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Diese App analysiert, wie glaubwürdig ihr in sozialen Netzwerken seid

Ich habe meine Social-Media-Kredibilität von der neuen Karma-App errechnen lassen—und musste feststellen, dass die App mich hasst.
Screenshot: Karma

Vertrauen ist die wichtigste Währung der Social-Media-Ökonomie—und der Motor von Plattformen wie Airbnb, eBay, und DogVacay. Wir entscheiden anhand von Reviews, Profilbildern und Selbstbeschreibungen, wen wir in unsere Wohnung lassen, wem wir den Schlüssel hinterlegen, Geld für Vintage-Quatsch im Top-Zustand überweisen und wer unseren Hund ausführen darf.

Das Start-up Karma vergibt nun ein allgemeines Gütesiegel, eine Art Sharing-Economy-Führerschein, der streng objektiv belegen soll, wie vertrauenswürdig dein Online-Benehmen wirklich ist. Dafür analysiert die App all deine Social-Media-Konten und macht daraus am Ende einen Score zwischen 1 und 100. Ein Algorithmus nimmt Nutzern all die drängenden Fragen ab, die vor jedem Sharing-Economy-Deal unweigerlich im Kopf herumgeistert: War es richtig, dem Airbnb-User mit dem leicht verfeierten Look mein Apartment anzuvertrauen? Sollte ich in dieses Uber-Taxi einsteigen? Wie hat sich dieser dubiose eBay-Händler seine einwandfreie Power-Seller-Bewertung erschwindelt?

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All das klingt zu bequem und zu schön, um wahr zu sein. Um herauszufinden, wie präzise meine Social-Media-Profile wirklich meine Vertrauenswürdigkeit wiedergeben, habe ich mich selbst einer Karma-Analyse unterzogen. Bei wem sonst sollte ich besser einschätzen können, wie gut ein Algorithmus es heute schon schafft, die heimlichen Abgründe eines Online-Lebens zu beschreiben?

Blau, Grün, Gelb, Orange: Karma macht Kredibilität zu einer vierfarbigen Schablone. Uneingeschränkt vertrauenswürdig ist, wer das Blau erreicht, grün ist gut, gelb ist mangelhaft und auf Enttäuschungen einstellen kann man sich bei orange.

Eine Karma-Score basiert auf drei Elementen. Erstens: Karma greift auf die Daten deiner Social-Media-Konten zu und errechnet anhand der Aktivität deine Vertrauenswürdigkeit. Zweitens: Andere Karma-Member können für dich bürgen, indem sie dir einen sogenannten Voucher ausstellen—jeder User hat sechs Voucher zu vergeben. Falls keiner deiner Freunde von selbst auf die Idee kommt, dir den Rücken zu stärken, hat Karma da einen Vorschlag: Schreib ihnen doch einfach einen Bittbrief, sich auch die Karma zuzulegen, um so deine Kredibilität zu steigern.

Die App ist kostenlos. Aber meine eingesandten Daten sind wertvoll.

Am wichtigsten allerdings ist dem Analyse-Tool, dass sich auf den genannten Plattformen User-Reviews über mein bisheriges Surf-Verhalten finden—ob es darum geht, einen Gast empfangen zu haben, ein Auto geliehen oder einen Hund im Park spazieren geführt zu haben, spielt keine Rolle. Hauptsache, irgendjemand hat etwas über mich zu sagen und hat eine Bewertung über mich abgegeben.

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Schnell noch ein vertrauenswürdiges Selfie für mein Profil. Bild: Louise Beltzung.

Eine Browsererweiterung lädt mich bei jeder Social-Media-Seite ein, sie zur Karma-Rechnung heranzuziehen. Ich beginne damit, Facebook, Twitter und LinkedIn zu verbinden, aber das Ergebnis lässt zu wünschen übrig. Ich lande bei Gelb, knapp am schlechtesten Karma vorbei. Dabei sind meine Tweets eigentlich recht seriös, aber Twitter geht nur zu fünf Prozent in die Bewertung ein. Den besten Vertrauensvorschuss verpasst mir noch Facebook. Anschließend lädt Karma mich gleich dazu ein, seine schonungslose Enthüllung von mir als nicht vertrauenswürdige Person mit anderen zu teilen.

Ich bin niemand, der wilde Partys in Airbnb-Wohnungen feiert, Hunde entführt oder kaputtes Zeug auf Ebay verkauft – vertrauenswürdig also. Aber angesichts meiner Privatsphären-Einstellungen verpuffen meine Beteuerungen: Karma glaubt nur jenen Daten, die ich öffentlich teile. Der Algorithmus will, dass öffentlich lesbar sein muss, wie und wer ich bin.

Screenshot: Karma. (Louise Beltzung)

Ich melde mich im Handumdrehen bei all den Seiten an, die meinen Karma-Score pushen könnten: Nun bin ich auf Etsy, auf einer Dogsitting- und einer Carsharing-Seite, ich biete auch Lokalführungen an. Leider ist der Analysealgorithmus nicht ganz so stupide. Mein Karma bleibt mittelmäßig.

Um meinem Karma-Score endlich einen Schub zu verleihen, greife ich zu einem Trick und besorge mir andere, die für mich bürgen: Kurzerhand bitte ich einen Freund, mir seinen hochseriösen eBay-Account zu borgen, auf dem er für seinen gewissenhaften Verkauf von Gadget-Schrott und alten Schallplatten (natürlich in Near Mint-Qualität) ausnahmslos Top-Bewertungen erhalten hat.

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Es funktioniert. Meine Score ist dank dem eBay-Feedback im blauen Bereich. Aber nur noch 13 Prozent von dem was mich vertrauenswürdig erscheinen lässt, sind tatsächlich von mir. Andererseits ist es doch quasi ein echter Vertrauensbeweis, dass mir jemand einfach so seine Zugangsdaten für seinen seit Jahren uralten eBay-Account verrät.

Nachdem mir ein Freund seinen Ebay-Account geliehen hat, ist meine Reputation schon viel besser. Screenshot: Karma (Louise Beltzung)

Die Geschäftsidee des Start-ups ist vielversprechend. Ein Ampelsystem, dass jeden rasch abschätzen lässt, wie vertrauenswürdig das Online-Gegenüber ist, klingt nach einer praktischen Lösung angesichts des wuchernden Online-Betrugs—und nach einem zukunftsträchtigen Geschäftsmodell angesichts der stetig wachsenden Sharing Economy.
Die Umsetzung des Algorithmus und die Aufbereitung des Analysetools allerdings könnten ausgefeilter sein: Auf Social Media zu posten, macht einen noch nicht zum vertrauenswürdigen Onlinehändler. Und nicht jedem guten Gastgeber sollte das eigene Auto überlassen werden.

Außerdem ist es auch nicht gerade beruhigend, für eine Analyse seines Selbst all seine Social-Media-Accounts einem einzigen Programm zur Analyse zu überlassen. Karma behält sich nämlich dezidiert vor, mein Onlineverhalten auch zu tracken, wenn ich ihre Dienste nicht mehr in Anspruch nehme. In den AGB's heißt es wenig vertrauenserweckend: „Do Not Track requests" könnten derzeit nicht verarbeitet werden.

Die App ist kostenlos—aber die von mir eingesandten Daten sind wertvoll. Es werden demographische Daten an Marketing-Firmen weitergegeben, auch alle Information, die mich nicht persönlich identifizierbar machen, werden verkauft, heißt es in den AGB. Ich hoffe darauf, dass es auch in Zukunft gut für das Start-up läuft, denn Karma lässt offen, ob Kundeninformationen auch an Dritte verkauft werden. Gerade bei einem Bankrott könnte das zum Problem werden—dann wäre noch unklarer, was mit den Nutzerdaten passiert.

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Schon heute werden von diversen Plattformen Algorithmen und Data-Mining eingesetzt, um die Vertrauenswürdigkeit von ihren Anbietern und Käufern abzuschätzen. Das fängt damit an, dass Airbnb herausfiltert, wenn von einem Account zu viele positive Kritiken für einen Gastgeber erscheinen. Auch eBay hat ein eigenes Bewertungssystem, das Betrüger aussieben soll.

Wenn es nun ein Siegel gäbe, das über allen Plattformen stehen möchte, muss das Analyseprogramm verdammt gut erkennen, wenn jemand versucht, es auszutricksen. Wenn mir so ein Siegel auch nur den geringsten Nutzen bringen könnte, würde ich nicht zögern, mit unlauteren Methoden dafür zu sorgen, von ihm als Muster-User bewertet zu werden.

Bisher ist die Karma-Analyse kaum aussagekräftiger als die übliche vage Beschau fremder Profilbilder, Reviews und Google-Ergebnissen, die ich vor einem Sharing-Economy-Deal mehr oder weniger häufig mache. Karma fügt dem ganzen nur einige Farben hinzu und betont doch nur, wer die Kunst am eloquentesten beherrscht, seinen Online-Auftritt in das rechte Licht zu rücken.

So wie sie hier ausgeführt ist, ist die Idee, Vertrauenswürdigkeit auf einer Skala von 1 bis 100 objektivieren zu wollen, ohnehin ein utopisches Unterfangen. Wenn ein Algorithmus nicht versteht, was meine persönlichen Kriterien für Vertrauen sind, dann machen mich die Siegel auch nicht schlauer als zuvor. Entweder müsste das Analyseprogramm die Kriterien offenlegen nach denen Postings gewertet werden oder ich sollte angeben können, dass ich CandyCrush-Fans und kampfmissionierende Online-Impfgegner für weniger vertrauenswürdig erachte, als etwa Menschen, die offen zu ihrem Facesitting-Fetisch bloggen.