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Riesenverlage gegen ResearchGate: Der größten Plattform für kostenlose Forschung geht es an den Kragen

Schon länger war das Berliner Netzwerk Wissenschaftsverlagen ein Dorn im Auge. Nun verklagen zwei von ihnen das “Facebook für Forscher”. Wie der Showdown ums freie Wissen ausgeht, ist noch offen.
Angela Merkel lässt sich bei einem Besuch von ResearchGate-Gründer Ijad Madisch erklären, wie die Plattform funktioniert. Bild: ResearchGate | Martin Miser

Vor neun Jahren ist die Wissens-Plattform ResearchGate mit dem Versprechen angetreten, Forschern wissenschaftliche Arbeiten gratis zur Verfügung zu stellen – und war Wissenschafts-Verlagen, die die Arbeiten kostenpflichtig anbieten, immer ein Dorn im Auge. Doch jetzt hat die Plattform großen Ärger wegen Urheberrechtsverletzungen und wurde verklagt. Hinter dem Streit steckt die Frage: Wie viel darf der Zugang zu Wissen kosten – und wer darf es verwalten?

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Wer wichtige wissenschaftliche Texte oder Studien lesen will, muss meist ziemlich viel Geld hinblättern – oder an einer Universität studieren, die sich den Zugang erkauft. Für die ResearchGate-Macher steht das im Gegensatz zu einem Grundprinzip der Forschung, die offen für alle sein sollte. Schließlich sind die Autoren der Studien nicht selten Wissenschaftler, deren Stellen und Forschungsprojekte mit öffentlichen Geldern finanziert werden.

Dass wissenschaftliche Publikationen nur selten frei verfügbar sind, liegt daran, dass Wissenschaftsverlage diese Inhalte kostenpflichtig verlegen und sich die Rechte an ihnen sichern. Ihr Geld machen sie auf zweierlei Wege: Entweder bezahlen Forscher dafür, in angesehenen Journals zu publizieren – dann sind die Texte in der Regel kostenlos zugänglich. Alternativ finanzieren sich die Verlage über diejenigen, die auf die Forschungsergebnisse angewiesen sind: Sei es durch Abonnements durch Universitäten oder Bibliotheken oder dadurch, dass ein Leser für einzelne Texte oder Studien bezahlt.

Warum nicht jeder von der Idee des "Forscher-Facebook" begeistert ist

Dieses System steht schon länger in der Kritik – auch, weil die Verlage nicht immer einen nennenswerten Beitrag zur Publikation leisten, sondern sich als Gatekeeper zwischen Forscher drängen und Wegzoll verlangen. Die 2008 in Berlin gegründete Plattform ResearchGate will das ändern. Forscher können ihre Publikationen auf der Plattform hochladen und zugänglich für andere Wissenschaftler auf der ganzen Welt machen. 14 Millionen Nutzer hat die Plattform nach eigenen Angaben heute. Die Idee hinter ResearchGate, das heute weltweit 300 Angestellte beschäftigt: Forscher sollen sich, auch interdisziplinär, vernetzen und von Fehlern anderer lernen. Deswegen, so die Idee, sollen die Mitglieder auch gescheiterte Experimente veröffentlichen.

Mit seinen Ideen macht sich die Plattform nicht nur Freunde. Der große Wissenschaftsverlag Elsevier und die US-Fachgesellschaft American Chemical Society haben ResearchGate jetzt verklagt. Sie stören sich daran, dass ResearchGate-Nutzer Inhalte auf die Plattform laden, an denen sie die Rechte gar nicht besitzen. Außerdem sind die Verlage nicht gerade begeistert davon, dass ResearchGate über Stellenanzeigen und Werbung indirekt Geld mit diesen Inhalten verdient – und haben sich zusammengeschlossen, um massiven Druck auf das ehemalige Startup auszuüben.

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ResearchGate beruft sich darauf, dass die Profile der Wissenschaftler, auf denen sie ihre Texte hochladen, so etwas wie eine eigene Website seien. Ob das die Richter ähnlich sehen, ist unklar. Bild: ResearchGate

Wie Verlage dafür sorgen wollen, dass wissenschaftliche Arbeiten weiter teuer bleiben

Der Verlag Elsevier ist kein Unbekannter, wenn es um Bezahlschranken für Fachtexte im Internet geht. 2016 erreichte der Verlag bereits, dass die .org-Adresse der Plattform Sci-Hub gesperrt wurde. Sci-Hub hatte Millionen von kostenpflichtigen wissenschaftlichen Publikationen kostenlos auf einer Website zum Download bereitgestellt.

Tatsächlich scheinen es die ResearchGate-Nutzer bei der Lizensierung nicht so genau zu nehmen. Laut einer im Februar 2017 veröffentlichten Studie des Informatikers Hamid R. Jamali – die im Volltext ironischerweise nur kostenpflichtig einzusehen ist und nicht gerade billig ist – werden knapp 50 Prozent der Inhalte auf ResearchGate ohne Einwilligung der Verlage veröffentlicht, bei denen die Rechte liegen.

Durch die gemopsten Inhalte sehen die Verlage das utopische "Facebook für Forscher" eher als eine Art Pirate Bay für Forscher.



Aber unter Umständen war die Veröffentlichung sogar rechtens. Im deutschen Urheberrecht gibt es den § 38 Absatz 4, der unter bestimmten Umständen eine Zweitveröffentlichung von wissenschaftlichen Arbeiten erlaubt. Aber ob das auch bei ResearchGate in Ordnung ist, werden wohl bald Richter prüfen. ResearchGate beruft sich nämlich darauf, dass die Profile der Wissenschaftler, auf denen sie ihre Texte hochladen, so etwas wie eine eigene Website seien.

Der letzte Strohhalm: Ist ResearchGate noch zu retten?

Vor kurzem schon hatte der Branchenverband wissenschaftlicher Fachverlage STM Association versucht, Druck auf ResearchGate auszuüben. STM wollte das “Facebook für Forscher”, wie Der Spiegel ResearchGate taufte, zu einer Einigung drängen. Gefordert wurde, den Verlagen mehr Kontrolle über die hochgeladenen Inhalte zu geben. Unter anderem wollte der Verband, dass ResearchGate ein Tool in die Plattform einbaut, das automatisch die Uploads auf Urheberrechtsverletzungen scannen soll. Die Forscher-Plattform lehnte alle Angebote ab, zeigte sich aber in der jüngsten Klage kompromissbereit: Als Reaktion auf die Klage von Elsevier und Co. löschte ResearchGate bereits 1,7 Millionen Inhalte aus dem öffentlich sichtbaren Bereich. Das reicht Elsevier aber nicht: Sie wollen eine grundsätzliche Entscheidung über Studien im Netz. Während die einen klagen, versuchen die anderen, mit ResearchGate zusammen einen neuen Kompromiss zu erarbeiten. So plant das Unternehmen laut einer Pressemitteilung zusammen mit dem großen Wissenschafts-Verlag Springer Nature eine Kooperation. Eine solche Zusammenarbeit könnte die Plattform retten – doch ob das Wissen, das auf ResearchGate lagert, auch in Zukunft kostenlos zugänglich sein wird, steht noch in den Sternen.