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Wieviele Arten von Orgasmen können Frauen eigentlich haben?

Der weibliche Orgasmus gehört auch im 21. Jahrhundert noch zu den größten Mysterien unseres Sonnensystems.
Bild: Shutterstock

Auch im Jahr 2016, nachdem Gravitationswellen entdeckt und Quantencomputer entwickelt wurden, stellt der weibliche Orgasmus eines der größten Mysterien unseres Sonnensystems dar. Viel wird diskutiert und geforscht, doch seit den Zeiten, als Sigmund Freud Frauen, die schnell zum Orgasmus kamen, noch als hysterisch bezeichnet hatte, scheint sich nicht wirklich viel getan zu haben.

Selbst darüber, ob der Orgasmus der Höhepunkt des sexuellen Erlebens ist, herrscht Uneinigkeit. Während vor allem Männer oft auf die orgiastische Ejakulation als Zenit eines jeden Geschlechtsverkehrs beharren, geht es bei Frauen in den meisten Fällen um wesentlich „mehr als das" und das körperliche Gefühl ist nicht allein entscheidend über die Qualität der sexuellen Interaktion.

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„Ich wettere da ja gern mal gegen Freud, der gesagt hat, das einzig ein vaginaler Orgasmus ein reifer Orgasmus ist", so die Sexualwissenschaftlerin Anja Drews gegenüber Motherboard. „Ich vertrete die Annahme, dass jeder Orgasmus durch die Klitoris bedingt ist, da diese viel größer ist als bisher angenommen. Sie besteht nicht nur aus der kleinen Klitoriseichel, sondern umschließt mit ihren Schenkeln auch die Vaginalöffnung."

Auch darüber, wieviele Formen eines weiblichen Orgasmus es überhaupt gibt, streiten Experten. Während The Verge aufzählt, man könnte von fünf Formen des Orgasmus sprechen, führt die amerikanische Sexualwissenschaftlerin Lou Paget gar zehn Möglichkeiten für den weiblichen Höhepunkt auf. Wieviele Arten des Orgasmus es tatsächlich gibt, hängt jedoch vor allem davon ab, was einen Orgasmus überhaupt definiert und wie die Anatomie des weiblichen Unterkörpers, und vor allem der Klitoris, aufgebaut ist.

So wird noch immer um den sagenumwobenen, orgasmusauslösenden G-Punkt gestritten. Diese an der vorderen Scheidenwand befindliche, nach ihrem Entdecker Ernst Gräfenberg benannte Zone, soll bei sexueller Stimulation anschwellen und ab einem bestimmten Erregungsgrad als erogene Zone aktiv werden. Doch sowohl der Ort als auch die Existenz des G-Punktes ist unter Forschern arg umstritten und fand bisher noch in keinem Anatomie-Lehrbuch eine Erwähnung.

„Der G-Punkt ist der Yeti der Sexualwissenschaft."

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Ganz im Sinne der Freudschen Lehre war der G-Punkt lange Zeit die moralische Begründung für den vaginalen Orgasmus, da die Frau hierbei allein mittels Stimulation durch den Penis zum Höhepunkt kam. Heutige Untersuchungen wiederlegen diese Erklärung jedoch und bezweifeln, dass ein rein vaginaler Orgasmus überhaupt möglich ist.

Im Jahr 2003 brachte der malaysische Gynäkologe Chua Chee Ann mit der Anterior Fornix Erogenous Zone auch noch den sogenannten A-Punkt in die Diskussion ein, den er zufällig bei einer Untersuchung gefunden haben will. Ann zufolge liegt der A-Punkt zwischen G-Punkt und Gebärmutterhals und beschere einem Drittel der Frauen bei korrekter Stumulation multiple Orgasmen.

Eine sexuelle Technik, die in der Regel eher beim männlichen Orgasmus Erwähnung findet, ist die der Harnröhrenstiumulation. Da die lateinische Bezeichnung der Harnröhre Urethra lautet, wird hierbei auch von dem U-Punkt gesprochen. Die weibliche Harnröhre ist von den tieferen Ausläufern der Klitoris umgeben. Bei einer Anregung des U-Punktes, beispielsweise durch Vibration oder dem Einführen von Gegenständen, überträgt sich dabei die Stimulation auf die Klitoris und kann zum Orgasmus führen.

Unterschiedlicher Beliebtheit bei der Frau erfreut sich der Gebärmutterhalsorgasmus, für den ein Druck auf den Gebärmutterhals oder Muttermund ausgeübt werden muss. Die meisten Frauen empfinden diese Art der Penetration jedoch eher als unangenehm bis schmerzhaft, eine allgemeine Empfehlung lässt sich für diese eher gynäkologische Technik also nicht unbedingt aussprechen. Auch die anale Penetration kann in den wenigsten Fällen ohne zusätzliche Stimulation als Orgasmusgarant angesehen werden.

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„Meiner Meinung nach gibt es nur einen Orgasmus, und das ist der klitorale. Frauen, die vaginal nicht kommen, bei denen ist die Klitoriseichel, in der 8.000 Nerven zusammenkommen, einfach zu weit vom Vaginaleingang entfernt", so Sexualwissenschaftlerin Drews. Das vermutete sogar schon Napoleons Urgroßnichte Marie Bonaparte, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts zur Heilung ihrer Frigididät in einem chirurgischen Eingriff die Klitoris näher an die Vaginalöffnung setzen ließ. Zu ihrer großen Verzweiflung jedoch ohne Erfolg.

Der Aufbau der Klitoris | Bild: Wikipedia | Hariadhi | CC BY-SA 3.0

Diese tieferliegende und weitverzeweigte Struktur der Klitoris wurde offiziell jedoch erst im Jahr 1998 von der australischen Urologin Helen O'Connell entdeckt, die feststellte, dass Klitoris mindestens doppelt so groß ist wie in den Anatomiebüchern dargestellt. „Die Klitoris ist näher an der Harnröhre und bedeckt einen viel größeren Teil der vorderen Vaginawand, als bislang angenommen", so O'Connell. "Der Schwellkörperanteil ist sogar größer als beim Mann." Vagina und Klitoris sind demzufolge keine zwei voneinander unabhängige Körperteile, sondern befinden sich die Erregung betreffend im Zusammenspiel.

Die Idealvorstellung, bei der beide Partner bei der Penetration am besten gleichzeitig einen Orgasmus bekommen, hängt also stark von der Stellung ab, bei der die Klitoris bestmöglich erregt wird. Gleichzeitig handelt es sich jedoch vor allem um eine klischeebesetzte Phantasie, die sich auf die Erregung des weiblichen Geschlechts sogar kontraproduktiv auswirken kann und viele Frauen unter Druck setzt. Die aufmerksame Partnerin soll demnach nicht nur darauf achten, ob der Orgasmus gerade klitoral oder wie leider noch immer oft propagiert am besten vaginal ist, sondern auch sich am besten auch noch darum kümmern, dass der Höhepunkt in schöner Synchronizität erreicht wird.

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„Der weibliche Orgasmus ist viel störanfälliger als der des Mannes", erklärt Anja Drews. „Erreicht ein Mann den Point Of No Return, dann kommt er zum Orgasmus. Bei einer Frau ist das eher wie bei einem Niesen, das befreiend sein kann, sich aber auch unterdrücken lässt. Frauen können den Orgasmus abwürgen." Diese Störanfälligkeit liegt dabei in der Regel nicht, wie von vielen Frauen übermäßg selbstkritisch angenommen, an ihrer eigenen körperlichen Unzulänglichkeit, sondern wieder einmal an den gesellschaftlichen Prägungen.

Anja Drews | Mit freundlicher Genehmigung

„Durch die Erziehung, in der alles gewaschen, geschrubbt und geküsst, nur der kleine Teil zwischen den Oberschenkeln in der liebevollen Beachtung vernachlässigt wird, wird bereits Mädchen ein befremdliches Gefühl gegenüber ihrer Vagina vermittelt. Bei Jungen ist die Beschäftigung mit dem Penis viel selbstverständlicher", so Drews. Ebenfalls gesellschaftlich verankert, fällt es Frauen schwer, ihre eigene Lust zuzulassen. Einerseits wünschen sich viele Frauen, ihrer sexuellen Leidenschaft durch Stöhnen Ausdruck zu verleihen, andererseits ist dieser gleichzeitig noch immer mit „unschicklicher" Unkontrolliertheit konnotiert.

Dazu kommt, das den Frauen unserer Welt in Zeitschriften, Werbung und Diättrends ein nahezu unerreichbares Figurideal vermittelt wird, welches unweigerlich zu einer schon fast gesellschaftlich erwarteten Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führt. Diese Kombination von Voraussetzungen machen es dem weiblichen Orgasmus nicht leicht. Eine Frau kann das Gefühl nur erleben, wenn sie es auch zulassen kann und nicht durch störende Gedanken und Emotionen gehemmt wird.

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Auch für die Definition des Orgasmus selbst ist gibt es mehr Ansätze als die des viel zitierten orgiastischen Höhepunkts, der zahlreiche Frauen in Verwirrung stürzt und deren feste Überzeugung, noch nie einen Orgasmus erlebt zu haben, sich zuweilen als falsch erweist. Schuld daran ist lediglich die übertrieben hohe Erwartungshaltung an einen Orgasmus, die besagt: Wer kein wahres Feuerwerk erlebt, bei dem scheint irgendetwas nicht zu stimmen. Und auch wer nicht intensiv die klassischen drei bis 15 Muskelkontraktionen des Beckenbodens erlebt, welche in Abständen von circa 0,8 Sekunden den Unterkörper durchzucken, ist nicht automatisch „frigide".

Emily Nagoski schreibt in ihrem Buch „Komm wie du willst" (eine etwas holprige Übersetzung des Orginaltitels „Come As You Are") zwar: „Ein Orgasmus ist die plötzliche, unfreiwillige Freilassung sexueller Anspannung", vermeidet es dabei jedoch geschickt, jegliche körperliche Reaktionen zu erwähnen. Denn ein Orgasmus geht weit über das körperliche Gefühl und die Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur hinaus, möglicherweise ist er auch sehr schwach oder gar unbefriedigend.

Die Neurowissenschaftlerin und Psychophysiologin Nicole Prause sieht den Schlüssel für einen Orgasmus zwar in einer physischen Reaktion, doch trotz ihrer unterschiedlichen Ansätze sind sich Prause und Nagoski in einer wesentlichen Sache einig: Beide sind davon überzeugt, das jeder Orgasmus ein individuelles Erlebnis darstellt und jegliche Diskussion über Typen oder Formen von Orgasmen hinfällig ist.

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Doch auch wenn der vaginale Orgasmus letztendlich auch nur auf einer Stimulation der Klitoris zu beruhen scheint, was ist dann mit dem G-Punkt und all den anderen körperlichen Variationen, die Frauen ihrem sexuellen Höhepunkt entgegenschweben lassen? „Der G-Punkt ist der Yeti der Sexualwissenschaft, hat es der Sexualpsychologe Christoph Joseph Adlers einmal treffend bezeichnet. Wir forschen zwar wie die Wilden, aber bisher weiß immer noch keiner so richtig, was du unten alles passiert", so Drews. „Außerdem ist die Erregungsfähigkeit bei jeder Frau unterschiedlich. Manche Frauen bekommen sogar einen Orgasmus, wenn sie die Beine übereinanderschlagen und die Oberschenkel fest aneinanderdrücken und dabei den Beckenboden fest anspannen. Auch der malaysische Gynakologie, der angeblich den A-Punkt gefunden hat, der zwischen G-Punkt und Muttermund liegt und noch empfindlicher sein soll, ist mit Vorsicht zu genießen. Ich persönlich würde ja erst einmal den Frauenarzt wechseln, wenn dessen Untersuchungsmethoden bei mir einen Orgasmus auslösen."

Wieder andere Frauen können einen Orgasmus bekommen, während sie schlafen, durch Vibration oder wenn jemand zufälligerweise im Bus ihre Brust berührt. Die Vermutung scheint begründet, dass dabei immer irgendwie die Klitoris beteiligt zu sein scheint, die durch Bewegung des Beckens oder Anspannung von Beckenboden und Schenkeln angeregt wird. Erstaunlicherweise steht die Wissenschaft jedoch immer noch einem großen Rätsel gegenüber. „Vielleicht sollte man auch nicht immer so genau wissen, wie das alles funktioniert. Ein gutes Körpergefühl hilft noch immer viel mehr für die Empfindung als ein Wissen um den genauen körperlichen Ablauf."

Damit hält es auch die amerikanische Pionierin der weiblichen sexuellen Befreiung und Sexualaufklärerin Betty Dodson. Ihr Credo lautet: Ein Orgasmus ist ein Orgasmus ist ein Orgasmus. Vielleicht ist es ja so einfach.