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Warum tausende Menschen dieses geräuschlose Gif hören können

Sind wir alle Synästhesisten, oder ist es eine akustische Illusion? Ein hüpfender Strommast, der beim bloßen Anschauen zu hören ist, verwirrt die Netzgemeinde.

Nein, die internen Boxen am Laptop sind nicht aktiviert, das Smartphone nicht zufällig auf laut gestellt. Dieses Gif ist, wie alle Gifs, stumm. Und trotzdem hört man es. Wie kann das sein?

Visuell passiert in der kleinen Animation nicht viel: Zu sehen sind drei Strommasten, die miteinander Seilspringen spielen, wie man es von Kindern kennt. Zwei gegenüberstehende Masten schwingen ihre Leitungsseile, ein dritter Mast hüpft in der Mitte auf und ab. Jedes Mal, wenn er auf den Boden aufkommt, bringt er die gesamte Szenerie zum Beben – Gräser, Sträucher, Bäume erzittern vor dem schweren Mast, selbst der Himmel vibriert.

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Ein Sound, den man sehen kann

Das Seltsame an dieser rein grafischen Erschütterung: Sie ist hörbar, irgendwie. Oder anders ausgedrückt: Das Gif erzeugt Geräusche, die man ausschließlich visuell erfasst – ein Sound, den man nur sehen kann. Wie der Ton klingt, ist vermutlich eine subjektive Empfindung. Man könnte es annäherungsweise als leichtes Wummern, stumpfes Krachen oder weiches Knattern bezeichnen.

Dass auch die Netzgemeinde diese Frage stark umtrieb, zeigt eine Twitter-Umfrage zum Thema, an der sich seit Sonntag fast 300.000 Menschen beteiligt haben. 68 Prozent der Teilnehmer gaben an, beim Anblick des Gifs ein "dumpfes Geräusch“ zu vernehmen, 20 Prozent hörten "nichts“ und 3 Prozent "irgendetwas anderes". Neun Prozent machten keine Angaben.

Kreiert wurde das Gif vom britischen Animationskünstler HappyToast im Jahre 2008. Doch erst ein Tweet der schottischen Psychologin DeBruine rückte die Animation in den Fokus einer größeren Debatte. Fast 21.000 Retweets und über 1.300 Kommentare erhielt die schottische Wissenschaftlerin auf ihre Frage: "Weiß irgendjemand aus dem Bereich der visuellen Wahrnehmung, warum man dieses Gif hört?"

Woher der Geräusch-Effekt kommt, beschäftigt im Moment zahlreiche Nutzer im Netz. Auch die britischen Tabloids The Sun und Daily Mail griffen das Gif auf – unerlaubt und trotz expliziter Absage von Seiten HappyToasts, wie er auf Motherboard-Anfrage erklärt.

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Zwei mögliche Erklärungen

Wie kommt nun also der Sound in das Gif? In den sozialen Medien kursieren maßgeblich zwei unterschiedliche Erklärungsansätze.

1) Das Gif könnte durch den Effekt einer sichtbaren Vibration den so genannten Mittelohrreflex auslösen. Der Reflex reagiert normalerweise auf hohe Lärmpegel und laute Geräusche und schützt das Innenohr, indem ein Teil des Schalls auf das Trommelfell abgeleitet wird. Hier könnte sich das Ohr jedoch bereits beim bloßen Anblick der Erschütterung zusammenziehen, da das Hirn sich darauf einstellt, diese visuelle Vibration auch als Schallwelle zu empfangen.

2) Laut dem Akustik-Experten Trevor Fox handelt es sich bei dem Geräusch-Effekt nicht um eine physische Reaktion wie dem Mittelohrreflex, sondern um eine Verknüpfung unterschiedlicher Sinnesebenen im Gehirn. In der Fachsprache wird die Verbindung von eigentlich unvereinbaren Sinneswahrnehmungen – etwa Temperatur und Räumlichkeit – Synästhesie genannt. "Es gibt gut dokumentierte Fälle von Sinneswahrnehmungen, die unterschiedliche Ebenen miteinander verbinden, zum Beispiel Leute, die Farben mit Geräuschen assoziieren", zitiert das Tech-Magazin Alphr den Wissenschaftler zum Thema Synästhesie. "Wir neigen dazu, unsere Sinne als getrennt voneinander wahrzunehmen, doch unser Gehirn vermischt Signale aus allen Sinnesebenen, um herauszufinden, was gerade passiert", so Fox. “Es überrascht mich daher nicht, dass manche Menschen [beim Betrachten des Gif] einen Laut vernehmen."

Beide Erklärungen sind letztlich nur Versuche, die seltsame Verquickung von Bild- und Tonebenen zu verstehen. Das Phänomen der Synästhesie ist nach wie vor wenig erforscht.

Tatsächlich ergänzt unser Gehirn aber auch auf rein visueller Ebene nicht vorhandene Elemente in Bildern oder Text, die es an bestimmten Stellen erfahrungsgemäß erwartet. Durch diese Fähigkeit können optische Täuschungen oder Halluzinationen überhaupt erst entstehen. Diese selbstständige Ergänzungsarbeit ist keineswegs ein Zeichen für eine psychische Störung, sondern Kennzeichen eines gut funktionierenden Gehirns. Wie bei Text, in dem die Buchstaben verdreht sind oder komplett fehlen, kommt es hier auf den Kontext an: Unser Gehirn ist bereits durch viele Lesewiederholungen darauf trainiert, das Durcheinander problemlos verarbeiten und ergänzen zu können und als bekannte Worte zu interpretieren.

Möglicherweise funktioniert das auch auf visuell-auditiver Ebene, wenn das Gehirn zu der sichtbaren Erschütterung des Bodens das entsprechende Geräusch ergänzt – dazu ist jedoch noch etwas mehr Forschung nötig. Ein Anfang ist gemacht: Wer zu der Erforschung von bewegten Bildern, die scheinbar Töne erzeugen, beitragen möchte, kann seine Synästhesie-Skills in einer Umfrage der City University London trainieren.