint selbst das Aufstehen aus Platzmangel schwer zu fallen. In Mülleimern vor dem Gelände finden sich Ferkelleichen, die dort entsorgt wurden. Und auch eine tote Sau liegt im Haus herum: „Unsachgemäße Lagerung", befindet der Tierschützer nüchtern.

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Die nun veröffentlichten Aufnahmen weisen auf den ersten Blick bei weitem nicht die selbe Brutalität auf wie andere von Tieraktivisten in den vergangenen Monaten gefilmte Haltungssituationen. Sie dokumentieren allerdings den völlig legalen Alltag, den wir in Kauf nehmen, wenn wir uns für konventionell produziertes Fleisch aus Massentierhaltung entscheiden.

Im Falle der Affenversuche am biokybernetischen Labor des Max-Planck-Institus in Tübingen gibt es auch aufgrund der Haltung für staatliche Forschung ganz andere Möglichkeiten, den Versuchen durch politischen Druck ein Ende zu setzen. In Sachen Massentierhaltung fordern Tierschützer wie Peifer nun eine Schließung des Hochhauses und bemühen sich weiterhin um die Aufklärung der Öffentlichkeit, um letztlich die Konsumgewohnheiten zu verändern.

Das ist ein Vorzeigebetrieb! Außerdem sind wir selbst Vegetarier.

Die JSR Hybrid Deutschland GmbH wollte uns gegenüber keine Stellungnahme zu den Aufnahmen abgeben. Wie üblich solche Verletzungen im Zuchtalltag sind, lässt sich so anhand der vor einigen Wochen einmal entstandenen Aufnahmen bisher nicht beurteilen.

„Sollten wir an einer Äußerung interessiert sein, rufen wir sie zurück", erklärt uns die Empfangsdame gestern lediglich lapidar. Der Geschäftsführer Michiel Taken feilt ebenfalls noch an einer geschliffenen Formulierung: „Wir bringen eine Stellungnahme raus, aber erst später. Vielleicht in den nächsten paar Wochen…", sagte er uns am Telefon.

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Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung allerdings verteidigte er sich bereits damit, alle gesetzlichen Auflagen zu erfüllen und keine Beanstandungen bei den regelmäßigen Kontrollen des Veterinäramtes zu erleben. Außerdem kritisiert Taken die Tierschützer, dafür sich kriminell Zugang verschafft zu haben, und erklärt, dass die Tiere nicht permanent in der Einzelstallung leben würden: „24 Sauen kommen in eine Gruppenbox, mehr nicht. Dort haben die Tiere auch Auslauf. Das wurde den Zuschauern aber nicht gezeigt, weil es nicht in den Streifen passen würde."

Ein weiteres Video des Tierschutzbüros zeigt Aufnahmen vom Hof der Anlage, bei dem ein Mitarbeiter (wohl einer externen Firma) gerade eine größere Menge Ferkel verlädt—und sie ohne ersichtlichen Grund mit einem Paddel schlägt. „Da sind wir einfach hingegangen und haben den Typen gefragt, ob wir das filmen und fotografieren dürfen—und er hat ja gesagt. Ich weiß auch nicht, warum er das gemacht hat."

Peifer ist überzeugt, dass es sich hier um die Anwendung unnötiger Härte handelt, die gegen das Tierschutzgesetz verstößt und hat deshalb Anzeige erstattet.

Nachdem RTL über die Aufnahmen aus dem Schweinehochhaus berichtete, ging Peifer schließlich zusammen mit einem RTL-Reporter noch einmal bei Tageslicht zu dem Betrieb.

Unsachgemäße Lagerung einer toten Sau—Jan Peifer hat diesen Fall aufgrund der Seuchengefahr den Behörden gemeldet. Ob dieses Bild möglicherweise auch einen Verstoß gegen gesetzliche Hygienevorschriften zeigt, lässt sich aktuell nicht sagen—auch da sich der Betreiber uns gegenüber bisher nicht äußern wollte.

Wunde Stellen an einer Sau im Kastenstand. 

Diesmal traf er dort zwei Frauen an, die in dem Haus angestellt seien und sich selbst auch als Vegetarier und Tierschützer bezeichneten. Sie würden in dem Betrieb arbeiten, „um sicherzustellen, dass es den Tieren auch gut geht", habe eine Peiffer sinngemäß erklärt. Menschen würden nun mal Fleisch essen; dann könne man ja zumindest die Zuchtbedingungen erträglich gestalten, behaupten sie: „Das ist ein Vorzeigebetrieb!"

Nur angucken könnten die Journalisten das ganze aufgrund von Hygienevorschriften nicht. „Wir haben Schutzanzüge dabei", wendet das Filmteam noch ein. Als die beiden Mitarbeiterinnen dann allerdings herausfinden, dass das RTL-Team sie mit Handkameras filmt, klettert sie sichtlich entzürnt bis ins Auto des Kameramanns, um die Linsen zuzuhalten.

Auf der Lobby-Seite Pro Agrar diskutieren unterdessen manche Bauern, ob sie den Filmemachern von RTL nicht ausführlicher Auskunft erteilt hätten, oder ob die Jenke-Sendung doch letztlich nur als Lobby-Arbeit der „Veganer" erscheine und die Massentierhaltung verunglimpfen solle. Die Tierschützer um Jan Peifer dagegen wünschen sich eine öffentliche Diskussion und rufen nun am 15. März zu einer Demonstration vor dem Schweinehochhaus auf.